Wirtschaft

Welthandel läuft in Deutschland unter anderem über den Hamburger Hafen. (Foto: dpa)

21.07.2017

Gemeinsam gegen die Angst vorm Freihandel

Bayern und Österreich kämpfen in Brüssel

Je mehr Freihandel, desto besser. Davon sind die meisten Ökonomen überzeugt: „Die Öffnung der Wirtschaft für den weltweiten Handel ist der sicherste Weg zum Wohlstand.“ Aber die Bürger und die mittelständische Wirtschaft sind davon schwer zu überzeugen. Dabei sind Bayern und Österreich, die bis 1156 zusammengehörten und heute enge wirtschaftliche Beziehungen pflegen, wie kaum andere Regionen vom Außenhandel und offenen Märkten abhängig.

Vertreter der bayerischen und der österreichischen Wirtschaft, der EU-Kommission, des EU-Parlaments und des bayerischen Wirtschaftsministeriums diskutierten auf einem vom Bayerischen Industrie- und Handelskammertag (BIHK) und der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) gemeinsam abgehaltenen Forums in der Brüsseler Vertretung des Freistaates über die künftige EU-Handelspolitik. Die EU-Kommission, die dafür das Mandat hat, versprach mehr Fairness und Transparenz. Alle Vertreter forderten mehr Freihandel in einer Zeit, in der Handelshemmnisse zunehmen und die Staaten der Welt sich wirtschaftlich abschotten.

Keine guten Aussichten


Vor vier Jahren wurde im Hörsaal der bayerischen Vertretung in Brüssel noch über das EU-USA-Freihandelsabkommen, „TTIP“, diskutiert (Staatszeitung berichtete). Das ist heute passé. Im Gegenteil: Der neue amerikanische Präsident Donald Trump will die US-Wirtschaft abschotten. Und er lässt sich von einem Nationalökonomen (Peter Navarro) beraten, der mit seiner neo-merkantilistischen Theorie, die von fast allen Ökonomen anerkannten Theorien von Adam Smith und David Ricardo auf den Kopf stellt. Auch Großbritannien ist durch seine Aufkündigung der EU-Mitgliedschaft auf dem besten Wege, sich abzuschotten. Alles keine guten Aussichten für die bayerische und die österreichische Wirtschaft. Die USA sind Bayerns wichtigster Abnehmer von dessen Waren, Großbritannien ist der zweitgrößte. Für Österreich liegen die USA auf Platz zwei und Großbritannien auf Platz acht. Die USA sind nur ein Beispiel von vielen. Denn der weltweite Protektionismus liegt im Trend. Die EU-Kommission vermeldete im Juni, dass die Zahl der Handelshemmnisse, mit denen europäische Exporteure 2016 konfrontiert waren, um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen sei. Ende 2016 seien weltweit auf über 50 Exportmärkten nicht weniger als 372 derartige Hemmnisse in Kraft gewesen, heißt es in dem Bericht.

Die 36 Hemmnisse, die 2016 neu eingeführt worden seien, könnten Ausfuhren aus der EU in einer Größenordnung von 27 Milliarden Euro beeinträchtigen, so die Schätzung der EU-Zentrale. Für Bayern sind die Abschottungstendenzen besonders schlimm. Denn jeden zweiten Euro verdient Bayern mit dem Außenhandel und jeder vierte Arbeitsplatz hängt in Bayern vom Export ab. Nicht auszudenken, was ein Importzoll von 45 Prozent auf deutsche Autos, wie sie der amerikanische Präsident Trump angedroht hatte, für die bayerische Autoindustrie als Folge hätte.

