Politik

Im Polittrubel: Hubert Aiwanger und Sohn 2013 im Landtag – mit Ministerpräsident Seehofer und SPD-Frau Isabell Zacharias. (Foto: dpa)

11.09.2015

Politikfreier Sonntag: ein schöner Traum

Familie und Beruf zu vereinbaren, ist immer noch ziemlich schwierig – leider auch in der Politik, die eigentlich Vorbild sein sollte

Dienstag bis nachts im Plenum, die restliche Woche ganztägig Partei- und Fraktionstermine, und am Wochenende Bürgerfeste und Jubiläen: Zeit für die Familie bleibt Eltern in der Politik kaum. Das nervt Mandatsträger/innen mit Kindern ebenso wie junge Leute, die erwägen, für ein politisches Amt zu kandidieren. Was muss konkret besser laufen – und welche Initiativen gibt es bereits? Kinder und Politik: Simone Strohmayr, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Landtags-SPD, stöhnt auf. „Der Politikbetrieb ist mega-familienunfreundlich“, klagt die 47-jährige Rechtsanwältin aus Augsburg. Die Mutter dreier Kinder im Alter von 23, 15 und 6 Jahren sitzt seit 2003 im bayerischen Landtag. Und ärgerte sich all die Jahre über die familienunfreundlichen Usancen des Politbetriebs. „Wenn man wollte“, so Strohmayr, „könnte man einiges ändern.“ Zum Beispiel hätte ihr geholfen, wenn Plenarsitzungen grundsätzlich am selben Tag stattfinden, und nicht einmal am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag. „Feste Sitzungstermine sind einfach besser planbar.“

Landtag Baden-Württemberg bietet als erstes Parlament Elternzeit für Abgeordnete

Vorstöße, das zu ändern, sind laut Strohmayr in interfraktionellen Gesprächen gescheitert – an der CSU. Was sie ebenfalls bemängelt: dass es für Landtagsabgeordnete weder Mutterschutz noch Elternzeit gibt. Natürlich könnten Abgeordnete einige Wochen nach der Geburt zuhause bleiben. Allerdings werden Sitzungsgelder gekürzt, wenn man Sitzungen verpasst – unabhängig vom Anlass. „Zwischen Landtag und Abgeordneten besteht kein Arbeitsverhältnis“, erklärt ein Landtagssprecher. „Deshalb gibt es auch keine Elternzeit-Regelung.“ Der Landtag Baden-Württemberg sowie der Bundestag zeigen, dass es auch anders geht: Als erstes Landesparlament beschloss der Stuttgarter Landtag Ende 2014 eine Elternzeit-Regelung. Abgeordnete können sich dort für längstens sechs Monate nach der Geburt eines Kindes beurlauben lassen. Und im Bundestag fand man vor einiger Zeit eine unbürokratische Lösung für frischgebackene Abgeordneten-Mütter: Mutterschutz im eigentlichen Sinn gibt es zwar auch dort nicht. „Aber in der Praxis ist es inzwischen so, dass jungen Müttern nach der Geburt keine Sitzungsgelder abgezogen werden, wenn sie an einer Plenarsitzung nicht teilnehmen können“, sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete und Ex-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder der Staatszeitung.

Polit-Eltern wünschen sich: Die Geschäftsordnung des Bundestags soll geändert werden

Anfang des Jahres hat Schröder zusammen mit anderen Müttern im Bundestag die fraktionsübergreifende Initiative „Eltern in der Politik“ gegründet. Ziele sind beispielsweise ein politikfreier Sonntag oder familienfreundliche Veranstaltungen – also etwa die Möglichkeit, Kinder zu Polit-Terminen mitzubringen. Schröder will zum einen erreichen, dass sich möglichst viele Mandatsträger – auf kommunaler, auf Landes- oder Bundesebene – im Wege einer Selbstverpflichtung der Initiative anschließen, also etwa von sich aus keine Sonntagstermine anberaumen. Gut 200 haben das inzwischen zugesagt. Zum anderen will die Initiative die Rechte von Bundestagsabgeordneten mit Kindern verbessern und dafür die Geschäftsordnung des Parlaments ändern: So sollen die Fraktionen auf nächtliche namentliche Abstimmungen verzichten, und es soll in Anlehnung an die Regelung in Baden-Württemberg eine so genannte Kinderzeit für Eltern geben – die Fraktionen sollen sich in diesem Rahmen etwa auf Pairing-Regelungen einigen, also darüber, dass im Fall eines Fehlens von Neu-Müttern oder -Vätern bei Abstimmungen auch die anderen Fraktionen eine/n Abgeordnete/n weniger abstimmen lassen. Außerdem wollen die Initiatoren ein Spielzimmer im Reichstag. Auch bayerische Politiker haben sich Schröders Initiative angeschlossen. Die Landtagsabgeordneten Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU) und Isabell Zacharias (SPD) beispielsweise, die linke Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke oder der aus München stammende Bundestagsvizepräsident Joachim Singhammer (CSU). Kürzlich traten die Münchner Grünen bei. Zwar sei vieles, was in der Selbstverpflichtung stehe, für die Grünen bereits „eine Selbstverständlichkeit“, sagt Gudrun Lux, Mitglied des Grünen-Parteivorstands in der Landeshauptstadt. Der Mutter einer 14 Monate alten Tochter geht es aber darum, „für das Thema zu sensibilisieren“. Und zu schauen, „wo wir noch besser werden können“.

