Linkspartei, DGB-Gewerkschaften und Bund Naturschutz sind sich einig: Sie lehnen die Freihandelsabkommen TTIP und TISA (mit den USA) und CETA (mit Kanada) rigoros ab. Das wurde bei einer Veranstaltung der Linken Bundestagsfraktion in Nürnberg deutlich.
„Wenn wir CETA nicht kippen, brauchen wir TTIP nicht mehr verhindern. Denn internationale Konzerne haben Dependancen in Kanada. Von dort aus können sie europäische Staaten verklagen.“ Und zwar immer dann, wenn ihnen mögliche Gewinne durch gesetzliche Regelungen entgehen, menetekelt Klaus Ernst aus Schweinfurt.
Das zwischen EU und Kanada bereits ausverhandelte Freihandelsabkommen CETA würde den Weg automatisch freimachen für jenen wesentlich bekannteren Transatlantikvertrag TTIP: Davon ist der Ex-Parteichef und aktuelle Vizefraktionschef der Linken im Bundestag überzeugt.
CETA liege schon zur Ratifizierung bereit, weiß der Leiter des Linken-Arbeitskreises Wirtschaft. TTIP dagegen sei noch lange nicht unterschriftsreif, auch wenn ihn EU-Vertreter in inzwischen 130 Gesprächsrunden mit Abgesandten der US-Regierung ebenfalls vorangetrieben haben.
Was den Parlamentarier Ernst bei TTIP am meisten wurmt, ist „die höchste Form der Demütigung, die uns die EU-Kommission zumutet: Deutsche Regierungsvertreter müssen zum Lesen der Verhandlungs-Dokumente in die US-Botschaft.“ Und dass die Abgeordneten selbst diese Papiere gar nicht einsehen können – darüber habe sich sogar Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lauthals beschwert.
Es ist viel von Liberalisierung die Rede
Im öffentlich gewordenen Verhandlungsmandat der EU-Kommission an die europäischen Vertreter steht viel von „Liberalisierung“. Alles soll möglichst freigegeben werden, dürfte das bedeuten. Aber wie frei künftig zwischen USA und EU mit den unterschiedlichen Standards in Umweltschutz und Gesundheit umgegangen werden soll, das zu erfahren, ist nach Ernsts Worten den Parlamentariern verwehrt.
Stephan Doll, Mittelfrankens DGB-Chef, sieht „unter der Überschrift Privatisierung eine große Gefahr“. Als Beispiel nennt er „die beschissene Situation bei der Auftragsvergabe der S-Bahn Nürnberg“. Die muss bekanntlich gerichtlich entschieden werden, „und solche Vergaben würden noch verschlimmbessert durch TTIP.“
Auch Arbeitnehmerrechte sind bedroht
Auch die Arbeitnehmerrechte hierzulande sieht Doll bedroht: „Bei uns muss Sonn- und Feiertagsarbeit genehmigt werden. In Amerika gibt es dagegen gewerkschaftsfreie Städte und Zonen, viele Bereiche ohne Tarifverträge. Und: Die USA haben nur zwei von acht Kernarbeitsnormen der International Labour Organization ILO ratifiziert, Verbot von Kinderarbeit und Sklavenarbeit.“ Dass die Verhandlungskommission die EU-Vorgaben durchsetzen könne, alle ILO-Normen müssten gelten, bezweifelt der Gewerkschafter. Außerdem hat Doll aus den Verhandlungsvorgaben herausgelesen: „Bei Verstößen gegen Arbeitnehmerrechte sind keine Strafandrohungen vorgesehen, anders als bei Handelsverstößen.“
Damit spricht er jene geheimen Schiedsgerichtsverfahren an, von denen Regierende in Bund und Ländern immer wieder hoffen, sie durch öffentliche Gerichte ersetzen zu können. „Internationale Schiedsgerichte sind in TTIP nicht erforderlich, denn die EU und die USA garantieren bereits ein Höchstmaß an Rechtssicherheit“, erklärte Bayerns Europaministerin Beate Merk (CSU) Ende 2014. Seit dem gestrigen Donnerstag sieht sich die Staatskanzlei bestätigt: „Die EU-Kommission hat die Signale aus Bayern erkannt und ihre Kommunikationsstrategie geändert.“ Denn nun will Brüssel bei TTIP ordentliche Gerichte einführen.
