Politik

Bei der Akupunktur werden mit einer Nadel genau definierte Punkte auf der Körperoberfläche entlang der Meridiane stimuliert. (Foto: dpa)

29.09.2017

Grenzen der Kompetenzen

Schulmediziner versus Heilpraktiker: Holen die Ärzte jetzt zum finalen Schlag aus?

Seit Jahrzehnten tobt ein Kampf zwischen Ärzten und Heilpraktikern. Nachdem letztes Jahr mehrere Krebspatienten nach einer Behandlung durch einen Heilpraktiker gestorben sind, fordert jetzt der Münsteraner Kreis, eine interdisziplinäre Gruppe aus Medizinethikern, Ärzten und Medizinrechtlern, den Heilpraktikerberuf abzuschaffen. Alternativ sollen sie vorher zumindest eine staatliche Ausbildung zum Krankenpfleger, Logopäden oder Physiotherapeuten absolvieren müssen.

Die Heilpraktiker wehren sich: Aus ihrer Sicht wird die Kritik an spektakulären Einzelfällen festgemacht und dann pauschal auf die gesamte Heilpraktikerschaft übertragen. „Dahinter steht der Wunsch eines Monopols der wissenschaftsfixierten Medizin“, schimpft Ursula Hilpert-Mühlig vom Fachverband Deutscher Heilpraktiker. So soll unliebsame Konkurenz ausgeschaltet werden. Auch die Ausbildungsreform lehnt sie ab. Dann wäre der Heilpraktiker nur noch ein dem Arzt zuliefernder Hilfsberuf. Wer hat Recht?

Gefragt, ob Regelungsbedarf besteht, verweist das Bundesgesundheitsministerium auf die Bundesländer. Noch in diesem Jahr wollen Bund und Länder die „Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärtern“ erarbeiten. Akuten Handlungsbedarf sieht Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) allerdings nicht. „Die rechtlichen Vorgaben für die Tätigkeit der Heilpraktiker haben sich grundsätzlich bewährt“, sagt sie der Staatszeitung. Allerdings will sie analog zur schriftlichen Prüfung die mündliche Prüfung bundesweit vereinheitlichen. „Nur so erreichen wir vergleichbare Qualitätsmaßstäbe“, so Huml.

In Bayern gibt es derzeit 23 600 Heilpraktiker – davon rund 5000 im Hauptberuf. Im Gegensatz zu den Ärzten reicht ein Hauptschulabschluss für die Zulassung aus. Die Prüfung ist auch keine reguläre Wissensabfrage, sondern ein allgemeiner medizinischer Faktencheck. Getestet wird, ob „keine Gefahr für die Volksgesundheit“ ausgeht, wie es im Gesetz von 1939 heißt. Dennoch sind letztes Jahr 62 Prozent der Anwärter in Bayern durchgefallen.

Das Gesetz stammt von 1939

Wer bestanden hat, darf dennoch keine verschreibungspflichtigen Medikamente verordnen, Geburtshilfe anbieten oder bestimmte Infektionskrankheiten behandeln – darüber wachen die jeweiligen Gesundheitsämter. Zu den gängigen Behandlungsverfahren gehören stattdessen Fußreflexzonentherapie, Kinesiologie, Osteopathie, die Traditionelle Chinesische Medizin (TMC) und homöopathische Injektionstechniken sowie Eigenblutbehandlungen.

Dem Deutschen Ärztetag sind vor allem die letzten beiden Punkte, also die invasiven Maßnahmen, und die Behandlung von Krebserkrankungen ein Dorn im Auge. Der Gesetzgeber möge daher beide Tätigkeiten von der Behandlungsliste der Heilpraktiker streichen. Der Präsident der bayerischen Landesärztekammer, Max Kaplan, schließt sich den Forderungen an. Auch die Vorschläge des Münsteraner Kreises sieht er positiv: „Durch sie wird der Bevölkerung die Diskrepanz der beiden unterschiedlichen Berufsbilder Arzt und Heilpraktiker deutlich.“ Einen neuen Ausbildungsberuf lehnt er allerdings ab. Der Titel des Fach-Heilpraktikers löse die Probleme nicht.

