Bauen

Bauen ist nicht nur die Phase auf der Baustelle, sondern auch alles, was davor kommt. (Foto: Bilderbox)

30.04.2021

Dialog schafft Konsens statt Streit

Konflikte und Vorschriften verzögern den Bauprozess

Zu teuer, zu langsam, selten innovativ: Auf dem deutschen Bauwesen lasten viele Vorurteile und Herausforderungen. Wie wirken sich die Normen des Rechtsstaats und Bürgerbeteiligung auf Bauprojekte aus? Was erwartet die Branche in der Zukunft und warum sollten mediative Ansätze stärker in den Fokus gestellt werden? Darum ging es bei der gemeinsamen Online-Tagung der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und der Akademie für Politische Bildung Tutzing mit dem Titel Bauen in der Warteschleife. Der lange Weg von der Idee zum Richtfest, warum Bauen so schwierig geworden ist. Expert*innen aus dem Bauwesen haben sich dieser Frage gewidmet.

Bauen bedeutet Fortschritt. Die zahlreichen Kräne über der Landeshauptstadt München demonstrieren eine rege Bautätigkeit und beweisen, dass Konjunktur und Wohlstand wachsen. Hiermit verbunden steigt auch die Einwohnerzahl kontinuierlich nach oben. Die positive wirtschaftliche Entwicklung, kulturelles und gesellschaftliches Leben der Stadt gelten als ein attraktiver Magnet, der Zukunftsperspektive und somit auch Arbeitsstellen verspricht.

Das rasante
Wachstum braucht Raum

Die statistische Kurve soll laut der Bertelsmann Stiftung weiter nach oben gehen. Für den Zeitraum bis 2030 wird prognostiziert, dass die Einwohnerzahl in München um rund 197 000 Menschen ansteigen wird. Das sind gut 14,8 Prozent.

Das rasante Wachstum braucht Raum, damit verbunden sinnvolle Planung und qualitätsvolles Bauen, um zukunftsorientiert und sozial die neuen Bauvorhaben umzusetzen. Jedoch hat sich mit dem Anstieg der Bauprojekte ein komplexes, engmaschiges Netz an Vorschriften gebildet, das den Bauablauf in vielen Fällen erschwert. Hinzu kommt, dass die Bürger*innen interessiert sind und an der Planung und Umsetzung der neuen Bauten mitreden wollen. Somit kommt es nicht selten zu Konflikten der am Bau Beteiligten und auch zu Verzögerungen.

Besteht die Möglichkeit, alles viel schneller und reibungsloser zu regeln? Oder drohen dann womöglich Willkür, Unordnung und Qualitätsverluste? Wie notwendig sind die vielen baurechtlichen Fragen? Ist eine schnellere Projektplanung denkbar, kann das Bauen beschleunigt und damit auch die Konflikte reduziert werden?

Hendrik Hunold, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, appellierte in seinem Vortrag „Rechtliche Bremsen, verschwendete Freiheiten“ an seine Juristen-Kolleg*innen, den Dialog zu fördern. Er sieht in den „anwaltlichen Abwehrreflexen“ wie beispielsweise der Aufforderung, „erst mal alles nachzuweisen“, bereits eine Bremse im System. Diese führe häufig zu harten Fronten und Konflikten. Anwälte können nach Hunolds Ansicht einen erheblichen Beitrag dazu leisten, wie Bauvorhaben ablaufen, aber müssen ihre Handlungen kritisch hinterfragen.

Dabei erklärte Hunold, dass Zivilprozesse bis zu 40 Monate dauern, hohe Kosten verursachen und dabei die Konflikte vertiefen und harte Fronten schaffen können. Wichtig in diesem Zusammenhang sei die richtige Wahl der Anwälte, um komplizierte Sachverhalte sauber darzustellen, zu verhandeln und beizulegen. „Es ist wichtig, den Dialog zwischen den Baubeteiligten und den Anwälten herzustellen“, so der Jurist. Sein Motto lautet: „Think outside the box“, damit das Bauen praktikabler und konfliktfreier wird.

