Kommunales

Die beiden kurdischen Zwillinge Yalmaz und Gulnaz (21) leben seit 20 Jahren in Passau – spüren aber, dass man sie dort nicht haben will. (Foto: Mediendenk)

20.04.2012

Gut integriert, aber ungewollt - warum?

Kommunale Ausländerbehörden gehen seit einiger Zeit deutlich schärfer gegen Flüchtlinge vor - besonders in Passau

Die Zahl der Asylbewerber in Bayern steigt, 11 Prozent mehr Flüchtlinge als 2010 zuvor kamen im vergangenen Jahr in den Freistaat. Das bestätigt das Arbeits- und Sozialministerium. Und seit einiger Zeit gehen kommunale Ausländerbehörden schärfer gegen Flüchtlinge vor, wie drei aktuelle Fälle aus Niederbayern beweisen.
Seit Mitte der 1990er Jahre leben die heute 21-jährigen kurdischen Zwillinge Gulnaz und Yalmaz in Bayern. Sie zeigten von Anfang an den Willen zur Integration: Sie besuchten die Schule, ließen sich nicht entmutigen, als sie zeitweise in die Förderschule zurückgestuft wurden, und schafften schließlich an der Hauptschule den Quali. „Er ist ein höflicher, bescheidener und sehr zuverlässiger Schüler“, steht im Zeugnis von Yalmaz. Er spürt, dass von ihm als Ausländer erwartet wird, über Staat und Religion besonders gut Bescheid zu wissen, um anerkannt zu sein. Wenn die Lehrerin fragt, wie der erste Mann in Bayern heißt, hebt er sofort die Hand.
Der ältere Bruder bekam die deutsche Staatsbürgerschaft schon 2008. „Das einzige Dokument, das ich besorgen musste, war die Geburtsurkunde“, erzählt er. Für seine jüngeren Geschwister haben sich die Vorgaben verschlechtert. Zu Jahresbeginn wurde ihnen das Dokument entwertet, das ihnen bislang uneingeschränkte Reisefreiheit gewährte, der „Reisepass für Ausländer“. Jetzt fühlen sie sich als Bürger zweiter Klasse, sie dürfen nicht mal mehr ins benachbarte Österreich. „Ich möchte meinen norwegischen Freund heiraten, ohne Pass geht das nicht“, klagt Gulnaz.
Als sie bei der Ausländerbehörde vorsprechen, reagiert der junge Beamte mit Vorwürfen: Sie hätten gegen deutsche Gesetze verstoßen, in diesem Land herrsche Ausweispflicht. „Sie haben zwei Jahre lang Zeit gehabt, sich einen Pass ihres Heimatlandes zu besorgen“, sagt er. Es kommt zum großen Missverständnis. Denn das Geschwisterpaar, welches im Kindergartenalter nach Deutschland kam, versteht unter Heimatland natürlich Bayern; der Beamte meint das Land, das ihre Eltern als Herkunft angeben: „Irak“.
Einen Antrag zu Einbürgerung wollen die Passauer Beamten nur annehmen, wenn die beiden einen irakischen Pass vorlegen. Das ist höhnisch, denn sie wissen, dass die Zwillinge bei den Botschaften in Frankfurt und Berlin schon mehrmals abgeblitzt sind. Kurden sind in den arabischen Ländern eine geächtete, verfolgte Minderheit. Sie wissen, dass solche Papiere nur auf Umwegen über sogenannte „Vertrauensanwälte“, die sich teuer bezahlen lassen, besorgt werden können. Und sie wissen, dass Gulnaz und Yalmaz, die geforderten irakischen Dokumente nicht selbst besorgen konnten. Ihr deutscher „Reisepass für Ausländer“ war für alle Länder gültig – „außer Irak“. Das hat ein Beamter vom Landratsamt eigenhändig dazugeschrieben. Wie kann man sich aus einem Land einen Pass holen, in das man laut Anweisung der bayerischen Behörde nicht einreisen darf?


