Landtag

Durch TiSA kann die Deutsche Post flächendeckend in den USA ausliefern, glaubt das Bundeswirtschaftsministerium. (Foto: dpa)

16.10.2015

"Nicht das Monster, als das es oft dargestellt wird"

Europaausschuss: Anhörung zum Freihandelsabkommen TiSA

Ich kämpfe dagegen, immer weitere Lebensbereiche Rendite-Prinzipien zu unterwerfen, damit alle Fußgängerzonen künftig gleich ausschauen und in jeder Fußgängerzone weltweit dieselben 20 Ketten dominieren.“ Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forums Umwelt & Entwicklung in Berlin, war auf der Anhörung des Europa-Ausschusses zum Thema TiSA in dieser Woche einer der Gegner des geplanten Freihandelsabkommens.

„Es wird zuviel in TiSA hineininterpretiert“

TiSA steht für „Trade in Services Agreement“, auf Deutsch: Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Die EU verhandelt derzeit mit 23 anderen Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO), darunter auch den USA, über ein neues, international gültiges Handelsrecht für Dienstleistungen. Davon sind Branchen wie Verkehr, Finanzen, Bildung oder Gesundheit betroffen. Das aktuelle Abkommen GATS (General Agreement on Trade in Services) stammt aus dem Jahr 1995 und berücksichtigt unsere heutige digitale Welt so gut wie gar nicht.

Wie geht man handelsrechtlich im Zeitalter des Web 2.0 mit grenzübergreifenden Dienstleistungen um? „Um TiSA beurteilen zu können, muss man gleichzeitig die anderen geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA betrachten. Sie alle beruhen auf der überholten Ideologie, dass mehr Liberalisierung und mehr Globalisierung den Menschen weltweit zu mehr Wohlstand verhelfen“, sagte Maier den Abgeordneten. Dem widersprach Lutz Güllner, Referatsleiter in der Generaldirektion Handel der EU-Kommission: Handelsabkommen seien nicht „die Monster, als die sie oft dargestellt werden“. In ihre Komplexität würde von vielen Seiten „viel zu viel hineininterpretiert“. Güller gehört dem Team an, das für die Europäische Union seit März 2013 die Verhandlungen führt.

Der Ausschussvorsitzende Franz Rieger (CSU) und Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) interessierten sich vor allem dafür, inwieweit die öffentliche Daseinsvorsorge von TiSA und ähnlichen Abkommen künftig eingeschränkt werden könnte. Bei der Daseinsvorsorge geht es um staatliche Grundaufgaben wie zum Beispiel die Trinkwasserversorgung. Wie die Abgordneten erfuhren, sind bei TiSA auch sogenannte Sperrklinkenklauseln geplant. Sie stellen sicher, dass Rückschritte im Freihandel ausgeschlossen sind.

Eine einmal beschlossene Liberalisierung kann also nicht mehr revidiert werden. „Sperrklinkenklauseln sind für die öffentliche Daseinsvorsorge nicht geplant“, stellte Heinz Hetmeier klar, Referatsleiter für Handelspolitik im Bundeswirtschaftsministerium. Die Bundesregierung handle in Übereinstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden. Im Übrigen sei die derzeitig verhandelte TiSA-Formulierung zur öffentlichen Daseinsvorsorge identisch mit der im GATS-Abkommen von 1995.

Tanja Buzek vom EU-Verbindungsbüro der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (verdi) kritisierte, dass die TiSA-Verhandlungspartner geheim verhandelten. Zum Beispiel die Gewerkschaften könnten daher gar nicht abschließend beurteilen, ob im neuen Abkommen geplant sei, mühsam erkämpfte Arbeitnehmerrechte einzuschränken. „Ja, es wird geheim verhandelt“, erwiderte Güller, „aber das Europäische Parlament hat über seinen Handelsausschuss vollen Einblick in alle Papiere und über den Stand der Verhandlungen.“

Hin und wieder ist Außenstehenden ein Einblick möglich, wenn die Plattform wikileaks ihr zugespielte Positionspapiere aus dem Kreis der Verhandler veröffentlicht. „Und aus diesen Papieren wird deutlich“, so Buzek, „dass die Eingriffe weit über Zollabkommen hinausgehen. TiSA wird tief in den Regulierungsbereich von Staaten eingreifen.“ Es sei heute schon möglich, dass zum Beispiel ausländische Investoren sich an privaten Pflegeheimen in Deutschland beteiligen, entgegnete Hetmeier. Das habe nicht dazu geführt, dass deren Qualität gelitten habe: „Besondere Verwerfungen haben sich dadurch aus meiner Sicht nicht ergeben.“

„Das Abkommen wird auch der Deutschen Post helfen“

Jürgen Maier findet es schlimm genug, dass sich der Wettbewerb verschärfen soll. „Auch wenn TiSA den Markt zunächst nicht verändert, das Abkommen wird sich auf das Marktumfeld auswirken. Und wenn alles immer billiger werden muss, geht das irgendwann zu Lasten der Bürger und Verbraucher.“ Zu deren Lasten gehe auch, erwiderte Güllner, dass viele außereuropäische Firmen in der EU Handel treiben könnten, die Unternehmen der EU-Staaten aber nicht im jeweiligen Ausland. Das solle TiSA ändern. „Dieses Abkommen wird dafür sorgen, dass nicht nur UPS und FedEx in Deutschland Pakete ausliefern dürfen, sondern auch die Deutsche Post flächendeckend in den USA“, schloss Hetmeier. (Jan Dermietzel)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

BR Player
Bayerischer Landtag
Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.