In einer Diskussionsrunde ging es um Bauprojekte, ihre Planung, Finanzierung und die vielen Probleme, die damit verbunden sein können. Die Baubranche werde von der Politik oftmals zu Beginn eines Bauvorhabens dazu gedrängt, einen belastbaren Kostenbetrag für das Bauprojekt zu nennen. Dabei wird jedoch nur selten berücksichtigt, dass sich während des Bauens sowohl Preise als auch Normen ändern, erklärte Gunther Adler, Geschäftsführer Personal der Autobahn GmbH des Bundes. „Wenn die erste Zahl mal im Raum ist, geht sie nicht mehr weg.“

Dem stimmte Ursula Sowa, Architektin und baupolitische Sprecherin der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, zu und ergänzte, dass sich gegen „die verfluchte erste Zahl“ ein Zuschlag von 30 Prozent auf die Kosteneinschätzung bewährt hat. Kammerpräsident Norbert Gebbeken plädierte in diesem Zusammenhang daher für eine individuelle Risikoanalyse zur Ermittlung eines Kostenkorridors.

Rechtzeitige Bürgerbeteiligung

Nach Sowas Ansicht sei es besonders wichtig, sich vor Augen zu halten, dass es sich beim Bauen um einen Prozess handelt. „Es ist ein Prozess und eine Idee erst mal. Und eine Idee gleich in Euro eins zu eins umzusetzen, ist eigentlich unmöglich.“ Insbesondere, da öffentlichen Bauvorhaben, wie zum Beispiel die Elbphilharmonie in Hamburg, meistens keine Standardware sind, sondern neue Bereiche abdecken. Zudem beklagte sie die fehlende Kommunikation zwischen Politik, Bürger*innen, Ingenieur*innen sowie Architekt*innen und forderte einen stärkeren Austausch.

Josef Zimmermann, ehemaliger Ordinarius am Lehrstuhl für Bauprozessmanagement und Immobilienentwicklung der TU München, erklärte, „Bauen ist nicht nur die Phase auf der Baustelle, sondern auch alles, was davor kommt.“ Dazu zählt er Planungs-, Genehmigungs- und Bürgerbeteiligungsprozesse. Er bedauert, dass das Vertrauen der Bürger*innen in die Politik und das Bauwesen gesunken ist, vor allem durch misslungene Großprojekte wie zum Beispiel Stuttgart 21. Gleichzeitig plädiert Zimmermann dafür, die Bevölkerung rechtzeitig einzubeziehen.

Als Bauprozessmanager konkretisierte Zimmermann weitere Kriterien, die ein Bauprojekt ausmachen. Hierzu gehören Standards wie Wärmedämmung und Schallschutz sowie die genaue Erkundung des Bestands. Eine korrekte Prozesssteuerung am Bau sei daher unbedingt notwendig. „Wer bei der Bauvorbereitung beispielsweise übersieht, dass Bäume nur bis Februar gefällt werden dürfen und er sie Monate später beseitigen will, trägt zu einer Verteuerung bei.“

Wolfgang Schubert-Raab, Präsident des Landesverbands Bayerischer Bauinnungen, sah die Thematik etwas optimistischer und verwies darauf, dass es sich in vielen Fällen, wie zum Beispiel bei Brücken, um gebaute Unikate handelt. Gleichzeitig kritisierte er, dass oftmals falsche Zahlen bei den Kosten angegeben würden. So würden Kalkulationen platzen, oder aber Budgets seien gar nicht vorhanden. „Aber es gibt auch positive Beispiele“, so Schubert-Raab, „2006 bis 2016 sind bei 740 Bauvorhaben mit hohen Auftragssummen nur bei sieben Prozent der Projekte die Kosten überschritten und bei drei Prozent unterschritten worden.“ Dennoch räumt er ein: „Oft seien die Ingenieure zu biegsam, dass sie nicht gleich die Risiken nennen“.

Schubert-Raabs Erfahrung nach wäre die Produktivität vieler Baustellen höher, wenn die Planung zu Beginn bereits abgeschlossen und Aufgaben sowie Kompetenzen klar verteilt wären.

Adler betonte, „Deutschland hat die besten Ingenieure der Welt“ und fügte hinzu, dass viele Bauprojekte sowohl im Zeit- als auch im Kostenrahmen liegen.

Dass sich bei Bauprojekten Konflikte ergeben, ist nichts Neues. Aber es gibt auch Strategien, diesen Auseinandersetzungen vorzubeugen oder entgegenwirken. Arne Lorz, Hauptabteilungsleiter des Referats für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München, setzt dabei auf Öffentlichkeitsarbeit und aktive Beteiligungskultur. Dabei spielen Vermitteln und Information eine ganz wichtige Rolle. Im Münchner PlanTreff werden anhand von Veranstaltungen, Ausstellungen, Exkursionen und Online-Dialogen auch die Bürger*innen informiert und es wird Transparenz geschaffen. Es geht also um Strukturkonzepte und Beteiligungsprozesse.

