Politik

Fachkräfte werden händeringend gesucht, auch in der Gastronomie. Ein Einwanderungsgesetz könnte helfen. (Foto: dpa)

18.11.2016

Die Angst vorm Zorn der Wähler

Ein Einwanderungsgesetz könnte den Fachkräftemangel entschärfen – nur die CSU sieht das nicht ein

Leider passiert das viel zu oft: Ein top ausgebildeter IT-Experte aus dem Ausland möchte bei einem deutschen Unternehmen anfangen, das händeringend Mitarbeiter sucht. Was dann an der deutschen Bürokratie scheitert. „Die Verfahren sind viel zu kompliziert und dauern viel zu lange“, klagt Martin Vesterling. „Immer wieder springen deshalb Bewerber ab.“ Der Münchner ist Vorstandsvorsitzender der Vesterling AG, einer Personalberatung im IT- und Technologiebereich. Knapp 700 Stellen hat er derzeit zu vergeben – alles Jobs, die Firmen selbst nicht besetzen konnten.

Viele Hochqualifizierte aus dem Nicht-EU-Ausland meiden Deutschland, gehen lieber nach Kanada, Großbritannien oder Skandinavien. Schlecht für Deutschland. Allein in Bayern fehlen laut IHK 140 000 Fachkräfte. Bis zum Jahr 2030 werden es 424 000 sein. „Schon jetzt entgeht dem Freistaat wegen des Fachkräftemangels eine Wirtschaftsleistung von elf Milliarden Euro jährlich“, sagt Peter Driessen, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK).

Die Blue Card bringt’s nicht


Was die Situation entschärfen könnte: ein Einwanderungsgesetz, welches das Sammelsurium von 50 verschiedenen Aufenthaltstiteln ersetzt – eine jahrealte Forderung von Wirtschaft und Politik. Die Bundestags-SPD hat unlängst ihr Konzept dafür vorgelegt: ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild. Bewerber aus Drittstaaten bekommen Punkte für Kriterien wie Qualifikation, Sprachkenntnisse, Arbeitsplatzangebot oder Alter. In einem ersten Schritt will die SPD jährlich 25 000 gut qualifizierte Einwanderer ins Land lassen. Dann soll der Bundestag die benötigte Zahl festlegen.

Unternehmer Vesterling, eigentlich kein großer SPD-Fan, begrüßt das Vorhaben. „Denn bislang gibt es aus Deutschland kein Signal, dass wir die Leute wirklich wollen. Das Gesetz könnte nun endlich solch eine Signalwirkung haben.“ Das meinen Grüne, Freie Wähler oder das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. BIHK-Geschäftsführer Driessen stellt allerdings fest: „Die politische Diskussion um ein Einwanderungsgesetz ist angesichts der großen Flüchtlingszahlen nicht einfacher geworden.“

Tatsächlich: „Das ist das völlig falsche Signal!“, wettert Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Die vielen Flüchtlinge in Deutschland „beweisen, dass wir eher zu viel statt zu wenig Zuwanderung haben“. Was die Schutzsuchenden mit einer gesteuerten Zuwanderung von dringend benötigten Fachkräften zu tun haben? Nichts. Das weiß auch die CSU, nur dem Wähler, dessen Zorn sie fürchtet, traut sie diese Erkenntnis nicht zu.

Bis auf den CSU-Integrationsbeauftragten Martin Neumeyer halten die Christsozialen die bestehenden Regelungen für ausreichend, um Fachkräfte nach Deutschland zu locken. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner und Erwin Huber (CSU), Vorsitzender des Landtags-Wirtschaftsausschusses, warnen vor neuer unnötiger Bürokratie. Der Vorteil der jetzigen Regelung, so Huber: „Der Zuwanderer hat immer auch eine Arbeitsstelle.“ Die ist Voraussetzung etwa für die Erteilung einer Blue Card, die Hochschulabsolventen das Arbeiten in der EU ermöglicht. Mit dem SPD-Gesetz dagegen hat theoretisch auch ein Bewerber ohne Jobangebot eine Chance. Sofern er mit seinen sprachlichen und beruflichen Qualifikationen die erforderliche Punktzahl erreicht.

Gesucht werden vor allem Nicht-Akademiker


Die Blue Card ist indes wenig erfolgreich. 2015 wurden in Bayern nicht mal 3000 bewilligt. Und mehr als die Hälfte davon ging an Drittstaatsangehörige, die längst in Deutschland lebten. Dazu kommt, dass die Blue Card nur auf Akademiker setzt: „Aber ein IT-Administrator muss kein Akademiker sein“, sagt Unternehmer Vesterling. „Und auch die wollen wir ansprechen.“

Akademiker, betont BIHK-Hauptgeschäftsführer Driessen, würden sogar nur zu einem geringen Teil gesucht. Tatsächlich beträfen mehr als 80 Prozent der vakanten Stellen beruflich qualifizierte Mitarbeiter. „Bei Verfahrenstechnikern, Konstrukteuren und Industriemeistern kann fast jede sechste Stelle im Freistaat nicht besetzt werden“, sagt er. Für Ausbildungsberufe mit nachgewiesenem Arbeitskräftemangel gibt es zwar die so genannte Positivliste der Arbeitsagentur – allerdings reicht die aus Driessens Sicht nicht aus: Der Industriemeister für Elektrotechnik steht darauf, der für Metall oder Mechatronik aber nicht. Der geprüfte Konstrukteur taucht gar nicht auf. Ebenso fehlen Berufe im Gastgewerbe, auch dort wird dringend Personal gesucht.

Dass Handlungsbedarf besteht, sieht auch die CDU, für die ein Einwanderungsgesetz lange tabu war. Beim Parteitag beschloss sie nun ein solches. CDU-Generalsekretär Peter Tauber erklärte den SPD-Entwurf dennoch für „noch nicht ganz ausgegoren“. Eine Umsetzung vor der Bundestagswahl 2017 lehnt er ab. Die Christsozialen dürften erleichtert sein. Schließlich hat die CSU bei ihrem Parteitag gerade ein „Einwanderungs-Begrenzungsgesetz“ beschlossen. (Angelika Kahl)

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