Unser Bayern

Bier und Kult kennt auch moderne Rituale wie die Bierdusche beim Fußball, vornehmlich bei einem Pokalsieg. Auch das soll eine bayerische Erfindung sein: Sie wird dem FC Bayern zugeschrieben. Die Frage, ob Giovane Elber oder Mario Basler im Jahr 2000 die Urheber waren, wird in der Fangemeinde noch immer diskutiert. (Foto: dpa)

29.01.2016

Der Stoff, aus dem die Räusche sind

Bilsenkraut, Brechnuss & Co.: Was man früher alles verbraute. Eine Spurenanalyse auf dem Weg zum reinen Bier

Der Ruf nach staatlicher Regulierung des Brauwesens ist so alt wie das Bierbrauen selbst. Schon in der Antike zeigen Staaten, für deren Bewohner Bier ein unverzichtbares Nahrungsmittel darstellt, Interesse an dessen Qualität. Im Ägypten des zweiten vorchristlichen Jahrtausends wird die Stärke des Bieres durch das Verhältnis zwischen der eingesetzten Getreidemenge und dem daraus erzeugten Bier mittels einer Verhältniszahl „psw“, festgelegt. Später benutzt man diese, um Brauereien das benötigte Braugetreide zuzuteilen und das Bier zu besteuern. Die behördliche Fixierung des Verhältnisses von Malz zu Bier dient später auch dem bayerischen Staat zur Sicherstellung der Bierqualität und der Veranlagung der Biersteuer. Während sich die Römer gemäß ihrem Grundsatz „caveat emptor“ („möge sich der Käufer vorsehen“) einer staatlichen Regulierung der Lebensmittelproduktion enthalten, gibt Karl der Große im neunten Jahrhundert für seine Pfalzen zumindest Hygienestandards bei der manuellen Herstellung von Malz und Bier vor. Erst als im späten 13. Jahrhundert das Bier für die Versorgung der Bevölkerung, besonders in Städten, unverzichtbar wird, beginnen die Obrigkeiten ernsthaft Qualitätsnormen festzulegen und in seine Herstellung regulierend einzugreifen. Eine der ersten solcher Bestimmungen findet sich im Augsburger Stadtrecht von 1196. Dort wird ein Tavernenwirt (Tavernen waren in Süddeutschland die ersten kommerziellen Brauhäuser), der minderwertiges Bier ausschenkt oder falsche Maße benutzt, mit schwerer Strafe bedroht. Es bedurfte noch keiner Spezifikation, was unter einem „minderwertigen“ Bier zu verstehen sei, das wusste damals jeder. 1266 werden in England frühere lebensmittelrechtliche Verordnungen in einem Erlass (Assisa Panis et Cervisie) bezüglich Brot und Bier zusammengefasst, der bis 1863 in Kraft bleibt. Die englischen Verordnungen des 14. Jahrhunderts enthalten drei Module, die sich in der einen oder anderen Form immer wieder in Brauordnungen finden: Erstens wird der Bierpreis in Abhängigkeit vom Getreidepreis und vom Herstellort (Stadt oder Land) fixiert. Zweitens werden die erlaubten Braugetreide festgelegt und verschiedene Bierqualitäten genannt. Drittens wird eine lokale Überwachungsbehörde, die Biertester geschaffen. Diese legen nicht nur den Preis fest, sondern überwachen auch Qualität und Schenkmaße beim Bierverkauf. Zur selben Zeit – 1268 – sanktioniert auch der französische König Ludwig IX die Statuten der Pariser Brauer. In diesen ist festgelegt, dass Bier nur aus Gerste, Mischgetreide oder Getreidemehl hergestellt und – um nachträgliche Manipulationen zu verhindern – nur im Brauhaus verkauft werden darf. Ausdrücklich verboten wird, Beeren, Gewürze oder Harz in das Bier zu mischen, weil „die Meister bekennen, dass alle diese Dinge nicht ehrlich noch gut für das Bier sind“. Das ist nach heutigem Stand das erste „Reinheitsgebot“, in dem ausdrücklich auf möglicherweise schädliche Zugaben zum Bier eingegangen wird. Im 14. Jahrhundert beginnt auch in Deutschland das kommerzielle Brauwesen zu florieren. Der Bierverkauf und -handel wird zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor und zu einer wichtigen Einnahmequelle für Städte und Staaten, die darauf mit spezifischen Bestimmungen reagieren. Die Statuten und Brauordnungen enthalten Passagen zur Zusammensetzung, Herstellung, Besteuerung oder Preissetzung der Biere. Mit dem zunehmenden Bierexport müssen zudem Monopol- und Zollfragen geregelt werden. Es ist müßig, auf die lokal-patriotische Diskussion, wo das erste „Reinheitsgebot“ schriftlich fixiert worden ist, einzugehen. Wollte man die erstmalige Benutzung des Begriffes „rein“ als Kriterium heranziehen, so wäre wohl die Lübecker Brauordnung von 1363 zu erwähnen, wo die Verwendung von „reinem“ Malz gefordert wird. Ganz generell setzen die Verordnungen in Norddeutschland die Herstellung von Hopfenbier voraus, weil dort nichts anderes hergestellt wird. Angesichts eines blühenden Bierexports müssen dort in erster Linie die Konkurrenzverhältnisse geregelt werden. Im Westen, in der mittelalterlichen Kirchenprovinz Köln mit den Bistümern Köln, Lüttich, Utrecht und Münster-Osnabrück, wird seit dem frühen Mittelalter eine als Grut bezeichnete