Trübes Bild gemalt


Erdal Yalcin vom Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung und dort zuständig für Außenwirtschaftsfragen malte eine trübes Bild. Vor der Finanz- und Bankenkrise 2009 sei der Welthandel noch um jährlich sechs Prozent gewachsen, heute stagniere er. Der Hauptgrund dafür seien nicht Zölle, sondern nicht-tarifäre Handelshemmnisse. Das sind Importquoten, freiwillige Exportbeschränkungen, technische Normen und Standards, Importlizenzen, Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften (Made in ...), Sozial- und Umweltstandards und andere mehr. Die Einfuhrzölle seien niedrig, lägen im weltweiten Durchschnitt bei nur bei 2,8 Prozent. Temporär eingeführte Antidumping-Zölle seien aber auch ein Grund für die Stagnation des Welthandels, so der Volkswirt. In Deutschland litten vor allem der Auto- und der Metallbau unter den nicht-tarifären Handelshemmnissen. Die USA und die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) würden ihre Märkte immer mehr abschotten. Die Abschottungstendenzen führten zu einer Protektionsspirale, an deren Ende der Welthandel zum Erliegen käme, warnte er, zum Nachteil aller Länder. Das Ifo-Institut argumentiert mit Zahlen. „Aber mit Zahlen kommt man bei diesen Leuten (Politikern wie Trump) nicht an“, bedauerte der Münchner Außenwirtschaftsexperte Yalcin.

Auch mittelständische Unternehmen, müssen anders als Großkonzerne, vom Nutzen des Freihandels überzeugt werden. „Wir profitieren eindeutig davon“, sagte Maurus Unsoeld vom Autobauer BMW und dort zuständig für auswärtige Angelegenheiten. „Das Beste wäre ein multilaterales Freihandelsabkommen“, also ein weltweites Abkommen, bei dem alle Waren ohne Beschränkungen über die Grenzen fließen könnten. Auch mittelständische Zulieferer, die nicht exportieren, würden indirekt davon profitieren, wenn BMW mehr exportiere.

Bürokratischer Aufwand


Markus Lötzsch, Hauptgeschäftsführer der IHK Nürnbergfür Mittelfranken, sah das differenzierter. Berichtspflichten, die Großkonzerne wie BMW erfüllen müssten, würden den KMU einfach durchgereicht, und die müssten für jeden Abnehmer nach dessen vorgegeben Standard berichten, was für einen erheblichen bürokratischen Aufwand zur Folge hätte. Überhaupt sei es nicht einfach, die mittelständischen Kaufleute vom Nutzen der Globalisierung zu überzeugen. „Erklären Sie mal einem Mittelständler, dass Apple in Irland nur 0,005 Prozent seines Gewinns an Steuern zahlt.“ Der wolle als Erstes Wettbewerbsgleichheit. Das Prinzip der „Nachhaltigkeit“ solle in künftigen Freihandelsabkommen verankert werden. Die EU-Kommission denkt gerade darüber nach, wie einem neunseitigen inoffiziellen „Non-Paper“-Dokument der EU-Kommission vom 11. Juli zu entnehmen ist. Darin geht es um die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards. Das ist im Sinne von Lötzsch, dem das Prinzip des „ehrbaren Kaufmanns“ heilig ist. Das „Narrativ“ (der Sinn des Freihandels), treibe die KMU um wie die Bürger, sagte er. „Mittelständler sind auch Bürger.“ Freier Handel sei kein Selbstzweck, sondern für das menschliche Wohlergehen da. „An der Stelle ändert sich die Sprache.“ Die Deutungshoheit solle man nicht den Technikern überlassen.

Michael Gotschlich, Referatsleiter im bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, stimmte ihm zu: „Wer soll denn das alles (die Verhandlungstexte) lesen?“, meinte er mit Bezug auf die öffentliche Diskussion über das gescheiterte TTIP-Abkommen und das mit Mühe ausgehandelte und nachverhandelte EU-Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta), das im September vorläufig in Kraft tritt. Ceta umfasst 1600 Seiten. Keiner rufe die entsprechenden Internet-Seiten ab. „So etwas Komplexes führt zu Irrationalität“, so Gotschlich. Er verwies auf einen auf YouTube abrufbaren Film der Nicht-Regierungsorganisation Attac, die darin gegen die vorläufige Anwendung des Ceta-Abkommens vorgeht. „Der Film ist gut gemacht, aber falsch.“ Er vereinfache und der Vereinfachungstechnik sollten sich auch die Freihandelsbefürworter annehmen: Etwas Komplexes einfach formulieren. „Man kann die Leute aber nur im persönlichen Gespräch mitnehmen“, so Gotschlich, der im Freistaat herumreist, um die kleinen Mittelständler von den Vorteilen des Freihandels zu überzeugen. „Man muss reden, reden, reden.“ Nur so könne man überzeugen. „Wir in Bayern haben uns dieser Sache verschrieben.“