Vor Abschiebung geschützt


Wenigstens sind die Zwillinge vor Abschiebung geschützt: Als anerkannte Asylbewerber haben sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. „Sie könnte mir nur entzogen werden, wenn ich mit etwas zu Schulden kommen lasse“, erklärt Yalmaz.
Die Ausländergesetze besagen, dass ein Fremder, der mehr als acht Jahre in Deutschland lebt, der deutschen Sprache mächtig ist und dem Sozialstaat nicht auf der Tasche liegt, grundsätzlich Anspruch auf Einbürgerung hat. Die Zwillinge stehen längst auf eigenen Beinen. Sie betreibt mit ihrem Lebensgefährten, einem Norweger, eine Pizzeria im Landkreis Passau. „Mein Freund hat die Staatsbürgerschaft ganz unbürokratisch nach fünf Jahren bekommen, die Norweger sind da unkomplizierter“, erzählt Gulnaz. Ihr Bruder lernt in einem Gastronomiebetrieb im Bäderdreieck. Er besucht freiwillig Abendkurse, um seine Leistungen zu verbessern.
„Derselbe Beamte, der jetzt die Reisepässe nicht verlängert, hat uns vor zwei Jahren erzählt, es sei kein Problem die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Wir bräuchten nur eine feste Arbeit“, erinnert sich Gulnaz. Und ihr Bruder ergänzt: „Immer, wenn wir einen Schritt weiter waren, erzählten sie uns von einer neuen Hürde.“ Eigentlich wollten sie schon oft einen Antrag auf Einbürgerung stellen, aber der Beamte aus dem Nebenzimmer habe dringend davon abgeraten, weil es noch aussichtslos sei.
Die Zwillinge werden aus dem Raum verwiesen. Der Bruder versucht Gulnaz mit Witzen voll schwarzem Humor zu trösten, die stets davon handeln, dass sie ein Volk ohne eigenes Land sind: „Warum gehen Kurden ins Kaufland? “ – „Weil sie glauben, dass es dort Land zu kaufen gibt“. „Eigentlich haben Gulnaz und Yalmaz ihr Land längst gefunden, Bayern. Doch es will sie offenbar nicht.
Die Sachgebietsleiterin der Ausländerbehörde des Landratsamtes Passau, Claudia Otoo, verweist auf das Schreiben, das sie den Zwillingen zustellte: „Reisepässe für Ausländer“ seien Ersatzpapiere, die nur diejenigen ausgestellt werden, die nachweislich keinen Pass besitzen oder ohne ihn „nicht auf zumutbare Weise erlangen kann“. Bisher sei von Seiten des Landratsamtes immer von einer Unzumutbarkeit der Pass-Beschaffung ausgegangen worden. Diese Situation sei, so offenbar auch die Darstellung der vorgesetzten bayerische Dienststellen, nicht mehr gegeben.
Selbst integrierte Flüchtlingskinder sollen offenbar mit dieser neuen Auslegung gezwungen werden, sich den Pass eines Landes zu besorgen, dass ihnen fremd ist.
Rechtsanwalt Klaus Schank ist der Überzeugung, dass sich die Stadt Passau besonders hervortut, wenn es um überzogenes Vorgehen gegen Flüchtlinge geht. Die Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern wird durch die so genannte Residenzpflicht eingeschränkt. Sie dürfen sich innerhalb eines Gebiets aufhalten, das ihnen die zuständige Ausländerbehörde vorschreibt. Für den 27-Jährigen Afrikaner Mohamed S. sind dies Stadt- und Landkreis Passau. Seit fünf Jahren wartet er darauf, als Flüchtling anerkannt zu werden. Verständlicherweise ist für solche Betroffene der Reiz groß, von der Provinz in die Großstadt München zu reisen.
Auch Mohamed S., der in München eine Freundin hat und mit ihr ein Kind gezeugt hat, wurde allein im letzten Jahr fünfmal ertappt. Die Verstöße werden als Ordnungswidrigkeit geahndet, aber die Bußgelder greifen nicht. Asylbewerber, die bekanntlich Lebensmittelrationen und ein kleines Taschengeld bekommen, sind normalerweise mittellos. Der zuständige Beamte des Ausländeramts Passau bat die Staatsanwaltschaft um Hilfe. „Hier scheinen nur die Mittel des Strafrechts einen bessernden Eindruck vermitteln zu können“, regt er in einem Schreiben an. Bei einem Betretungsverbot für den Bezirk Oberbayern könnten Verstöße auch als Straftat verfolgt werden. Der Vorstoß der Passauer Amtsbehörde scheiterte vor dem Amtsgericht. Sein Anwalt verwies erfolgreich auf höchst richterliche Urteile: „Solange mein Mandant das Bundesland Bayern nicht verlässt, begeht er keine Straftat sondern eine Ordnungswidrigkeit.“
Verschlechtert hat sich die Situation auch für afghanische Flüchtlinge. Wie der Bayerische Flüchtlingsrat mitteilt, habe das Innenministerium in einem Rundschreiben aufgefordert, die Rückführung solcher Flüchtlinge einzuleiten. Es traf auch den 21-jJährigen Ismail Afzali aus Passau. Vor knapp einem Jahr waren für ihn rund hundert Bürger auf die Straße gegangen, um gegen seine Abschiebung zu protestieren.
Der junge Mann nahm an Deutschkursen teil, machte sich durch freiwillige soziale Arbeiten in der Gemeinschaft beliebt. Ein illegaler Ausflug nach München endete für ihn Anfang März in der Abschiebehaft. Wieder marschierten seine Anhänger in Passau vor das Ausländeramt. Der Zwangstransport zum Flughafen ist vom Tisch, aber nicht durch die Gnade der Behörden. Afzali wurde wegen akuter Selbstmordgefährdung in die Psychiatrie nach Haar eingewiesen.
(Hubert Denk)

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