Politik

Ein Flüchtling streicht das Dach eines kleinen Holzhauses – hier bei einer Aktion der Handwerkskammer Berlin. (Foto: dpa)

24.03.2016

Das Handwerk setzt auf Flüchtlinge

Immer mehr der neuen Zuwanderer fassen auf dem Arbeitsmarkt Fuß – Ausbildungen sind begehrt, Jobs aber oft noch mehr

Mit etwas Zeitverzögerung scheint die seit vergangenem September rollende Flüchtlingswelle auf dem bayerischen Arbeitsmarkt angekommen zu sein. Zum 1. März meldet die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit (BA) 73 960 arbeitslose Ausländer im Freistaat – der höchste Wert seit neun Jahren. 23 255 davon stammten aus den 15 zugangsstärksten Herkunftsländern von Asylbewerbern, also vor allem aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und dem nördlichen Afrika. Nach BA-Angaben liegt nahe, hinter dem Anstieg den Flüchtlingszuzug zu vermuten, doch konkret belegen oder gar beziffern lasse sich das noch nicht. Man kenne die Nationalitäten der Arbeitslosen, wisse aber nicht, wie lange diese schon in Deutschland seien, erläutert ein BA-Sprecher.
Die Tendenz ist in jedem Fall steigend, denn erst allmählich streben die jüngst in Bayern untergebrachten Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt. Schließlich dürfen sie sich erst drei Monate nach ihrer Registrierung um einen Job bemühen. Bei der BA geht man jedenfalls davon aus, dass sich in den kommenden Monaten noch mehr Flüchtlinge in den Job-Centern melden. Wie viele Flüchtlinge in Bayern schon in einem Betrieb untergekommen sind, darüber gibt es nur grobe Schätzungen. Die amtliche Beschäftigungsstatistik der BA hinkt aus Erhebungsgründen der aktuellen Entwicklung um einige Monate hinterher. Auch bei den Wirtschaftsverbänden hat man keine verlässlichen Daten. Von einer niedrigen vierstelligen Zahl ist die Rede.

Angst vor Schwarzarbeit


Im Grundsatz ist der bayerische Arbeitsmarkt aufnahmefähig. Kaum eine Branche, die nicht über Nachwuchs- oder Fachkräftemangel klagt. Doch einen Job zu finden, ist für Flüchtlinge nicht leicht. Nach einer aktuellen Umfrage des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) haben erst sieben Prozent der deutschen Firmen Flüchtlinge eingestellt, weitere elf Prozent wollen es noch tun. Auf Bayern heruntergebrochene Zahlen gibt es nicht. Wer schon Flüchtlinge im Betrieb hat, macht mit ihnen aber offenbar gute Erfahrungen. Denn immerhin 40 Prozent dieser Unternehmen planen, weitere einzustellen. Größte Hemmnisse sind laut IW-Umfrage fehlende Deutschkenntnisse, gefolgt von zu geringen fachlichen Qualifikationen sowie dem oft unsicheren Aufenthaltsstatus.
Großes Interesse an der Einstellung von Flüchtlingen hat das bayerische Handwerk, das seit Jahren auf Nachwuchssuche ist. Handwerkspräsident Georg Schlagbauer warnt aber vor zu großer Euphorie: „Wir brauchen kein Heer von gering qualifizierten Billiglöhnern, sondern ausgebildete Fachkräfte.“ Grundsätzlich gilt im bayerischen Handwerk „Refugees welcome“. Denn Lehrlinge aus anderen Ländern seien im bayerischen Handwerk eine „Selbstverständlichkeit“, betont Schlagbauer. 2015 habe man junge Menschen aus 120 Nationen ausgebildet. Mancher Betrieb nutzt die Fähigkeiten der Neuankömmlinge schon heute gezielt aus. So hat ein Konditor im oberbayerischen Murnau zwei Flüchtlinge angestellt und mit deren Kenntnissen sein Angebot um für hiesige Zungen exotisches Naschwerk erweitert.

Nur zehn Prozent der Flüchtlinge können rasch einen Job finden


Das allerdings scheint noch ein eher glücklicher Einzelfall zu sein. Deshalb setzen die koordinierten Maßnahmen von Bundesagentur, Wirtschaftsverbänden und Freistaat beim Spracherwerb und der Qualifizierung an. Bis 2020 sollen 60 000 Flüchtlinge in Lohn und Brot gebracht werden. Ein hartes Stück Arbeit, wie Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) erläutert. Im Projekt „Integration durch Arbeit“ (IdA) hatte die vbw schon vergangenen Herbst in einem ersten Schritt 120 junge Menschen mit Sprachkursen und Praktika an die Hand genommen, erst 13 davon sind bisher in Beschäftigung vermittelt worden. Brossardt geht davon aus, dass bei weniger als zehn Prozent der Flüchtlinge die kurzfristige Integration in den Arbeitsmarkt gelingen wird. Nach Erfahrungen der EU-Kommission dauert es 10 bis 15 Jahre, bis die Beschäftigungsquote anerkannter Asylbewerber auf dem Niveau der Wohnbevölkerung ist.
Ein Problem können aber auch die besten Integrationsideen nicht lösen: Viele Flüchtlinge wollen sich gar nicht ausbilden lassen, sondern gleich arbeiten – und sei es in schlecht bezahlten Aushilfsjobs. Der Grund: Sie haben sich für ihre Flucht viel Geld geliehen, um die Schlepper bezahlen zu können. Ihre erste Priorität ist also nicht, sich für den bayerischen Arbeitsmarkt fit zu machen, sondern möglichst rasch ihre Schulden zu begleichen. Der Bamberger Migrationsforscher Herbert Brückner glaubt deshalb auch, dass Flüchtlinge sich zunehmend als Schwarzarbeiter verdingen werden. Bei Sozialverbänden, Kammern und Gewerkschaften hat man dafür aber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bislang keine Hinweise. (Jürgen Umlauft)

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