Gegen Irratioinalität und Emotionalität


Österreich geht offensichtlich gegen die Irrationalität und Emotionalität ebenso vor wie Bayern und vereinfacht: „Wir sind in unseren Aussagen immer kürzer und einfacher geworden“, sagte Barbara Tasch von der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und dort Referentin für Dienstleistungen und Investitionen in bilateralen Handelsabkommen. Sie schilderte, wie mühsam es sei, die mittelständische Wirtschaft – die eigenen Mitglieder – zu überzeugen. Das gehe nur in Kleinarbeit vor Ort. „Wir hatten sogar eine Anti-TTIP-Plattform in der WKÖ und in Österreich gab es TTIP-freie Gemeinden“, beschrieb sie die Situation während der TTIP-Verhandlungen. Jetzt aber gebe es innerhalb der WKÖ eine Zeitrechnung vor und nach TTIP.

Es herrscht Krieg


Der österreichische EU-Abgeordnete Paul Rübig (Österreichische Volkspartei, ÖVP) ist ein Befürworter des Freihandels und schimpft über die NGOs, die den nicht wollen. Der Konservative, seit 1996 im Vielvölkerparlament, trat nach eigenen Worten vehement für den EU-Beitritt Österreichs ein. Die Alpenrepublik gehört seit 1995 zur EU. „Seitdem ist Österreich gut vorangekommen“, nicht nur wegen des EU-Binnenmarkts, sondern auch wegen der EU-Handelspolitik. Laut Schätzung der WKÖ werden 33 bis 50 Prozent der Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft Österreichs durch Exportunternehmen gesichert.

„In Wahrheit herrscht Krieg, wenn man mit den NGOs zusammensitzt“, so Rübig. „Die sind aggressiv und frech“. Rübig sieht den Grund für ihren Widerstand gegen den Freihandel in dem gerade durch ihn erreichten Wohlstand. Es sei paradox, dass gerade der zu Widerstand geführt habe. „In die Szene wird massiv investiert. Wir müssen deren Kampagnen ignorieren und informieren“, sagte der ÖVP-Politiker. „Wir wollen nicht Armut für alle.“

Handel für alle


Das will auch die EU-Kommission nicht. Im Gegenteil: „Handel für alle – hin zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik“, heißt das neue Leitprinzip der EU-Kommission, das Lutz Güllner, Referatsleiter einer der vielen Unterabteilungen der Außenhandelsabteilung der EU-Kommission (GD Trade) und dort zuständig für Information und Kommunikation vorstellte. Er freue sich, dass Bayern und Österreich zusammen für den Freihandel einträten und dabei die EU-Kommission unterstützten, sagte der geborene Münchner auf der vom BIHK und der WKÖ organisierten Konferenz. „Wir brauchen Organisationen wie ihre.“ Aus der intensiven Debatte, die in den letzten Jahren überall in der EU-Union über den Handel geführt worden sei, habe die EU-Kommission ihre Lehren gezogen.

KMU berücksichtigen


Auf die Bedürfnisse von KMU solle künftig in allen Handelsvereinbarungen eigens eingegangen werden, heißt es in der 40-seitigen Mitteilung der EU-Kommission vom Oktober 2015 mit einem Vorwort der schwedischen EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Über 30 Millionen Arbeitsplätze – zwei Drittel mehr als vor 15 Jahren – stützten sich inzwischen auf Ausfuhren in Länder außerhalb der Union, heißt es darin. Damit hänge fast jeder siebte Arbeitsplatz in Europa vom Export ab. Diese Arbeitsplätze stünden sowohl direkt als auch indirekt mit Ausfuhren aus der Union in Verbindung. So seien etwa in Polen 200.000, in Italien 140.000 und im Vereinigten Königreich 130.000 Arbeitsplätze mit den deutschen Ausfuhren in Nicht-EU-Länder verknüpft. Und die französischen Ausfuhren in Länder außerhalb der Union bildeten die Grundlage für 150.000 Arbeitsplätze in Deutschland, 50.000 in Spanien und 30.000 in Belgien. Durch Ausfuhren würden auch Europas kleine und mittlere Unternehmen (KMU) unterstützt. Über 600.000 KMU, die mehr als sechs Millionen Menschen beschäftigen, tätigten direkte Warenausfuhren in Länder außerhalb der EU, auf die ein Drittel der EU-Exporte entfielen.

