Kultur

Ein Tante Emma-Laden im tiefsten Wilden Westen? Auch Stan Douglas’ Aufnahmen von menschenleeren Räumen (hier "Tosi Foods Back", 2010) reizen, sich Geschichten zusammenzureimen. (Foto: Douglas/HdK)

27.06.2014

Kulinarischer Mummenschanz

Das Haus der Kunst zeigt die riesigen Fotos von Stan Douglas, die so tun, als würden sie aus alten Zeiten stammen

Sehr amüsant, diese Damen mit Dauerwellen und Disco-Kleidchen im kitschigen 70er-Jahre-Ambiente. Oder auch die Ansammlung von Männern in Al-Capone-Aufmachung, die mit Schlapphut und Anzug auf der Tribüne sitzen: offenbar beim Pferderennen – oder bei einer Wahlkampfveranstaltung? Und mancher der Typen mit blauem Rasierschatten im Gesicht sieht tatsächlich wie ein Mafioso aus.
Jedenfalls sind diese großformatigen Farbfotos von Stan Douglas absolut kein alter Hut, bloß weil auf ihnen lauter Leute mit alten Hüten und historischen Klamotten posieren. Die Bilder stammen nämlich nicht von anno dazumal, wie man meinen könnte, sondern entstanden ab dem Jahr 2008. Und die Abgebildeten sind allesamt Statisten, die extra für diese Aufnahmen kostümiert wurden. Mise en scène, also „Inszenierung“ heißt nicht ohne Grund die Ausstellung des kanadischen Künstlers Stan Douglas (Jahrgang 1960) im Münchner Haus der Kunst. Denn seine Fotoserien aus den letzten sechs Jahren, die da gezeigt werden, stellen mit Verkleidung und zeittypischen Accessoires historische Szenerien nach, wie es sonst nur im Film üblich ist.
Die riesigen Farbbilder der Serie Crowds and Riots etwa inszenieren historische Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und der Polizei: Eine Szene, die 1912 spielt, zeigt Demonstranten mit Schiebermützen, die Uniformierten wie auch Zivilpolizisten mit Uhrketten und Bowlerhüten gegenüberstehen.
Aber das politische Sujet wird hier zu einer kulinarischen Komposition in dunklen, weichen Erdfarben überhöht, zum historisierenden Wimmelbild, das mit Patina-Licht den Betrachter auf eine goutierbare Zeitreise schickt. Gleichwohl stellt dieses Bild in seiner glatten, sauberen Künstlichkeit ganz deutlich aus, dass es gemacht, bewusst konstruiert ist. Eben darin unterscheidet sich Douglas von seinen Vorgängern.
Denn ganz neu ist die Methode der Bild-Inszenierung ja nicht: Douglas’ berühmter Landsmann Jeff Wall produziert seit Jahrzehnten seine scheinbar beiläufigen, tatsächlich aber minutiös arrangierten Leuchtkastenfotos. Mit deren fingierter Authentizität führt Wall den Betrachter spielerisch in die Irre, um ihn quasi hinterrücks zu belehren, dass Fotos, wie alle Bilder, Inszenierungen sind, ja mehr noch: Schablonen einer bestimmten Weltsicht, die ein spezifisches Denkmuster vermitteln.
Douglas hingegen lässt solche pädagogischen Tricks weg, er kritisiert nicht den dokumentarischen Schein der Fotografie, sondern feiert fast arglos den Mummenschanz. Gar so weit ist das nicht entfernt vom naiven Vergnügen, mit dem der Konsument eines Kostümfilms eintaucht in vergangene Zeiten. Und auch die Freude am Erzählerischen, an den Geschichten, die seine opulenten „Filmstills“ sofort im Kopf des Betrachters anstoßen, gibt Douglas’ Arbeiten etwas dezidiert Literarisches.
Insofern passt die Ausstellung des mehrfachen Documenta- und Biennale-Teilnehmers ganz gut nach München, wo einst mit Historienmalern wie Piloty, aber auch mit Franz von Stuck Künstler gefeiert wurden, deren Werke ihren Reiz aus dem spektakulären Sujet beziehen. (Alexander Altmann) Bis 12. Oktober. Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München. Mo. bis So. 10 – 20 Uhr, Do. 10 – 22 Uhr. www.hausderkunst.de

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