Wirtschaft

Die Gasversorgung in Bayerns Kommunen ist und bleibt gesichert. (Foto: Schweinfurth)

12.04.2024

Welcher Gasnetzrückbau?

Etliche Städte planen keineswegs die Stilllegung – die BSZ hat sich umgehört

Im typischen Alarmismus meldete Dienstagvormittag die große deutsche Boulevardzeitung mit den vier Buchstaben: „Heizschock für Millionen Deutsche droht: Erste Großstadt will Gasnetz stilllegen.“ Gemeint war Augsburg.

Von dort kam gegen Mittag ein Dementi: „Die Gasversorgung in Augsburg bleibt im Rahmen der gesetzlichen Regelungen auch weiterhin gesichert“, erklären die Stadtwerke Augsburg (swa). Es sei derzeit auch kein Rückbau des Gasnetzes geplant, betont swa-Pressesprecher Jürgen Fergg. Gleichzeitig werde die Fernwärme als alternative Wärmeversorgung durch die swa massiv ausgebaut.

Angesichts der geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen ist die Wärmestrategie der swa für Augsburg differenziert. So hat sich der Freistaat Bayern etwa zum Ziel gesetzt, ab 2040 klimaneutral zu sein, der Bund ab 2045 und Europa ab 2050. „Wir wünschen uns von der Politik für die Verbraucher klare und ehrliche Aussagen, wie diese selbstgesteckten Klimaziele erreicht werden sollen“, erklärt swa-Vertriebsleiter Ulrich Längle. „Wir arbeiten im Sinne unserer Kundinnen und Kunden in Augsburg daran, in Zukunft die Wärmeversorgung auch ohne fossile Energieträger sicherzustellen.“

Das Netz auf alternative Gase vorbereiten

Wann oder in welchen Mengen alternative Gase wie Wasserstoff oder Biogas für die breite Wärmeversorgung zur Verfügung stehen, lässt sich laut Fergg derzeit nicht absehen. Dennoch bereiten auch die swa ihr Gasnetz in Teilen auf mögliche alternative Gase vor. Es werde jedoch bezweifelt, dass sich damit in absehbarer Zeit der allgemeine Wärmebedarf decken lässt.

Ein wichtiges Standbein der künftigen Wärmeversorgung wird laut swa deshalb auch in Augsburg Fern- und Nahwärme sein, neben anderen Möglichkeiten wie Wärmepumpen oder Pelletheizungen. Rund eine Milliarde Euro werden die swa bis 2040 in den Ausbau der Fern- und Nahwärme in Augsburg investieren, in die Erweiterung des Netzes, aber auch in neue regenerative Erzeugungsanlagen oder die Nutzung von Abwärme.

In einigen der Gebiete, die künftig mit Fernwärme erschlossen werden, informieren die swa bereits seit vier Jahren große Wärmeverbraucher wie Industrie, Gewerbe oder große Wohnanlagen. In Schreiben wird angekündigt, dass dort in einem Zeitraum von etwa zehn Jahren Fernwärme verfügbar sein wird. Sollte eine Heizungserneuerung anstehen, sollte dies in die Überlegungen mit einbezogen werden, vor dem Hintergrund, dass ab 2040 in Bayern nach geltendem Recht keine Heizung mehr mit Erdgas betrieben werden darf.

Entscheiden sich die Verbraucher*innen für die Fernwärme, wird in das Erdgasnetz in diesem Bereich entsprechend auch nicht weiter investiert. Inwieweit in Zukunft Wasserstoff etwa für Industrie über das Erdgasnetz transportiert werden wird, steht derzeit noch nicht fest.

„Wir bieten mit der Fernwärme eine Alternative zu Erdgas“, so Ulrich Längle. „Und dort, wo wir das Angebot machen, wird es fast ausschließlich dankend angenommen.“ Schließlich ist mit der Energiekrise die Nachfrage nach Fernwärme bei den swa um 2000 Prozent gestiegen.

Die Wärmeversorgung transformieren

Doch nicht nur in Augsburg macht man sich diese Gedanken. So liegt laut Michael Silva, Pressesprecher der Stadtwerke München (SWM), der Fokus in der bayerischen Landeshauptstadt laut kommunaler Wärmeplanung auf der Nutzung von dekarbonisierter Fernwärme (Tiefengeothermie in Kombination mit Wärmepumpen und Wärmespeichern) und Nahwärme sowie dem Einsatz von Wärmepumpen. Der Anteil von Erdgas im Wärmemarkt wird mittelfristig absinken und soll langfristig keine Rolle mehr spielen.

In Abstimmung mit den kommunalen Plänen und der Rahmengesetzgebung wird der Umfang des Erdgas-Versorgungsnetzes in München demnach langfristig deutlich reduziert und Teile davon stillgelegt werden. Konkrete Stilllegungsdaten für einzelne Netzteile oder das ganze Netz können die SWM aber aus folgendem Grund derzeit nicht nennen: Die Kosten des Gasnetzes werden schrittweise auf immer weniger Nutzende verteilt werden und damit – sofern keine entsprechenden gesetzlichen Regelungen geschaffen werden – zu einem Anstieg der spezifischen Netzentgelte für Kund*innen führen, ebenso die ab 2027 geplante Einbeziehung von Gasheizungen in den Emissionshandel.

