Kultur

In der Öffentlichkeit gab Valery Gergiev schon mal den verbalen Haudegen – im Umgang mit dem Orchester war während der Asientournee nichts zu spüren. (Foto: Matthias Fischer)

27.11.2015

Glühende Auferstehung

Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker in Asien: Ein Orchester erfindet sich neu

In der antiken Mythologie ist Phönix ein Feuervogel, der nach dem Tod aus seiner Asche wiedergeboren wird. Das passt zu den Münchner Philharmonikern: Seit einer gefühlten Ewigkeit stolpert der traditionsreiche Klangkörper von Misere zu Misere. Doch jetzt wirken sie beflügelt und erstrahlen im neuen Glanz – wie ausgetauscht. Auf ihrer ersten großen Tournee mit dem neuen Chefdirigenten Valery Gergiev stellte sich dieser Eindruck ein – eine unerwartete Auferstehung. Noch nach den Antrittskonzerten von Gergiev im September überwog die Skepsis. Doch wenn Gergiev die Philharmoniker dazu nutzt, um beharrlich auch an sich selbst zu arbeiten, dann könnte seine Zeit in München eine goldene Ära werden. Mit diesem Orchester hat er jedenfalls eine Spielwiese, die keine Grenzen kennt – eine Truppe, die höchst engagiert und motiviert ist. Als Gergiev beim großen Auftakt der aktuellen Asientour in Taipeh verspätet eintrudelte, knapp vor Konzertbeginn, probten die Musiker trotzdem. Der Konzertmeister vertrat kurzerhand den Chefdirigenten. Ein solches Engagement wäre früher undenkbar gewesen. Das Klischee eines trägen, selbstgefälligen „Beamten-Orchesters“, das nach Stoppuhr probt und sich in überheblicher Eitelkeit suhlt, muss nach dieser Tournee gründlich revidiert werden.

Youngsters treiben an

Nicht zuletzt haben sich die Philharmoniker seit der Trennung von Christian Thielemann deutlich verjüngt. Die Youngsters bringen frischen Wind in die Bude: Sie wollen es wissen und brennen darauf, kompromisslos zu musizieren. Nichts ist für sie selbstverständlich. Sie möchten die Welt der Musik neu und eigen definieren. Davon lassen sich nicht nur die älteren Semester im Orchester anstecken. In Asien übertrugen sich diese Energie und Kraft auch auf die Konzertbesucher in den Sälen. Eine Aufbruchstimmung war zu spüren, die die Philharmoniker hoffentlich mit nach München zurücknehmen. Diese Erfahrung war neu, denn: Anstatt der großen goldenen Ära unter Sergiu Celibidache nachzutrauen, wurde in Asien deutlich, dass die Philharmoniker eine neue Ära einläuten möchten. Dafür krempeln sie die Ärmel hoch. Wurde nach dem Tod von Celibidache 1996 die Konvention konserviert, auch mit Operndirigenten wie James Levine oder Chistian Thielemann, möchten die Musiker das Orchester jetzt konsequent weiterentwickeln – programmatisch und interpretatorisch. Die eigene Tradition zu pflegen heißt eben nicht länger, im akustischen Museum zu verstauben. Schon lange keimte nicht mehr bei den Philharmonikern diese erfrischende Haltung und Einsicht wie jetzt in Asien. Noch nie zuvor waren überdies das soziale Miteinander und die Stimmung unter den Musikern so gut wie auf dieser Tournee. Der autoritäre Orchesterspalter Thielemann hätte es fast geschafft, den Klangkörper konfliktreich in den Abgrund zu reißen. Nach ihm kam Lorin Maazel als Lückenfüller, was die Stimmung nur bedingt verbesserte.

Debatte im Orchester

In Asien probte Gergiev überaus präzise, konstruktiv und respektvoll – kein derber Haudegen, wie er sich zuletzt mit manchen Äußerungen in der Öffentlichkeit gerierte. Seine missverständlichen Relativierungen der homophoben Politik in Russland sowie die großrussisch-nationalistischen Bemerkungen im Krim-Konflikt und der Ukraine-Krise waren ärgerlich. In Asien wurde deutlich, dass dies im Orchester hitzig und kontrovers diskutiert wurde. Und das ist gut so, denn: Mit seinem Verhalten hat Gergiev den Philharmonikern massiv geschadet. In einem exklusiven Gespräch in Taiwan bedauerte dies Gergiev ausdrücklich. „Wir müssen uns jetzt auf die Musik konzentrieren“, versprach er. Dieses Versprechen muss auch die Intendanz um Paul Müller einlösen. Jetzt sollte Müller nicht einfach nur moderieren, sondern sich im Zweifel schützend vor das Orchester stellen. Einen weiteren Fauxpas kann sich niemand mehr leisten. Wer die jetzige glanzvolle Wiedergeburt des Orchesters gefährdet, muss seinen Hut nehmen. (Marco Frei) Lesen Sie Konzertkritiken der Asientournee auf www.bsz.de/kultur bzw. unter: www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kultur/detailansicht-kultur/artikel/korea-bejubelt-die-philharmoniker.html http://www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/kultur/detailansicht-kultur/artikel/muenchner-edelklang-in-taiwan.html

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