„Eigentlich müssen Sie ein Jurist sein, um alles zu verstehen“, gab Güllner von der EU-Kommission zu. „Wir sind gerade dabei, die 1600 Seiten des Ceta-Abkommens allgemein verständlich zu machen. Wir müssen die Freihandelsabkommen erklären. Die Vorteile mit Prozentpunktzuwächsen beim Bruttoinlandsprodukt zu erklären, ist abstrakt und uninteressant.“

Fallhöhe herausnehmen


IHK-Hauptgeschäftsführer Markus Lötzsch formulierte seine Forderung nach Vereinfachung poetisch: „Nehmen Sie die Fallhöhe heraus.“ Die „Fallhöhe“, bereits in der Poetik des Aristoteles angelegt, besage, dass die Tragödie bessere Menschen und die Komödie schlechtere Menschen nachahmen sollte, als sie in Wirklichkeit vorkommen. „Mit anderen Worten: Macht es nicht so kompliziert“, so Lötzsch.

Um den mittelständischen Unternehmen das Thema als „sexy“ zu präsentieren, müsste sich die EU-Kommission also noch sehr anstrengen. Selbst die 40-seitige Mitteilung, die dieser Zeitung vorliegt, ist sehr akademisch verfasst, enthält hohle Formulierungen und dürfte einem an der Praxis orientierten Mittelständler nicht zugänglich sein. Und wer auf die Webseite der GD Trade geht, verliert sich in Details. Oder die EU-Kommission überlässt die Erklärungsaufgabe Organisationen wie der WKÖ und der IHK Nürnberg oder dem bayerischen Wirtschaftsministerium.
(Rainer Lütkehus)

Kommentare (1)

  1. manfred089 am 26.07.2017
    Rainer Lütkehus berichtet offenbar authentisch aus der nach 2008 schon wieder dominanten Welt der Finanzjongleure. Insgesamt wird die Ideologie deutlich, die unsere Gesellschaft immer noch im Schwitzkasten hält. Den einfachen Menschen in den Büros und Werkhallen werden Konsum und Wohlstand versprochen, damit Investoren ihre überdimensionalen Renditen einfahren können. Kollateralschäden durch körperliche oder zunehmend auch psychische Erkrankungen wegen Überforderung und Fremdbestimmung der Arbeitskräfte werden als Verschleiß ebenso achselzuckend in Kauf genommen wie zunehmende Umwelterkrankungen und Medikamenten- und Drogenmissbrauch, um den überzogenen Leistungsanforderungen genügen zu können. Mehr weltweiter Handel bedeutet zwingend mehr Ressourcenverschwendung, mehr Umweltschäden, mehr Schäden am Sozialgefüge, an den Familien durch erzwungene Mobilität. Einfach zynisch, wie hier "christliche" und "sozialdemokratische" Politik die Lebensgrundlagen kommender Generationen verschleudert, für die bei jeder Landtags- und Bundestagswahl neue Zeugungsprämien ausgelobt werden. Sozial- und Umweltstandards werden als "nichtmonetäre Handelshemmnisse" denunziert. Wie im ausgehenden Rom eine Epoche, die jeden Blick für wirklich konservative, lebensbejahende und lebensbewahrende Werte nicht nur verloren hat, sondern angestrengt verdrängt. Nicht der Film von Attac ist falsch, sondern die dieser Gesellschaft aufgezwungenen "Werte" sind falsch, weil sie nicht nachhaltig sind und Ressourcen verschwenden.
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