„Durch die steigenden Kosten wird Erdgas als Heizenergie zunehmend unattraktiv und es wird zu einem sukzessiven Rückgang der aktiven Erdgasanschlüsse kommen. Die Dynamik dieser Entwicklung ist allerdings schwer prognostizierbar und unter anderem abhängig von ordnungsrechtlichen Vorgaben im Zuge der Dekarbonisierung des Gebäudesektors“, so der SWM-Sprecher.
Auch in Nürnberg steht aktuell kein Rückbau der Gasnetzinfrastruktur zur Diskussion. „Wir sind als Betreiber von kritischer Infrastruktur der Versorgungssicherheit verpflichtet und erfüllen nicht nur unsere Verpflichtungen aus der Daseinsvorsorge, sondern führen selbstverständlich auch alle Maßnahmen durch, die für einen sicheren, gefährdungsfreien Betrieb erforderlich sind“, erklärt Heiko Linder, Leiter Konzernkommunikation des Regionalversorgers N-Ergie AG.

Die Transformation der Wärmeversorgung in Ballungsräumen spiele für die N-Ergie eine strategisch sehr wichtige Rolle. „Deswegen erarbeiten wir unter erheblichem Ressourceneinsatz derzeit die Transformationsplanung für die Fernwärme. Diese Maßnahme ist integrativer Bestandteil der kommunalen Wärmeplanung, die die Stadt in enger Abstimmung mit uns gerade auf den Weg bringt“, so Linder. Beide Planungen werden die Grundlage für den Ausbau der Fernwärme in Nürnberg sein. Erste Ausbaugebiete werden in wenigen Wochen veröffentlicht, sodass sich die dortigen Gebäudeeigentümer und Energieverbraucher mit einem perspektivischen Umstieg auf Fernwärme befassen können. „Wir sehen die Fernwärme aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen als Lösungsoption Nummer eins in den geeigneten Quartieren. Der Fernwärmeanschluss sollte gegenüber dem Gasanschluss dort immer die attraktivere Option sein“, betont Linder.

Doppelstrukturen auflösen

In Regensburg will die Rewag (Regensburger Energie- und Wasserversorgung AG & Co KG) alles dafür unternehmen, das bestehende Gasnetz zu ertüchtigen. „Wir garantieren also weiterhin einen sicheren Betrieb. Ein Rückbau oder gar eine Stilllegung sind derzeit nicht geplant. Es ist unser Ziel, Pilotprojekte zum Einsatz und zur Beimischung von Wasserstoff in unserem Gasnetz zu starten, um Erfahrungen für die Transformation des Gasnetzes zu sammeln“, sagt Rewag-Kommunikationschef Martin Gottschalk.

Ebenfalls keine Stilllegungspläne gibt es in Erlangen. Auch im benachbarten Fürth ist es derzeit kein Thema. „In Überlappungsgebieten (Wärmenetz- und Gasnetzerschließung) mit unserem Wärmenetz ist es vor circa zehn Jahren schon mal zur Außerbetriebnahme von einzelnen Gasnetzsträngen gekommen, um Doppelstrukturen aufzulösen. Dieses Szenario ist auch für die nähere Zukunft denkbar und wahrscheinlich, nachdem wir den Wärmenetzausbau vorantreiben und mit der dann vorliegenden kommunalen Wärmeplanung dieser noch zusätzlich Fahrt aufnehmen wird“, erläutert Peter Schäfer, Leiter Netze der Infra Fürth GmbH.

Aus heutiger Sicht sei keine eindeutige Entscheidung ableitbar, ob Gasnetze in den nächsten 20 Jahren überflüssig werden oder aber als Wasserstoffnetz nur eine Umnutzung erfahren. „Grundsätzlich erwarten wir einen Mix aus allen (dann) CO2-neutralen Energieträgern Strom, Wärme und Wasserstoff“, so Schäfer.

Ganz anders wird sich die Lage in Ingolstadt darstellen. Denn die Stadt wird künftig in der Nähe des sogenannten Wasserstoff-Backbones liegen, einer Hauptleitung, die Deutschland durchquert. „Deshalb ist es der Ansatz der Stadtwerke Ingolstadt, in Zukunft möglichst vielen Kunden CO2-neutralen Wasserstoff anzubieten – und dafür soll möglichst viel von der vorhandenen Netzinfrastruktur weiter genutzt werden“, so Florian Schiegl, zuständig für Marketing und Unternehmenskommunikation bei der Stadtwerke Ingolstadt Beteiligungen GmbH (SWI). Dazu würden bereits im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung ausführliche Überprüfungen laufen. Präzise Erkenntnisse, wie genau es mit dem Gasnetz weitergehen wird und auch wie viel Wasserstoff zur Verfügung stehen wird, erwarten die SWI erst in den kommenden Jahren. Bis dahin ist noch viel Prüfarbeit zum Thema Gasnetz-Transformation nötig. Parallel dazu bauen die Stadtwerke Ingolstadt die umweltfreundliche Fernwärme, die in Ingolstadt jährlich 92.000 Tonnen CO2 einspart, weiter aus.
(Ralph Schweinfurth)

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