„Eine gezielte, professionelle Kommunikation führt dazu, dass es viel mehr Menschen gibt“, so Lorz, „die auch Verständnis dafür haben, was wir tun und was wir tun müssen.“ Für einen erfolgreichen Austausch entscheidend seien ein klares Ziel, die Bereitschaft zum Dialog sowie Rahmenbedingungen, die geachtet werden. Die Bürgerbeteiligung legt die Grundlagen, um im weiteren Verfahren konstruktiv miteinander umzugehen. „Je mehr man im Vorfeld investiert, desto mehr spart man sich lang anhaltende Diskussionen“, ist Lorz überzeugt.

Über außergerichtliche Streitbeilegung informierte aus der Praxis Claus Jürgen Diederichs (Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Außergerichtliche Streitbeilegung in der Bau- und Immobilienwirtschaft e. V.). Seiner Ansicht nach ist die Justiz „nicht darauf vorbereitet, Bauprozesse zu lösen“. Er ist überzeugt, dass eine rechtzeitige Bürgerbeteiligung die richtige und wirkungsvolle Gegenmaßnahme ist, damit Konflikte und gerichtliche Verfahren gar nicht erst zustande kommen. „Ein Konfliktmanagement, das auf unterschiedlichen Interessen von Projektbeteiligten beruht, entlastet die Gerichte und beugt Konflikten vor.“

Konfliktparteien
bleiben im Gespräch

Diederichs setzt sich deshalb für außergerichtliche Streitbeilegung wie Alternative-Dispute-Resolution-Verfahren (ADR-Verfahren) ein. Die ADR-Verfahren haben als Ziel, außergerichtlich mithilfe eines Schlichters einen Konsens oder eine Verhandlungslösung zu finden. Dadurch sinken die Verfahrensdauer, im Durchschnitt um 20 Prozent, und Verfahrenskosten – um 50 Prozent. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Konfliktparteien im Gespräch bleiben. Es sei daher wünschenswert, mediative Ansätze und Konfliktmanagement stärker zu vermitteln und auch in die Lehrpläne relevanter Studiengänge und Berufsausbildungen aufzunehmen.

Ralph Bartsch von der Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft – ist seit 2003 mit Konfliktmanagement Mediation befasst und ebenfalls überzeugt, dass Konflikte vermeidbar sind. Denn viel Streit bedeutet wenig Gerechtigkeit und Konflikte kosten Zeit sowie Geld und meistens ist dann eine weitere, kooperative Zusammenarbeit kaum mehr möglich. Seiner Meinung nach besteht ein wichtiges Kommunikationsproblem darin, dass aneinander vorbeigeredet wird. „Weg von der emotionalen auf die sachliche Ebene zu kommen, ist der erste Schritt“, so Bartsch.

Konfliktpotenziale im Bauprozess gibt es genug, also ist eine Dialogebene und vertrauliche Freiwilligkeit von großer Bedeutung. Immerhin geht es unter anderem um Projektziele, Abstimmung, Budgetrahmen oder Zeitvorgaben, die außergerichtlich zu verhandeln sind. Bartsch’ Rat lautet daher, jemanden im Projekt zu bestimmen, der zuhört und aktiv eingreift, um praktikable Lösungen herbeizuführen.

Lin Sebastian Kayser (CEO, Hyperganic Technologies AG, München) arbeitet derzeit in Dubai und ist Gründer verschiedener Start-ups. „Verglichen mit Dubai dauert die Planungszeit in Deutschland und das Bauen viel zu lange. In China und Dubai stehen die Großprojekte in zwei Jahren“. Den Grund dafür sieht er in den vielen Vorschriften. Deshalb plädiert er dafür, künftig mehr Verantwortung in die Menschen und weniger in die Normen zu legen.

In die gleiche Richtung hieb auch Schubert-Raab. Er fordert einen anderen Umgang mit rechtlichen Normen für Bauprojekte. Normen seien zwar wichtig, da man sich auf die verlassen könne, jedoch müssten sie „handhabbar gemacht werden“. Viele Normen widersprächen sich untereinander und „dann wird eine Norm zum Unsinn“.

Franziska Maier gehört zum Arbeitskreis Junge Ingenieure, sie sieht die Zukunft im mobilen Arbeiten. „Dazu gehört eine veränderte Arbeitswelt, in der Teamgeist statt Söldnergruppe zählen.“ Abbau von Büroflächen, Desk Sharing und beispielsweise umweltbewusste Reduzierung von Geschäftsreisen gehören ebenfalls dazu. Sie fordert weniger Vorschriften, dafür mehr Verantwortung. (Eva-Maria Mayring, Friedrich H. Hettler)

 

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