Politik

Erfahrener Schlichter: Heiner Geißler moderierte beim Streit um "Stuttgart 21". (Foto: dpa)

31.10.2016

Geißler fordert Bürgerbeteiligung

Groß war zunächst die Freude bei Bahn, Bund, Staatsregierung und Stadt: Die Finanzierung der zweiten S-Bahn-Trasse in München scheint gesichert. In trockenen Tüchern ist der Milliarden-Bau damit aber noch nicht

Auch nach der Klärung der Finanzierung der neuen Stammstrecke für die Münchner S-Bahn steht das Milliarden-Projekt noch vor zahlreichen Problemen. Neben den baulichen Unwägbarkeiten ist die Schienentrasse quer durch die bayerische Landeshauptstadt auch immer noch ein Fall für die Justiz. Aktuell liegen am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) 14 Klagen gegen den Bau vor. "Die meisten beziehen sich auf die beiden Bauabschnitte Mitte und Ost", sagte VGH-Richter Klaus Löffelbein. In beiden Planungsabschnitten gebe es je sechs Klagen.

Im Bereich Ost (Haidhausen/Ostbahnhof) sind die Kläger private und institutionelle Grundstückeigentümer, die Angst vor den möglichen Belastungen während der neunjährigen Bauzeit haben. "Derzeit laufen noch die schriftlichen Erwiderungen der Bahn auf die Klagen", sagte Löffelbein. Ob es zu Verhandlungen komme, müsse abgewartet werden. Auch im Mittelabschnitt seien aktuell sechs Klagen anhängig, jedoch sei deren juristische Reichweite "sehr begrenzt". Die Verfahren würden nicht das Projekt als Ganzes infrage stellen, hier gehe es im Kern vor allem um die Verlegung von Leitungen.

Im westlichen Planungsabschnitt (Laim bis Stachus) seien inzwischen nur noch zwei Klagen offen. Trotz der Klagen rechnet Bayerns Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) mit keinen größeren juristischen Problemen: "Wir sehen ohnehin keinen Anlass für große Bürgerproteste." Es gebe aber derzeit auch keine Riesenwiderstände. "Wenn man der Bevölkerung in München und Umgebung begegnet, weiß man, wie wichtig das ist", betonte auch Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Ab 2026 soll die neue Stammstrecke befahren werden, im kommenden Jahr sollen die Bauarbeiten offiziell beginnen.

Geißler: Bürger sollen über das Projekt abstimmen

Unterdessen spricht sich der erfahrene Streitschlichter Heiner Geißler für eine Abstimmung der Bürger über das Projekt aus. "Dieses Verfahren verhindert eine Emotionalisierung der Debatte und trägt nicht nur zur Versachlichung der Diskussion bei, sondern ermöglicht jedem interessierten Bürger im besten Sinne der Aufklärung die Bildung eines eigenen Urteils", sagte der Ex-CDU-Generalsekretär und Schlichter des umstrittenen Bahnprojektes Stuttgart-21. Nur ein transparentes Verfahren, über das die Bevölkerung abstimmen kann, garantiere eine Realisierung bei Großprojekten - egal ob Stromtrassen, Flughäfen oder Bahnhöfe. Die Abstimmung könne in unterschiedlichen Formen erfolgen, wichtig sei aber, dass es auch Alternativen gebe, über die abgestimmt werden könne, sagte Geißler.

Doch nicht nur juristisch ist das mehr als 3,2 Milliarden Euro teure Mammutprojekt nicht unumstritten. Experten ziehen gar Parallelen zum umstrittenen Eisenbahnprojekt Stuttgart 21, sprechen von einer "Betonpolitik" und bezweifeln, dass mit der zweiten Trasse das eigentliche Ziel, den S-Bahn-Verkehr in München zu entlasten, überhaupt erreicht werden kann. "Das Münchner S-Bahn-System krankt daran, dass fast alle Fahrgäste mitten durch das Münchner Stadtzentrum gedrückt werden. Auch wer gar nicht in das Zentrum will, muss hindurch", sagte der Bahnexperte Gerd Weibelzahl vom Verkehrsclub Deutschland. Diesen groben Mangel beseitige auch die zweite Stammstrecke nicht, sondern verschärfe ihn sogar.

"Betonpolitik ist in diesem Land sehr en vogue, Stuttgart 21 ist auch so ein Projekt, wo viel Beton versenkt wird, wo die Tunnelbauer viel Geld verdienen, der Nutzen für die Verkehrsentwicklung aber sehr fraglich ist. Und so wird das in München auch sein", sagte der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim dem Bayerischen Rundfunk. (dpa)

Kommentare (1)

  1. Kasandra am 31.10.2016
    Vielleicht würde so erst einmal ein vernünftiger Ansatz gefunden. Außer von Dr. Kronawitter folgte bezüglich des Nordrings keine Diskussion zur Verbesserung der Nord-Süd-Verknüpfungen, insbesondere Abkürzungen. Denn die bisherige Stammstrecke reicht lässig für Ost-West-Verbindungen! Im Moment gibt es jedoch noch keine Alternativen zu der eindimensional verkürzten Betrachtung des zweidimensionalen Netzes für dessen als Westäste bezeichnete Nord- und Südäste, weshalb nur Ost-West-Trassen zur Diskussion stehen. Und je nach Glaubensrichtung beweihräuchern alle ihre Religion, ohne zu erkennen, daß die Schwächen der Anderen, die sie schonungslos aufdecken den eigenen sehr ähnlich sind und sich im geringen Kosten-Nutzen-Faktor widerspiegeln.
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