Mischung aus Gagel oder Porst sowie unterschiedlichen Gewürzen und Kräutern als Braurohstoff und Naturalsteuer verwendet. Das daraus gebraute Bier (grûsink, greusig, grewsznigk usw.) war inzwischen vom Festbier zum Alltagsgetränk geworden. Anders als von den Hohenpriestern des Hopfenbieres später behauptet, war dies ein bekömmliches und wohlschmeckendes Gebräu; als es aus wirtschaftlichen Gründen in Dortmund im 16. Jahrhundert nicht mehr hergestellt werden sollte, erreichten Frauen, insbesondere Schwangere und Wöchnerinnen, dass es noch einige Zeit weiter verfügbar war. Brauverordnungen werden hier oft zu Instrumenten zur Eindämmung der Hopfenbierbrauerei. Im Binnenland, wo abseits großer Flüsse die Möglichkeiten zur Getreideversorgung außerhalb der lokalen Märkte begrenzt sind, spielt das Braugetreide eine wichtige Rolle. 1305 verbietet zum Beispiel Nürnberg, irgendein anderes Getreide als Gerste zum Mälzen und Brauen zu verwenden, während in Augsburg zwischen 1433 und 1555 nur mit Hafer gebraut werden darf. Gerste ist damals das billigste Getreide und angesichts der sehr schlechten Ausbeute beim Brauen (drei- bis viermal mehr Getreide pro Hektoliter Bier als heute) ist verständlich, dass immer mehr Brauordnungen fordern, zum Brauen die zur Herstellung von Hopfenbier hervorragend geeignete, aber als Brotgetreide recht minderwertige Gerste zu verwenden. Die kommerziell hergestellten Konsum- und Lagerbiere sind nicht sehr alkoholreiche, aber nahrhafte Biere für den Alltag. Daneben gibt es Festbiere für besondere Anlässe. Sie sind nicht lange haltbar und werden hergestellt, um zu berauschen. Der Rausch war in vorchristlicher Zeit ein Weg, mit Göttern und Vorfahren in Verbindung zu treten. In keltischer und germanischer Tradition werden zu zahlreichen rituellen, öffentlichen oder privaten Zusammenkünften Festbiere ausgeschenkt, die durch Beimischung psychoaktiver Pflanzenteile in Kombination mit Alkohol halluzinogene und aphrodisierende Rauschzustände auslösen. An prominenter Stelle unter diesen Zusätzen steht das Bilsenkraut, seit der Urzeit als Schmerz- und Beruhigungsmittel und später als Regenzauber und Hexenpflanze verwendet, das dem obersten germanischen Gott Wotan heilig ist. Aber auch Eisenhut, Tollkirsche, Wermut oder Rauschbeere finden sich in diesen Festbieren. Oft ungewollt, enthalten sie aus verunreinigtem Getreide auch alkaloidhaltige Verunreinigungen von Mutterkorn und Kornrade. In der frühen Neuzeit wird die Palette der Rauschpflanzen um exotische Zutaten wie zum Beispiel Kockelskörner (Anamirta cocculus) oder Brechnuss erweitert. Natürlich sind alle diese Zutaten – weil nicht kultivierbar oder als Importware sehr teuer – nur in begrenzten Mengen verfügbar und reichen daher nur für spezielle Biere und überschaubare Quantitäten. Aber die Brautechnologie des 16. Jahrhunderts erzielt gegenüber mittelalterlichen Verfahren eine verbesserte Extraktion pflanzlicher Inhaltsstoffe und damit eine potenzierte Rauschwirkung. Die auf dem Land so beliebten Hochzeits-, Kindl-, Mai-, Ernte- und Erbbiere, aber auch manches Gebräu in städtischen Spelunken enthalten oft solche Zutaten. Der Rausch gilt über die spirituelle Komponente hinaus in der germanischen und mittelalterlichen Tradition als ein Zustand, in dem Gewitzte und Einfältige gleichermaßen erleuchtet sind und in dem wichtige Absprachen in öffentlichen und privaten Angelegenheiten getroffen werden. Ein norwegischer Rechtstext bestimmt im 13. Jahrhundert, dass Absprachen, die in der Kirche, auf dem Thing und in der Samcunda (regelmäßige, ursprünglich sakrale Trinkgelage) getroffen werden, absolut bindend sind. Um sicherzustellen, dass sich jeder Teilnehmer an der Zusammenkunft im selben Rauschzustand befindet, hat sich der Brauch des Zutrinkens eingebürgert. Wenn einer der Teilnehmer seinen Becher gegen einen Zechgenossen hebt und nach einem kurzen Segenswunsch auf einen Zug leert, so gebieten Konvention und Ehre, dass der andere ihm „Bescheid“ gibt, indem auch er seinen Becher gleicherweise leert „ohne Schnaufen und Bartwischen“. Daraus entstehen oft zeremonielle Trinkwettkämpfe. Die Kirchen sehen in diesen heidnischen Traditionen eine große Bedrohung. Das Christentum steht in der jüdisch-römisch-hellenistischen Tradition, die das Bier nicht nur als barbarisches Getränk, sondern auch als gesäuertes und schäumendes Produkt – im Gegensatz zum Wein – und somit als „unrein“ ansieht... (Franz Meußdoerffer) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Januar-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 4 vom 29. Januar 2016)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist das geplante Demokratiefördergesetz sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.