Landtag

Stolpersteine – hier in Berlin. (Foto: dpa)

07.11.2014

"Beschämend, dass sich München verrannt hat"

Podiumsdiskussion der SPD: Die Landeshauptstadt und ihr Problem mit den Stolpersteinen

Ein Saal mit gut 200 Personen, und alle sind sich so was von einig. Aber dann passiert es doch: Einer steht auf und meldet Widerspruch an. Der Mann wird dann zwei Stunden lang niedergeredet, alle und jeder fühlen sich befleißigt, ihm persönlich noch eins draufzugeben.

Die einzelne Person, die am Montagabend im Senatssaal des Landtags mit dem Rücken zur Wand steht, heißt Abi Pitum und gehört dem Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern an. Seine abweichende Meinung lautet: Stolpersteine sollten in München auch weiterhin verboten sein, wie es der Stadtrat 2004 beschlossen hat. Obwohl Pitum mehrmals betont, er spreche nicht in Vertretung von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, auf die das Verbot der Stolpersteine auf öffentlichem Münchner Boden zurückgeht, wird er als Knoblochs Gesandter behandelt. Und sowohl von zwei der vier Diskutanten auf dem Podium als auch von vielen aus dem Publikum in Grund und Boden geredet.

Isabell Zacharias, die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, bemüht sich als Veranstalterin und Moderatorin vergeblich um Neutralität. Es hilft nichts, diese Podiumsdiskussion ist ein einziges Plädoyer für die Stolpersteine. Was nicht an Zacharias liegt, sondern schlicht daran, dass sich außer Abi Pitum kein einziger Stolperstein-Gegner zu Wort meldet. Und daran, dass Pitums Argumente gegen die Stolpersteine auf geballtes Unverständnis stoßen. Vor allem seine Befürchtung, die kleinen, messingfarbenen Gedenksteine im Bürgersteig könnten zu einer „Inflation“, zu einem „Zuviel des Gedenkens“ führen, kann der Rest des Saals überhaupt nicht nachvollziehen.

Ernst Grube, gebürtiger Münchner und Holocaust-Überlebender, drückt es kurz und bündig aus: „Da hätt mich beinah der Schlag getroffen!“ Auch Amelie Fried, die für die Initiative Stolpersteine für München auf dem Podium sitzt, hält sich nicht zurück. Die Schriftstellerin und Moderatorin hat erst vor wenigen Jahren erfahren, dass ein Münchner Großonkel von ihr mit seiner Frau in Auschwitz ermordet wurde. Max und Lilli Fried wohnten in der Frundsbergstraße. Amelie Fried machte noch den Sohn der Ermordeten in den USA ausfindig, ihren Onkel Walter: „Er hätte sich dringend gewünscht, dass der Name seiner Eltern in München präsent ist.“ Fried meint: „Es ist beschämend, dass sich ausgerechnet München als Hauptstadt der Bewegung derart in die Isolation verrannt hat.“

Dass sich München als „die Stadt, wo alles seinen Ausgang genommen hat“, allgemein „mehr anstrengen hätte müssen“, das findet auch Erich Schneeberger, Vorsitzender des Landesverbands Bayern der Sinti und Roma. Zu den Stolpersteinen gibt Schneeberger, dessen Familie zu 90 Prozent in Auschwitz ausgelöscht wurde, allerdings kein Votum ab. Er wolle sich nicht anmaßen, jemanden bei dem Thema zu bevormunden.

Hannah Imhoff, Sprecherin der Münchner Schülervertretung, begeistert mit ihrem druckreif vorgetragenen Statement pro Stolpersteine. Tom Kucera dagegen, Rabbiner der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München, schlägt nachdenkliche Töne an. Er ist ein klarer Befürworter der Stolpersteine, doch als erstes sagt er: „Es ist nie gut, wenn etwas einstimmig beschlossen wird.“ Kucera geht davon aus, dass das Verbot fällt – und dass sich die Stolpersteingegner dann davon überzeugen lassen, dass ihre Vorbehalte nicht stichhaltig waren.

Das Hauptargument der Gegner, dass Stolpersteine permanent dem Dreck ausgesetzt seien, wird von Amelie Fried mit dem Hinweis gekontert, dass „der Bürgersteig in Deutschland ja doch in der Regel gut gefegt“ sei. Fried macht zum Abschluss auch den entscheidenden Vorschlag: Bei der anstehenden Abstimmung im Stadtrat solle man den Fraktionszwang aufheben. (Florian Sendtner)


INFO: Stolpersteine

Die Stolpersteine sind ein Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig. Seit zwanzig Jahren verlegt er Pflastersteine, auf deren zehn mal zehn Zentimeter großer Messingoberfläche Name und Lebensdaten eines Opfers der NS-Diktatur eingraviert sind. Die Stolpersteine werden vor dem Haus, in dem der Betreffende zuletzt wohnte, im Bürgersteig eingelassen. Eine Inschrift lautet z.B.: „HIER WOHNTE / WALTER REITH / JG. 1885 / VERHAFTET / ERMORDET 23.5.1938 / KZ DACHAU“ Mittlerweile sind in ganz Europa fast 50 000 Stolpersteine verlegt. Die meisten findet man in Deutschland, allein in Köln sind es bereits 2000. Oft finden sich mehrere vor einem Haus, nicht selten kann man aus einer Stolperstein-Ansammlung die weitverzweigte Verwandtschaft einer Familie herauslesen.

Die Stolpersteine sind das größte dezentrale Gedenkkunstwerk der Welt. Das Projekt basiert auf dem Interesse von Verwandten, Nachbarn, Schülern, die das Schicksal eines Opfers der NS-Herrschaft recherchieren und bei Gunter Demnig einen Stolperstein bestellen, für den sie die Patenschaft übernehmen. Im Gegensatz zu staatlich errichteten Mahnmalen sind Stolpersteine also eine Privatinitiative, allerdings (in aller Regel) auf öffentlichem Grund. Das bedeutet, dass die Kommune zustimmen muss. In München ist das bislang nicht der Fall. Am 5. Dezember findet im Alten Rathaussaal von 9 bis 12 Uhr ein Hearing des Stadtrats zum Thema Stolpersteine statt, u.a. mit dem Historiker Edgar Wolfrum und dem Vorsitzenden der Initiative Stolpersteine für München Terry Swartzberg. (fs)

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