Kultur

Amadeus Mozart hat zu seiner Zeit provoziert. Seine Partituren liegen in Archiven – doch wie die Musik zu Lebzeiten des Genies geklungen hat, ist reine Spekulation. (Foto: dpa)

12.06.2015

Entschleunigen mit Amadeus

Im MozartLabor hinterfragten Experten beim Würzburger Mozartfest den Klassik-Begriff

Wie macht man ein Musikfestival einmalig und attraktiv? Diese Frage treibt natürlich sämtliche Veranstalter um – selbst bei „Dauerbrennern“ muss ständig am Programmangebot gefeilt werden. So hat zum Beispiel das Mozartfest Würzburg (bis 28. Juni) unter seiner Intendantin Evelyn Meining heuer ein „MozartLabor“ etabliert: mit Gesprächsrunden, offenen Proben und einem Konzert von Stipendiaten, die in den vergangenen Tagen von internationalen Künstlern speziell darauf vorbereitet wurden.
Im Rahmen dieses MozartLabors beschäftigten sich profilierte Experten aus Wissenschaft und Publizistik ebenso wie Festivalveranstalter mit der etwas provozierenden Frage „Was heißt hier Klassik?“ Und da ging es schon gleich bei Mozart los: Wie ordnet man ihn ein, wie spielt man ihn – und wo? Entspricht das Genie überhaupt der heute allgemeinen Vorstellung des leicht konsumierbaren Wohlklangs, verwertbar etwa als Hintergrundmusik zur Steigerung des Wohlbefindens, der Verkaufsförderung, oft zerlegt in handliche Häppchen wie bei Klassikradio?
Das große Aber in der Rezeptionsgeschichte: Mozart stand zu seiner Zeit in der Kritik wegen seiner vielen Dissonanzen und seiner anspruchsvollen Melodik. So etwas hören wir heute nicht mehr.

Eine Frage des Maßstabs

Wir verbinden mit dem Begriff der Klassik meist positive Konnotationen wie vorbildlich, wertvoll, zeitlos, etabliert, schön. Doch Klassik ist ein unscharfer Begriff. Schon bei der Epochenbezeichnung tut man sich schwer; wo fängt die Klassik an, wo hört sie auf? Gehört Bach dazu, ist der späte Beethoven schon der Romantik zuzuschreiben, und wie steht es mit dem frühen Schubert?
Ulrich Konrad, Musikwissenschaftler an der Uni Würzburg und Mozart-Experte, betonte, dass die angeblich historische Klassik, also die sogenannte Wiener Klassik, mit den drei großen Namen Haydn, Mozart und Beethoven, eigentlich eine Erfindung des 19. Jahrhunderts sei: Aus einer nationalistischen Ideologie heraus Sie ist sie nach der Reichsgründung entstanden. „Klassik“ scheint Konrad zufolge eher eine Kategorie der Rezeption von Musik zu sein, ein Maßstab.

Harmonie der Gegensätze

Er meint damit, dass künstlerisches Tun etwas geschaffen habe, das später als maßstäblich erkannt und dann von weiteren Künstlern überwunden wird. Als Beispiel nannte er das Klaviertrio des 15-jährigen Schubert nach dem Vorbild einer Mozartsonate. „Klassik“ bedeutet also keine starre, statische akademische Vorbildhaftigkeit; sie ist vielmehr Antrieb, das Kunstwerk nachzuahmen und dabei gegen die Vorgabe zu verstoßen.
Freilich gibt es in Europa ganz unterschiedliche Konzepte von „Klassik“. Nicht vergessen werden darf auch, dass, beginnend mit der Romantik, Kunst als Religionsersatz verstanden, Musik als Zugang zum unendlichen Geist empfunden wurde.
Klassik muss nicht „Vollendung“ bedeuten: Man denke nur an Mozart, der über 150 unvollendete Werke hinterlassen hat, so viele wie kein anderer Komponist. Dies sind keine Dokumente des Scheiterns, sondern eher Zeichen einer permanenten Invention – oder wie es der Komponist Wolfgang Rihm in der Diskussionsrunde nannte: „Momente von Lust und Unlust“, also von zutiefst schöpferischer Unruhe. Dies zeuge von einer Grundspannung, einer „Harmonie der Gegensätze“. Das zeichnet Klassik aus, so Rihm, und deshalb funktioniert für ihn der Epochenbegriff auch nicht. Er enge nur ein.