In einem für den Freien Heilpraktikerverband erstellten Rechtsgutachten kommt Jurist René Sasse zu dem Ergebnis, dass die Abschaffung des Berufs mit der verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit nicht vereinbar ist. Krebsbehandlungen von Heilpraktikern könnten zwar „mit Fug und Recht“ kritisch betrachtet werden. „Hieraus könnte sich jedoch allenfalls die Forderung rechtfertigen, diese Therapieform zu untersagen“, heißt es in dem Papier. Das sei aber schon mit der jetzigen Gesetzeslage möglich. Weitergehende Forderungen sind für Sasse „eine unangemessene Kollektivstrafe“ für alle anderen Heilpraktiker.

Ob Heilpraktiker häufiger Falschdiagnosen als Ärzte stellen, kann das Gesundheitsministerium nicht sagen. Dazu lägen keine Studien vor. Der Philosoph Nikil Mukerji von der Uni München glaubt aber, dies sei aufgrund der minimalistischen Prüfung der Heilpraktiker sehr wahrscheinlich. „Im schlimmsten Fall unterzieht sich der Patient dann einer wirkungslosen Therapie, statt einen Arzt aufzusuchen“, warnt Mukerji. Menschen müssten daher besser über die Grenzen der Kompetenzen von Heilpraktikern aufgeklärt werden. Allerdings sind auch Ärzte keine Götter in Weiß: „Wissenschaftsorientierte Mediziner sind natürlich auch nur Menschen. Auch sie können Fehler machen.“

Und was sagt die Politik? Der Vizechef des Gesundheitsausschuss im Landtag, Bernhard Seidenath (CSU), findet, man müsse sich mit den Vorschlägen des Münsteraner Kreises ernsthaft auseinandersetzen und für eine bessere Überwachung bei der Berufsausübung sorgen. Eine Abschaffung erwägt seine Fraktion allerdings nicht. „Wir stehen zum Berufsstand der Heilpraktiker“, sagt Seidenath der BSZ. Die Grünen sind ebenfalls gegen ein Verbot – aber für eine Reform der Ausbildung. „Es wird nicht geprüft, ob ein Heilpraktikeranwärter eine Spritze setzen kann, obwohl er es nach der Prüfung tun darf“, klagt der Landtagsabgeordnete Uli Leiner (Grüne).

Die SPD fordert keine Reform, sondern eine bundeseinheitliche Neufassung des Gesetzes. „Es gibt bereits einen regelrechten Prüfungstourismus mit einer Briefkastenadresse bei Verwandten, da der Erstwohnsitz darüber entscheidet, bei welchem Gesundheitsamt die Prüfung zu erfolgen hat“, erzählt die Abgeordnete Ruth Waldmann (SPD). Um zwischen „seriösen Heilpraktikern und Scharlatanen“ besser unterscheiden zu können, sehen die Freien Wähler vor allem die Hochschulen in der Pflicht. „Sie müssen für die Politik klare Handlungsempfehlungen erarbeiten“, betont der Abgeordnete Karl Vetter (FW).

Wie der Streit ausgeht? Hoffentlich im Sinne der Patienten. Die meisten sehen zwischen Naturheilkunde und Schulmedizin keine Gegensätze, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Und beide wollen den Patienten helfen. Der Landtag hat daher beschlossen, ein sogenanntes Plankrankenhaus einzurichten, bei dem modellhaft die Ansätze von Schul- und Alternativmedizin zusammengeführt werden sollen – zum Wohle der Patienten. (David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. Gast am 19.10.2017
    Ich verstehe nicht, dass so viel immer wieder über Heilpraktiker diskutiert wird. Was dürfen sie, was nicht?
    Ein Heilpraktiker ist KEIN Arzt genau so wie ein Busfahrer ist KEIN Pilot.
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