Ausschreibung und Vergabe

Um die Ausschreibung raumlufttechnischer Anlagen im Zuge der Generalinstandsetzung gab es Streit. (Foto: dpa/Martin Gerten)

09.10.2020

Formblatt 227.H birgt vergaberechtliche Tücken

Vergabekammer Südbayern zur Wertung der Energieeffizienz

Eine Vergabestelle hat raumlufttechnische Anlagen im Zuge der Generalinstandsetzung und Erweiterung zweier Gymnasien im offenen Verfahren nach VOB/A-EU europaweit ausge-schrieben. Als Zuschlagskriterien waren der Preis mit einer Gewichtung von 70 und die Energieeffizienz mit einer Gewichtung von 30 in der Auftragsbekanntmachung genannt. Zur Bewertung der Energieeffizienz war im Formblatt 227.H („Gewichtung der Zuschlagskriterien“) angegeben, dass das Angebot mit dem höchsten Energieeffizienzniveau beziehungsweise der höchsten Energieeffizienzklasse zehn Punkte erzielt. Das Angebot der mit dem niedrigsten Energieeffizienzniveau beziehungsweise der niedrigsten Energieeffizienzklasse erhält dagegen null Punkte. Zwischenwerte werden nach Hinweis Nr. 4 des Formblatts 227.H linear interpoliert. Im Rahmen des Vergabeverfahrens wurden insgesamt nur zwei Angebote eingereicht. Der vom öffentlichen Auftraggeber nichtberücksichtigte Lüftungsbauer beantragte die Nachprüfung des Vergabeverfahrens – mit Erfolg.

Die Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 18. Februar 2020 – Z3-3-3194-1-42-10/19) stellte unter anderem fest, dass das für die Bewertung der Energieeffizienz vorgesehene Wertungssys-tem im vorliegenden Fall vergaberechtswidrig ist, weil es gegen das Gebot der Gleichbehandlung aller Bieter verstößt. Wie alle Wertungssysteme, die auf einer Interpolation zwischen dem besten und dem schlechtesten Angebot beruhen, führt das oben genannte Bewertungssystem des Zuschlagskriteriums Energieeffizienz bei der Abgabe von nur zwei Angeboten zu einem mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs unvereinbaren Ergebnis. Warum?

Bei dem von der Vergabestelle gewählten Punktesystem verfallen beim jeweils schlechtesten Angebot alle Punkte, die beim Zuschlagskriterium Energieeffizienz erzielt werden. Ein Angebot, das einen günstigen Preis und eine nicht signifikant schlechtere Energieeffizienz offeriert, fällt in der Gesamtwertung weit hinter das andere Angebot zurück. Lägen dagegen mehr als zwei Angebote mit einer erfahrungsgemäß anzunehmenden Qualitätsstreuung vor, könnten auch bei der hier verwendeten Bewertungsmethodik ausreichende Wertungsspielräume bestehen, um noch zu angemessenen und rechtliche vertretbaren Ergebnissen zu gelangen. Dies gilt insbesondere dann, wenn zwischen dem besten und dem schlechtesten Angebot Wertungspunkte zum Beispiel aufgrund vorher festgelegter und bekannt gegebener Interpolation oder eine Punkteskala vergeben werden.

Null Punkte

Das „Null-Punkte-Problem“ würde sich dann lediglich auf das schlechteste Angebot auswirken, was nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch nicht grundsätzlich für eine vergaberechtliche Unzulässigkeit spricht, jedenfalls dann nicht, wenn sich die Angebote tatsächlich signifikant unterscheiden. Die Wahl einer bestimmten Bewertungs- oder Umrechnungsmethode ist vergaberechtlich nur dann zu beanstanden, wenn sich gerade ihre Anwendung im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände als mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs unvereinbar erweist. Gelangen jedoch – wie hier – nur zwei Angebote in die Wertung, hat das Bewertungssystem für das Zuschlagskriterium Energieeffizienz automatisch zur Folge, dass der Bieter, der nicht das beste Angebot abgibt, per se keine Punkte erzielt, unabhängig davon, wie gut oder schlecht sein Angebot im Vergleich zu dem des Mitbieters ausfällt.

Dadurch werden die Zuschlagskriterien Preis und Energieeffizienz in Bezug auf die Bieter verschieden und mithin gleichheitswidrig bewertet: Beim schlechteren Angebot wird die Energieeffizienz unterbewertet, nämlich gar nicht. Beim besseren Angebot wird sie regelgerecht gewertet. Damit aber wird die bekannt gegebene Gewichtung von Preis und Energieeffizienz beim energetisch schlechteren Angebot aufgegeben und ins Nachteilige verändert.

Das Zuschlagskriterium der Energieeffizienz erhält praktisch einen unverdienten, ausschlaggebenden Rang, weil das Angebot, das im Bewertungssystem alleine beim Preiskriterium Wertungspunkte erzielt, realistischerweise nicht für einen Zuschlag in Betracht kommt, so die südbayerische Vergabekammer. Wertungssysteme also, die dem schlechtesten Angebot null Punkte zuweisen, sind damit riskant, weil es von Zufälligkeiten, wie der Anzahl der eingehenden Angebote, abhängt, ob das Wertungssystem vergaberechtlich noch vertretbar ist oder im konkreten Einzelfall als vergaberechtswidrig gilt.
(Holger Schröder)
(Der Autor ist Fachanwalt für Vergaberecht bei Rödl & Partner in Nürnberg.)

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