Politik

Anhänger des so genannten Islamischen Staats reklamierten den Amoklauf von München für sich – zu voreilig, wie sich später herausstellte. „Es gibt keine Sicherheit für Euch. Ihr habt die Tore zur Hölle geöffnet“, hieß es in dem Tweet. Twitter entfernte ihn einige Minuten später. (Screenshot: BSZ)

29.07.2016

"Facebook & Co tun viel zu wenig"

Hass, Gewalt und Propaganda: Wie können soziale Netzwerke stärker in die Pflicht genommen werden?

Kaum ein Terroranschlag, kaum ein Amoklauf, kaum ein Angriff auf ein Flüchtlingsheim, der in sozialen Netzwerken nicht umgehend von den jeweiligen Unterstützern gefeiert wird. Auch bei den schrecklichen Ereignissen in München letztes Wochenende spielten Facebook, Twitter, Youtube & Co eine große Rolle – vor allem gezielte Falschmeldungen in den sozialen Medien verstärkten die Panik in der Stadt. Die Polizei kündigte bereits harte Strafen für Trittbrettfahrer an. Zudem wird vermutet, dass sich sowohl der Axt-Attentäter von Ochsenfurt als auch der Selbstmordattentäter von Ansbach nicht zuletzt über Propaganda in sozialen Netzwerken so schnell radikalisiert haben.

So verwundert es nicht, wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Internet-Provider stärker in die Pflicht nehmen will. „Ich finde es nicht zu viel verlangt, dass Hassmails, Anleitungen zum Bombenbauen und Ähnliches schneller aus dem Netz verschwinden“, sagte er. Zwar hatte sich Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im vergangenen September mit Facebook, Twitter und Google auf eine Selbstverpflichtung geeinigt, nach der gemeldete Beiträge innerhalb von 24 Stunden auf Grundlage des deutschen Rechts geprüft werden. „Das Ergebnis Ihrer Anstrengungen bleibt aber bisher hinter dem zurück, was wir in der Task-Force gemeinsam verabredet haben“, schrieb Maas nach Angaben des Spiegel vor zwei Wochen an Facebook. Außerdem werde oft das Falsche gelöscht, beispielsweise Gegenreden gegen Fremdenfeindlichkeit. Da die Entfernung von Inhalten nicht die alleinige Aufgabe des Staates sein könne, prüft die Bundesregierung laut de Maizière jetzt die Möglichkeiten einer europarechtlichen Verschärfung der Providerhaftung.

Unterstützung erhält der Bundesvorstoß aus Bayern. Ausgerechnet auf Facebook verkündete Justizminister Winfried Bausback (CSU): „Im Internet und den sozialen Netzwerken müssen die Möglichkeiten von Fahndung und Gefahrenabwehr verbessert werden.“ Die zunehmende Verbreitung von Hasskommentaren und Hetze sei „unerträglich“, erklärt er auf Nachfrage der Staatszeitung. Zwar müssten Provider nach geltendem Recht Inhalte ihrer User erst löschen, wenn sie auf Rechtsverstöße aufmerksam gemacht wurden. Aber: „Facebook & Co tun noch deutlich zu wenig!“

Die Bundesregierung hält sich nicht an ihre eigenen Regeln

Bausback will außerdem höhere Strafen für Hasskommentare sowie die Sympathiewerbung für terroristischen und kriminelle Vereinigungen wieder unter Strafe stellen. Seit 2002 wird nur noch das Werben um neue Mitglieder und Unterstützer, nicht mehr die reine Sympathiewerbung als Terrorismus bestraft.

Für die Verschärfung der Providerhaftung setzt sich auch die SPD im bayerischen Landtag ein. Deren sicherheitspolitischer Sprecher Peter Paul Gantzer meint, Facebook, Twitter, Youtube & Co hätten sich wie „Kraken über das Internet gelegt“. „Mit dem Argument ’freies Netz für den freien Bürger’ reagieren sie nur zögerlich auf die Vorschläge aus Politik und Gesellschaft“, klagt er. Der Abgeordnete fordert auch, Hass und Hetze im Internet ohne strafrechtliche Milderung zu ahnden. Darüber hinaus müsste die internationale Kooperation gestärkt werden, um an Täter aus dem Ausland heranzukommen. „Das Problem ist, dass wir Darknet-Länder haben, die sich jeder internationalen Zusammenarbeit verweigern.“ Vor allem in osteuropäischen Ländern wird das Darknet verstärkt genutzt.

Die Grünen begrüßen zwar den Einsatz der Polizei gegen Hass und Hetze im Netz – beispielsweise bei der bundesweiten Razzia des Bundeskriminalamts. Die Bundesregierung hingegen würde „Selbstverständliches als Verhandlungserfolg“ verkaufen, meint der netzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz. Justiziable Inhalte nach 24 Stunden zu löschen entspreche längst der europäischen und deutschen Gesetzeslage. Besonders frappierend: „Die Bundesregierung hält sich selbst nicht daran, was sie anderen vorschreibt.“ Denn jedes Ministerium geht mit strafbaren Kommentaren auf ihren Seiten in den sozialen Netzwerken anders um – manche löschen sie, manche verbergen sie, und längst nicht alle leiten sie an die Justizbehörden weiter. Auch ob die Lösch-Versprechen der großen Anbieter eingehalten werden, prüft die Regierung nicht nach, wie eine kleine Anfrage von von Notz ergab.

Die Piratenpartei in Bayern wirft der Bundesregierung „in ihrem Regelungseifer“ indes vor, zu vergessen, dass das Internet keine Grenzen kennt. Nicht nur Deutschland und die USA hätten im Bereich Meinungsfreiheit unterschiedliche Denkansätze. „Will die Bundesregierung jetzt Serverbetreiber auf der ganzen Welt zum Filtern verpflichten?“, fragt die Vorsitzende Nicole Britz. Kein Straßenbetreiber sei dafür verantwortlich, wenn Bankräuber auf seinen Straßen fahren – gleiches müsse für Internetprovider und ihre Anwender gelten.

Die kritisierten Netzwerke reagieren kaum auf die Vorwürfe. Youtube antwortete auf BSZ-Anfrage gar nicht, Twitter verweist auf seine Nutzungsbedingungen, nach denen Hass und Gewaltandrohungen verboten sind. Facebook äußert sich ausführlicher: „Hassrede hat in unserer Gesellschaft keinen Platz – auch nicht im Internet“, versicherte Chief Operating Officer Sheryl Sandberg. Aus diesem Grund werde jeder Hinweis von einem der 28 Millionen deutschen Nutzer vom Community Operations Team geprüft. „Wir wollen das beste Prüfteam haben, das mit deutschen Sprachkenntnissen schnell und gewissenhaft reagiert – täglich, 24 Stunden am Tag“, ergänzte eine Sprecherin. Zusätzlich sei Facebook Mitglied der Freiwilligen Selbstkontrolle für Multimedia-Diensteanbieter, fördere die Etablierung von Counterspeech, also der aktiven Gegenrede gegen Extremismus und habe die Initiative für Zivilcourage Online ins Leben gerufen.

Für Mathias Müller von Blumencron, den FAZ-Chefredakteur für digitale Produkte, ist Facebook „eine Schleuder für Lügen und Hass, ein Werkzeug für Mörder, Terroristen und die Verrückten dieser Welt.“ Die Frage, die ihn umtreibt: „Wann wird der erste Terrorist sein Mordwerk live streamen?“ (David Lohmann)

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