Politik

Ein Schatten liegt über dem einst mächtigen Familienimperium. (Foto: dpa)

03.02.2012

Gewerkschaften kämpfen für Schlecker

Nach der Insolvenz ergeben sich überraschende Allianzen - Verdi bringt ein Genossenschaftsmodell ins Spiel

Der Name sollte Aufbruchsstimmung signalisieren: „Fit for Future“, nannte die Schlecker-Führung ihr im November 2010 verkündetes Sanierungsprogramm. 230 Millionen Euro wollte der Konzern im Zuge der Restrukturierung in seine bundesweit mehr als 6000 Filialen stecken – die Märkte sollten heller werden und kundenfreundlicher. Doch nur 15 Monate später herrscht bei der schwäbischen Drogeriekette Endzeitstimmung. Schlecker musste vor zwei Wochen aufgrund von Ausständen in Millionenhöhe beim Amtsgericht Ulm Insolvenz anmelden.
Rund 32 000 Mitarbeiter bangen seither um ihre Jobs – darunter nach Schätzungen des bayerischen Wirtschaftsministeriums 6000 bis 7000 Verkäuferinnen im Freistaat. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz sieht bei dem Unternehmen zwar einen „guten Kern“ – das Gros der unrentablen Filialen sei nun geschlossen. Doch klar ist: Selbst im Fall einer Rettung dürften Tausende Arbeitsplätze dem Rotstift zum Opfer fallen. Ein Verkauf der Kette an einen Mitbewerber scheint unwahrscheinlich: Konkurrent Rossmann etwa hat nur an 50 bis 80 Schlecker-Märkten Interesse.
Eine Hauptursache für die Misere der Drogeriekette ist nach Ansicht von Marktbeobachtern deren Schmuddel-Image: Jahrelang gehörten Schnüffelattaken, Mobbing und Lohndumping offenbar zum Alltag bei Schlecker. Einer Analyse der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zufolge hat der insolvente Einzelhändler in den vergangenen fünf Jahren rund sechs Millionen Kunden verloren. „Die Diskussionen um Dumpinglöhne und Mitarbeiterschikanen bleiben beim Kunden in Erinnerung“, sagt auch Manfred Hunkemöller, Experte des Kölner Instituts für Handelsforschung.
Doch was viele Kunden nicht wissen: Schlecker ist als Arbeitgeber längst nicht mehr so schlecht wie sein Ruf. „Bei Schlecker hat sich aus Mitarbeitersicht mittlerweile vieles verbessert“, sagt Verdi-Sprecherin Christiane Scheller. So seien die meisten Jobs bei der Drogeriekette Vollzeitstellen. Im gesamten Einzelhandel sind laut Verdi dagegen mehr als die Hälfte der Beschäftigen als Teilzeitkräfte angestellt – viele auf 400-Euro-Basis. Auch zahlt das Unternehmen Tariflöhne. „Das sind gute Arbeitsplätze“, ist die Gewerkschafterin überzeugt. Nachdem Schlecker Anfang 2010 wegen eines massiven Ausbaus der Leiharbeit in die Schlagzeilen geriet, gelang es der Gewerkschaft und dem Gesamtbetriebsrat (GBR) massive Beschränkungen der Zeitarbeit durchzusetzen.


Verdi fordert Staatshilfen


Ein so weitgehendes Verbot der Leiharbeit sei in der Branche einmalig, sagt der Münchner Arbeitsrechtsanwalt Rüdiger Helm, der den Schlecker-GBR vertritt. Betriebsrat und Verdi können sich durchaus vorstellen, dass die Kinder des Unternehmensgründers Anton Schlecker das Unternehmen künftig weiterführen. „Wir halten es für glaubhaft, dass Schlecker den Wechsel will“, erläutert Scheller.
Aus Sicht der Gewerkschaft gibt es aber noch eine andere Option: Schlecker könnte nach der Insolvenz als Genossenschaft – also in Mitarbeiterhand – weitergeführt werden. Dafür gibt es zwar hohe rechtliche und praktische Hürden. Etwa drei Viertel der Angestellten müssten mitmachen. Doch zumindest bei der Linkspartei stoßen solche Überlegungen auf Zustimmung: „Das wäre eine große Chance zum Neuanfang“, sagt die Ingolstädter Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter. Falls nötig müssten Bund und Länder ihrer Meinung nach dem strauchelnden Unternehmen auch mit Bürgschaften unter die Arme greifen. Staatliche Hilfen fordert auch Verdi. „Jetzt ist dafür aber noch nicht der Zeitpunkt“, sagt Gewerkschafterin Scheller. Erst müsse sich der Insolvenzverwalter einen Überblick über die verbliebenen Vermögenswerte verschaffen.
Eine Sprecherin des bayerischen Wirtschaftsministeriums betonte, es sei noch zu früh, um über eventuelle Hilfen zu entscheiden. Wichtig sei jetzt, dass die Kunden weiter bei Schlecker einkaufen, betont Verdi-Sprecherin Schellinger. Nicht nur für die Mitarbeiterinnen, auch für die Gewerkschaft steht viel auf dem Spiel: Wegen der lange Zeit miesen Arbeitsbedingungen hatten viele Verkäuferinnen der Gewerkschaft in den vergangenen Jahren die Türen eingerannt. In mehr als 1000 Filialen gibt es deshalb mittlerweile einen Betriebsrat. Viele andere Einzelhändler wie Aldi oder Lidl sind dagegen oftmals mitbestimmungsfreie Zonen. Eine Zerschlagung Schleckers könnte den ohnehin schwachen Einfluss der Gewerkschaften im Einzelhandel deshalb weiter schwächen.

Auch Bayerns Assekuranzen wären betroffen


Für Bayerns Versicherer hätte die Pleite möglicherweise ebenfalls ernste Konsequenzen: Denn viele Schlecker-Lieferanten haben sich gegen einen drohenden Zahlungsausfall versichert – und der könnte nach der Insolvenz tatsächlich eintreten: So befürchtet die Hannover Rück Schäden in Millionenhöhe. Bei der Münchner Rück heißt es auf Anfrage dagegen, es gebe noch keine konkreten Zahlen. Und auch manche bayerischen Dörfer bangen – denn Schlecker ist oft eines der letzten Geschäfte vor Ort. Rund 1500 Schlecker-Filialen gibt es im Freistaat – viele davon auf dem Land. In Adelsried bei Augsburg prangt am Eingang der einstigen Filiale des Drogeriemarktes bereits ein „Zu vermieten“-Schild, nachdem diese jüngst schließen musste. Weitere könnten folgen.
(Tobias Lill)

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