Ausschreibung und Vergabe

Um die Vergabe von Montageleistungen von Schutz- und Leiteinrichtungen an einer Autobahn gab es Streit. (Foto: Schweinfurth)

26.06.2020

Das Marktverständnis zählt

Oberlandesgericht Frankfurt zur Auslegung von Leistungsverzeichnissen

Mit europaweiter Bekanntmachung hat ein öffentlicher Auftraggeber die Montage von Schutz- und Leiteinrichtungen an einer Bundesautobahn im offenen Verfahren gemäß VOB/A-EU ausgeschrieben. Unter der Position 01.00.0010 des Leistungsverzeichnisses (LV) war unter anderem wörtlich gefordert: „Schutzeinrichtung (SE) im Mittelstreifen einschließlich erforderlicher systembedingter Arbeiten herstellen; Regelquerschnitt nach Unterlagen des Auftraggebers; SE nach den Technischen Kriterien für den Einsatz von Fahrzeugrückhaltesystemen in Deutschland; SE aus Beton; Aufhaltestufe mindestens H2; Wirkungsbereichsklasse maximal W3; Anprallheftigkeitsstufe maximal C; Schutzeinrichtung mit korrosionsgeschützter Bewehrung; Aufstellung auf vorhandener Asphaltdeckschicht.“ Die vorgenannten Technischen Kriterien unterscheiden hierbei zertifizierungsfähige Schutzeinrichtungen (zum Beispiel Betonfertigteile) und alternativ Ortbetonschutzwände, für die Anerkennungsurkunden vorgelegt werden müssen.

Betonfertigteile offeriert

Der öffentliche Auftraggeber wollte das Angebot bezuschlagen, das die Schutzeinrichtungen als Betonfertigteile offerierte. Dagegen wandte sich ein unterlegener Bauunternehmer, der Betonschutzwände in Ortbetonbauweise anbot. Er war der Ansicht, dass nur seine angebotene Bewehrung mit einer PE-ummantelten Stahllitze im Ortbeton der ausgeschriebenen korrosionsgeschützten Bewehrung entsprach. Ohne Erfolg.

Das Oberlandesgericht Frankfurt (Beschluss vom 5. November 2019 – 11 Verg 4/19) ist der Ansicht, dass hier sowohl ein Angebot in Ortbetonbauweise als auch ein Angebot in Betonfertigteilweise den Vorgaben des LV genügen. Maßgeblich für das Verständnis der Vergabeunterlagen ist der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter. Dabei ist auf einen verständigen und sachkundigen, mit den einschlägigen Beschaffungsleistungen vertrauten Bieter abzustellen. Entscheidend ist daher, wie ein branchenkundiger und mit der ausgeschriebenen Leistung durchschnittlich vertrauter Unternehmer, der über das für die Angebotsabgabe notwendige Fachwissen verfügt und das LV sorgfältig liest, die Leistungsbeschreibung verstehen kann. Ein Bieter muss sich bei der Auslegung des LV immer fragen, was die Vergabestelle aus ihrer Interessenlage heraus wirklich gewollt hat. Sofern er ernsthaft daran zweifelt, ob seine Auslegung tatsächlich dem Willen der Vergabestelle entspricht, muss er diese Zweifel gegebenenfalls durch eine Anfrage beim öffentlichen Auftraggeber klären. Dem Wortlaut der Ausschreibung kommt dabei eine vergleichsweise große Bedeutung zu.

Bei der Leistungsbeschreibung muss daher zuerst auf die konkret im Streit stehende Position abgestellt werden. Die speziellen Angaben sind dann in Verbindung mit den anderen Angaben im LV und den übrigen Vertragsunterlagen unter Einbeziehung der technischen Normen und des Stands der Technik als sinnvolles Ganzes auszulegen. Bei Leistungsmerkmalen von technischen Ausstattungen kommt es im Zweifel darauf an, dass deren ordnungsgemäßer Betrieb gesichert ist.

Ausführung in Ortbeton

Aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen fachkundigen Bieters ergab sich im vorliegenden Fall, dass entweder eine Schutzeinrichtung durch Betonfertigteilelemente oder in Ortbeton angeboten werden konnte. Die Position 01.00.0010 des LV war unter Berücksichtigung der Technischen Kriterien für den Einsatz von Fahrzeugrückhaltesystemen bezüglich der Ausführung in Ortbeton oder als Betonfertigteil systemoffen formuliert. Damit war die Frage zu klären, ob ein verständiger Bieter die Leistungsvorgabe nach einer „Schutzeinrichtung mit korrosionsgeschützter Bewehrung“ so verstehen konnte, dass damit Betonschutzwände aus Fertigteilen von der Angebotsabgabe ausgeschlossen werden sollten, weil sie über keinen gesonderten Korrosionsschutz der Stahlbewehrung verfügen.

Einem fachkundigen Bieter ist das Verfahren zur Herstellung von Schutzeinrichtungen aus Ortbeton und Betonfertigteilen allerdings bekannt, so die Frankfurter Richter. Er kennt dementsprechend die herstellerbedingte unterschiedliche Korrosionsanfälligkeit von Ortbeton und Betonfertigteilen. Betonschutzwände in Ortbetonbauweise werden aus frischem Beton an der Baustelle aus einem Stück gegossen, bei dem die Bewehrung während des Gießens in den Beton eingelegt wird. Hierbei können sich sogenannte wilde Risse oder Scheinfugen bilden, durch die Feuchtigkeit bis zur Bewehrung vordringen kann. Der Korrosionsschutz der Bewehrung wird daher im Wesentlichen durch die Verwendung korrosionsresistenter Bewehrungsmaterialien, wie Edelstahl oder ummantelte Elemente (zum Beispiel PE) gewährleistet.

Riss- und Fugenbildung minimieren

Schutzeinrichtungssysteme aus Betonfertigteilen hingegen bestehen aus Einzelelementen, die in Werkhallen bei optimalen Rahmenbedingungen (beispielsweise Temperatur, Schalung, Betongüte) gegossen werden. Der innenliegende Bewehrungsstahl wird dabei vollständig mit Beton umschlossen. Das Problem der Riss- oder Fugenbildung ist deutlich minimiert. Der Korrosionsschutz wird somit durch den ihn vollständig umschließenden Beton gewährleistet, weshalb die einschlägigen technischen Regelwerke keine Vorgaben zum Korrosionsschutz der Bewehrung treffen.

Ziel der ausschreibenden Stelle war es hier, eine Korrosion der Bewehrung im Hinblick auf deren Tauglichkeit, Sicherheit und Wartungsfreiheit auszuschließen. Dieses Ziel wird für einen fachkundigen Bieter sowohl durch Angebote in Ortbetonbauweise als auch in Fertigbetonbauweise erreicht. Anders wäre dies nur dann zu beurteilen, wenn in der Ausschreibung eine „gesondert korrosionsgeschützte Bewehrung“ oder eine „über die Betonüberdeckung hinausgehende korrosionsgeschützte Bewehrung“ verlangt worden wäre, so der hessische Vergabesenat.
(Holger Schröder)

(Der Autor ist Fachanwalt für Vergaberecht bei Rödl & Partner in Nürnberg.)

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