Eingespieltes Ritual

Aber wozu dient dann der Begriff Klassik überhaupt? Er vermittelt einen bestimmten Wert für Rezipient und Markt. Diese „machen“ den Klassiker, ebenso wie die Salzburger Festspiele oder Bayreuth mittlerweile ein „Klassiker“ sind durch ihre Geschichte. Und heute gehören zum Klassik-Konzert meist auch der passende Raum und – in Europa – das eingespielte Ritual: ruhiges, konzentriertes Zuhören über etwa zwei Stunden, ohne Klatschen während der Sätze.
Zu Zeiten Mozarts war das noch anders, viel ungezwungener. Erst durch die Streichquartett-Abos mit ihrer ruhigen, verständigen Zuhörerschaft entstand ein Konzertverhalten, wie wir es heute gewohnt sind.
Doch was ist Klassik im Musikbetrieb? Bei der Inflation ihrer Bedeutungen ist sie eigentlich zum Marketingbegriff geworden, kann kaum mehr programmatisch verstanden werden. Schon die Klangvorstellungen von Klassik haben sich gewandelt. Dies machte Reinhard Goebel deutlich, einst einer der Vorreiter der Alte-Musik-Bewegung. Da wir heute nicht wissen können, wie eine Komposition früher geklungen hat, da auch schon zu Mozarts Zeiten Händel als „alt“ galt, ist eigentlich die sogenannte historische Aufführungspraxis, also auf Darmsaiten ohne Vibrato, auf „Originalinstrumenten“, mit harschen Schreck-Akkorden oder anderen unangenehmen Effekten, im Grunde obsolet. Sie kam in Mode, als man nach Neuem suchte, hat sich aber mittlerweile gewandelt, gemäßigt. Auch bei Mozart, dessen Werke ja auch der Vergangenheit angehören, pflegte man in dieser Weise einen quasi musealen Umgang mit Musikgeschichte, ohne dass man wusste, wie man dem Original näherkommen konnte.

Emotional packen

Grundlage einer jeden guten Aufführung aber bleibt die Partitur. Außerdem, so kristallisierte sich im Diskussionsforum heraus, sollte ein Konzert eine gewisse existentielle Betroffenheit auslösen, das Publikum emotional packen. Gelangweilter Konversationston ist zu vermeiden. Der vermeintliche Unterhaltungsfaktor bei der alltäglichen Beschallung mit populär gewordener „klassischer“ Musik aber hat sie zu einem Verkaufsargument werden lassen, auch wenn vieles gar nicht aus der Zeit der sogenannten Klassik stammt.
Unsinnig ist es auf jeden Fall, der Inflation des Klassikbegriffs entgegensteuern zu wollen, indem man eine völlig unzutreffende Unterscheidung in E- (ernste) und U- (unterhaltende) Musik vornimmt. „Klassische“ Musik, etwa von Mozart, umfasst immer beides. Bei der heutigen Vielfalt medialer Vermittlungs- und Rezeptionsmöglichkeiten steht jedoch eines fest: Der subjektive Konzerteindruck bei einer Aufführung ist nicht wiederholbar, einzigartig.

Ideale Vermittler

Insofern sind Festivals wie das Mozartfest ein idealer Vermittler „klassischer“ Musik. Es zählt wie die Salzburger Mozartwoche im Januar oder Mozart@Augsburg zu den Festivals, die sich schwerpunktmäßig einem Komponisten widmen. Sie vertreten den Anspruch, kein „Gemischtwarenladen“ zu sein, definieren sich auch nicht als gesellschaftliches Ereignis, sondern bieten in ihren Programmen einen inneren Zusammenhang. In Würzburg erhält das Festival seinen besonderen Glanz durch die Atmosphäre, den Aufführungsort, die prachtvolle Residenz mit dem Kaisersaal, und durch exklusive, ganz auf die Thematik zugeschnittene Programme, die es anderswo so nicht gibt.
Trotzdem muss immer wieder die Aufmerksamkeit des meist reisenden Publikums gewonnen werden. Der Spagat zwischen Kunst und Kommerz ist für Veranstalter in jedem Fall ein schwieriges Unterfangen. Sicher ist: Zu viele Experimente sind schädlich. Eines steht fest: Im Konzert ruhig zwei Stunden zuzuhören bietet eine wunderbare Möglichkeit der Entschleunigung. Allen Pessimisten, die schon den Untergang der klassischen Musik kommen sehen, sei entgegengehalten: Noch nie wurde so viel klassische Musik gehört wie heute. (Renate Freyeisen)

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