Kinderbetreuung bei Parteitagen? Hubert Aiwanger findet’s gut

Zum Beispiel soll es Spielsachen in den Geschäftsräumen und kindersichere Steckdosen geben. Und verlässliche Termine – analog zu Simone Strohmayrs Wunsch nach fixen Plenarsitzungen im Landtag. Und die Stadtratsgrünen wünschen sich eine Kinderbetreuung im Rathaus. Hier ist der Landtag bereits Vorreiter: Auf Initiative von Landtagspräsidentin Barbara Stamm wurde 2009 eine Kinderkrippe eingerichtet, eine Erweiterung um einen Kindergarten ist in Planung. Hubert Aiwanger, Parteivorsitzender und Fraktionschef der Freien Wähler im Landtag, liebäugelt mit einer Kinderbetreuung bei Parteitagen. Er kündigt an: „Ich will versuchen, das umzusetzen.“ Aiwanger ist selbst Vater eines kleinen Buben und weiß um die zeitlichen Nöte von Polit-Vätern – ebenso wie seine Lebensgefährtin, die Landrätin Tanja Schweiger. Er selbst nimmt sich regelmäßig Familientage. „Als Parteichef bin ich in der komfortablen Lage, Termine bestimmen zu können.“

So einfach haben’s andere nicht. Als sie noch Vizegeneralsekretärin war, wünschte sich CSU-Frau Dorothee Bär, Mutter dreier Kinder, dass der Jour Fixe nicht immer am Sonntagnachmittag stattfindet. „Da waren für mich inklusive Anreise 7 Stunden futsch“, entsinnt sich die Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Durchsetzen konnte sie sich damals nicht. Vom politikfreien Sonntag träumt auch CSU-Mann Singhammer: „Am Sonntag will ich Zeit für die Familie haben und für alle kochen.“

Tatsächlich sind Partei- und Stimmkreistermine häufig das größere Problem als Parlamentssitzungen. „Die finden nämlich vorwiegend abends und sonntags statt“, seufzt die grüne Landtagsabgeordnete Claudia Stamm, Mutter zweier Töchter. Sie bedauert, dass es deshalb auch bei den Grünen „kaum politisch aktive junge Frauen gibt, die kleine Kinder haben“.

Politikexpertin Kürschner: Politikerinnen schweigen das Thema Familie zu oft tot

Zu wenig junge Frauen in der Politik – das beklagt auch die Politologin Isabelle Kürschner. Helfen würde ihrer Meinung nach, wenn mehr Politiker/innen offen über ihr Familienleben sprächen: „Ein großes Problem bei Berufspolitikerinnen ist, dass sie das Thema totschweigen.“ Das hat Kürschner wiederholt erfahren – sie ist Beraterin des Audit „berufundfamilie“, das Unternehmen und öffentliche Einrichtungen in Sachen familienbewusster Personalpolitik unterstützt. „Man darf Kinder ruhig mal mitnehmen zu Terminen oder über sie reden“, sagt Kürschner. Und erinnert sich an einen Bürgermeister, dessen Sekretärin Anrufern explizit ausrichten musste, dass ihr Chef „gerade bei einer Schulaufführung seiner Tochter ist“. (Angelika Kahl, Waltraud Taschner) Foto (v.o):
Die SPD-Landtagsabgeordnete Simone Strohmayr wünscht sich planbare Parlamentsabläufe. Damit ist sie nicht allein; dpa 
Familienausflug zur Dult Regensburg: Hubert Aiwanger und Tanja Schweiger mit Sohn Laurenz; privat
Zum Christopher Street Day mit Tochter: Die Münchner Grünen Gudrun Lux und Florian Roth mit der kleinen Valerie; privat

Kommentare (1)

  1. Beate am 11.09.2015
    Das ist in Deutschland ganz einfach mit einem autofreien Sonntag zu regeln!
Die Frage der Woche

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