Landtag

Die Hetze im Netz nimmt zu – und begünstigt damit auch die Bildung extremistischer Gruppen in der realen Welt. (Foto: dpa)

27.01.2017

Der mühsame Kampf gegen Hass

Innenausschuss: Rassistische Hetze im Netz: Bericht über Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen Radikalisierung im Internet

Die Hasskriminalität im Internet hat im vergangenen Jahr weiter zugenommen. Nach vorläufigen Zahlen des Innenministeriums wurden 2016 bei der Polizei 1001 Delikte gezählt, 951 davon wurden als rechtsextremistisch eingestuft. Im Vergleich zu 2015 würde dies in etwa eine Verdoppelung der Fallzahlen bedeuten. Damit werde sich wohl der „Negativtrend der letzten Jahre fortsetzen“, erklärte die Leiterin der Abteilung Verfassungsschutz und Cybersicherheit, Petra Platzgummer-Martin, im Innenausschuss des Landtags. „Die Bekämpfung von Hetze und Radikalisierung im Internet ist eine der bedeutendsten polizeilichen Herausforderungen der Gegenwart“, schloss sie daraus.

Nach ihrer Wahrnehmung hat sich der Ton im Internet mit dem Zustrom der Flüchtlinge „deutlich verschärft“. Da es Profile in den sozialen Netzwerken ermöglichten, anonym zu bleiben, sinke die Schwelle für rechtsextremistische Äußerungen. Es meldeten sich aber nicht nur als rechtsextrem eingestufte Personen in beleidigender oder hetzerischer Weise, sondern auch bisher unauffällige Bürger. „Die ausgesprochen aggressive Rhetorik im Internet kann Radikalisierungsverläufe auslösen und beschleunigen“, sagte Platzgummer-Martin. Die ersten virtuellen Kontakte im Internet von Personen mit rechtsradikalem Gedankengut seien häufig die Vorstufe für Treffen in der realen Welt und die Bildung konspirativ tätiger Gruppen. Wie Platzgummer-Martin erläuterte, ist die Ermittlungsarbeit im Internet „äußerst personal- und zeitintensiv“. Dies liege an den oft großen Datenmengen, die es zu sichten gelte, der schwierigen Identifizierung der Echtnamen hinter Netzwerkprofilen und an der Tatsache, dass es vielfach Bezüge ins Ausland mit unterschiedlichen Rechtslagen und der Notwendigkeit von Amtshilfeersuchen gebe.

Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Burkhard Körner, betonte die wachsende Bedeutung des Internets für extremistische Propaganda, Hetze und Falschinformation. Einzelne Gruppen erregten durch die Verbreitung im Internet den Eindruck, selbst Kleinstaktionen ihrer Aktivisten seien große Medienereignisse. Zudem würden soziale Netzwerke und Kurznachrichtendienste im Internet für den Aufbau gewaltorientierter bis terroristischer Strukturen genutzt. Die Kunst der Nachrichtendienste sei es, die Gruppen zu infiltrieren, solange sie noch offen im Netz agierten, um ihnen später in geschlossene Strukturen folgen zu können, so Körner. Die Zeit dafür sei sehr kurz, weil die Radikalisierung immer schneller erfolge. Grund dafür sei zum einen, dass in den Gruppen eine Sozialkontrolle durch Andersdenkende fehle, zum anderen führten die Algorithmen der Suchmaschinen dazu, dass ein Nutzer von Seiten mit rechtem Gedankengut bei späteren Suchen immer mehr Treffer aus diesem Bereich angeboten bekomme. Damit verfestige sich bei diesen Personen die Meinung, diese Gedanken würden von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt.

Parteiübergreifendes Lob für die Sicherheitsbehörden

Zudem erlaube die Dynamik des Internets, dass sich jeder seinen ideologischen Baukasten selbst zusammensetzen könne, ergänzte Körner. So seien „Reichsbürger“ oder „Pegida“-Anhänger zunächst oft keine ideologisch gefestigten Rechtsextreme. Wegen der Gefahr der Radikalisierung beobachte der Verfassungsschutz deshalb auch auffällige Einzelpersonen aus dem Umfeld dieser Organisationen, ebenso wie der AfD. Stefan Ziegler aus der Polizeiabteilung des Innenministeriums erklärte, viele Bürger seien sich nicht bewusst, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sei. „Viele wissen gar nicht, dass es strafbar sein kann, bei beleidigenden oder hetzerischen Inhalten ein Like zu setzen oder diese weiterzuverbreiten“, sagte er.

Auf die Radikalisierungstendenzen im Internet reagiert die Staatsregierung mit der Aufstockung der „Cyber-Cops“ bei der Polizei von 45 auf 116 Stellen. Zudem sollen an allen Kripo-Inspektionen Bayerns spezielle Cybercrime-Kommissariate gebildet und normale Inspektionen mit besonders geschulten Beamten besetzt werden. Zur Strafverfolgung sind bei der Justiz 96 neue Stellen geplant. Platzgummer-Martin forderte eine Ausweitung der Verkehrsdatenspeicherung auf E-Mails, soziale Netzwerke und Messengerdienste wie Twitter und WhatsApp. Zudem müssten Hass und Hetze im Internet schärfer bestraft werden, da diese ein gesellschaftliches Klima schafften, das ein Rechtsstaat nicht dulden dürfe.

Die Arbeit der Sicherheitsbehörden fand unter den Abgeordneten parteiübergreifend große Unterstützung. „Der Staat muss bei Hass und Hetze klare Kante zeigen“, sagte Katharina Schulze (Grüne). Dazu gehöre auch eine verstärkte Präventionsarbeit und die Stärkung der Zivilgesellschaft. Zudem sah Schulze die Betreiber von Internet-Diensten in der Pflicht, radikales und extremistisches Gedankengut von ihren Seiten zu verbannen. Peter Paul Gantzer (SPD) kündigte für seine Fraktion die Unterstützung bei der Ausweitung der Verkehrsdatenspeicherung an. Für den Bereich der Justiz bemängelte er die vielen Verfahrenseinstellungen bei Hetze im Internet. Ihm stelle sich die Frage, ob die Brisanz der Thematik bei den Staatsanwaltschaften angekommen sei.

In die gleiche Kerbe schlug Eva Gottstein (Freie Wähler). Im Bereich der Strafverfolgung müsse „wissensmäßig aufgerüstet“ werden. Es sei verständlich, wenn Staatsanwälte bei dieser neuen Thematik noch Berührungsängste hätten, doch müssten sie sich intensiver damit beschäftigen. Bei der Prävention hielt es Gottstein für erforderlich, dass Vertreter der Sicherheitsbehörden direkt in den Schulen Aufklärung über die Gefahren aus dem Internet betrieben. Vorbild könnten die Verkehrserziehung oder die Drogenprävention sein. Hans Reichhardt (CSU) nahm die Strafverfolger in Schutz. Die Aufklärung im Bereich Internet sei „Sisyphos-Arbeit“ mit vielen Unwägbarkeiten. Das sei eine Erklärung für die hohe Zahl an Verfahrenseinstellungen. Dennoch appellierte er an Opfer von Internet-Hetze, Strafanzeige zu stellen. Scharf kritisierte Reichhardt die Zurückhaltung der Grünen bei gesetzlichen Änderungen. Es sei ein „unerträglicher Zustand“, wenn Behörden „bewusst blind gehalten“ würden. (Jürgen Umlauft)

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