Dabei steht seit dem Jahr 2013 im gültigen Verhandlungsmandat: „Es sollte ein so breites Spektrum von Schiedsgremien für Investoren vorgesehen werden, wie es derzeit im Rahmen der bilateralen Investitionsabkommen der Mitgliedstaaten zur Verfügung steht.“
Die arbeiteten intransparent, wie aktuell der Streit um die Abschaltung deutscher Atomkraftwerke zwischen dem Vattenfall-Konzern und der Bundesregierung beweise, so Klaus Ernst: „Vattenfall fordert den entgangenen Gewinn von 4,7 Milliarden Euro. Das sollte geheim gehalten werden. Nur hat sich SPD-Minister Sigmar Gabriel in einer Wirtschaftsausschusssitzung verplappert.“
Radikale Einschränkung der Umweltstandards
Oliver Schneider vom Nürnberger Bund Naturschutz sieht „die ganz reale Gefahr, dass es zu einer radikalen Einschränkung der Umweltstandards kommt, Motto: Kleinster gemeinsamer Nenner“. Während hierzulande die Industrie die Sicherheit ihrer Produkte nachweisen müsse, werde in den USA deren Unbedenklichkeit vorausgesetzt. Beispiel Gentechnik: „Die ist im gesamten amerikanischen Kontinent weit verbreitet, bei uns sind noch Schleusen geschlossen.“ Käme TTIP, würden sich Konzerne darauf berufen, dass es keine wissenschaftlichen Studien gebe, die die Gefahr geklonter Rinder oder krebsfördernder Gesundheitsprodukte bewiesen, meint Schneider.
Wegen unterschiedlicher Blinklichter oder Autospiegel brauche es jedenfalls keine Freihandelsabkommen, sekundiert der Linke Ernst: Heute schon sei jedes Auto individuell hergestellt, da spielten diese Teile für die Arbeitsvorbereitung keine Rolle.
Für Harald Weinberg ist gerade TISA, auf Dienstleistungen zugeschnitten, eine kaum überschaubare Gefahr für Daseinsvorsorge wie Wasser oder Abwasser ebenso wie für Kunst und Urheber. Auch über dieses wenig bekannte Abkommen verhandeln EU und USA laut dem Linken MdB aus Nürnberg derzeit. Öffentlich bekennt zum Beispiel der Nestlé-Konzern, der weltweite Besitz von Wasserrechten liege ihm sehr am Herzen, nach Firmenmeinung „die wichtigste Ressource der Menschheit“. Doch für Linke, Gewerkschafter und Umweltvertreter gehört Wasser in demokratisch legitimierte öffentliche und nicht in Firmenhände.
Deshalb nicken alle auf dem Podium, als Klaus Ernst sagt: „Die multinationalen Konzerne wollen künftig die Regeln machen. Darum geht es im Kern bei TTIP, CETA oder TISA.“ Stephan Doll meint gar, „die Parlamentarier schaffen mit einer Zustimmung ihren Arbeitsplatz ab. Ich glaube, viele haben gar noch nicht geschnallt, worum es geht“. Denn wenn deutsche Abgeordnete bei Gesetzen bedenken müssten, welche Klagen es eventuell von der anderen Atlantikseite hageln und welche Geldforderungen daran hängen könnten, dann wären die Konzerne bereits an der Macht.
Öffentlichkeitswirksame Kampagnen
Doch das wollen zahlreiche Verbände und die Oppositionsparteien im Bundestag nach eigener Aussage verhindern: durch öffentlichkeitswirksame Kampagnen. Fast drei Millionen Bürger haben inzwischen laut Klaus Ernst eine Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP unterschrieben. Und am 10. Oktober ist eine Großdemo in Berlin gegen alle neuen Freihandelsabkommen geplant.
Auf der anderen Seite zieht Bayerns Staatsregierung seit Mai mit den hiesigen IHKs und Handwerkskammern in einer „Roadshow“ durch das Land, um „den Erfolg des Abkommens in dieser entscheidenden Phase nicht zu gefährden“ und „bei den Menschen Vertrauen herzustellen und für Transparenz zu sorgen“, wie es Beate Merk ausdrückt. Am 24. September steht ein Auftritt in Kronach an, weitere elf sind bis Ende November geplant.
„Die bisherigen Anstrengungen der EU-Kommission haben die Menschen in Europa nicht zufriedenstellen können“, gibt die Europaministerin im Internet ganz ehrlich zu. Die Kritiker unken dagegen: Die Politiker wollen mit den neuen TTIP-Vorschlägen ohnehin nur von der bevorstehenden CETA-Ratifizierung ablenken.
(Heinz Wraneschitz)
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