Bauen

Das Gebäude im derzeitigen Zustand scheint auf den ersten Blick aus zwei Baukörpern zusammengesetzt zu sein: aus einem hohen villenartigen Kopfbau und einem niedrigen langgestreckten rückwärtigen Bau – dem Labortrakt. Ursprünglich war der Bau dreiteilig. Der wuchtige Baukörper an der Würzburger Sedanstraße imponiert, aber er wirkt kahl, schroff und abweisend. (Foto: A. Seufert)

21.02.2020

Die Säulen der Forschung

Der Chemiker Hermann Pauly ließ sein Institut als vornehmen Herrensitz gestalten

Architektonische Säulen wurden seit jeher mit symbolischen Lasten beladen. Sie sollten nicht nur Himmel und Erde auseinanderhalten, ihnen wurde auch – anders als Pfeilern – eine Aufwärtstendenz angedichtet. Dadurch schienen sie griechische Tempel geradezu schweben zu lassen; und in den christlichen Legenden hoben sie die Säulenheiligen näher hinauf zu Gott.

In dieser Tradition steht das Haus in der Sedanstraße in Würzburg, das durch einen portikusartigen Vorbau über dem Eingang auffällt. Die weit ausladende Plattform mit stark betonter Brüstung scheint die Säulen aber niederzudrücken. Das mindert den Würdeanspruch dieser gehobenen Stillage. „Das Haus wirkt auf den ersten Blick schwerfällig, ungelenk, schroff“, sagt Stefan Bürger.

Der Kunsthistoriker an der Universität Würzburg sieht gleichwohl Qualitäten: „Das architektonische Konzept ist ambitioniert.“ Die sich hoch hinauf erhebende Fassade mit Gurtgesims und gliedernden Wandvorlagen sei anspruchsvoll. „Das Walmdach biegt sich segmentbogenförmig zu einer Attika auf – das verstärkt den vertikalen Zug“, sagt der Architekt und Dozent für Architekturgeschichte an der Hochschule Würzburg, Matthias Wieser.

Gestrichen aus der Denkmalliste

Unter dem von einer Krempe gesäumten Segmentbogen scheint das Gebäude wie unter einer Schirmmütze leicht missmutig hervorzuschauen und durch das mittige Fenster – gewissermaßen einäugig – in eine ungewisse Zukunft zu blicken. Es steht seit Jahren leer und ist Gegenstand von Plänen, die zunächst den Abriss und zuletzt den Erhalt des Gebäudes vorsahen. In der Stadtbildkommission wurde schon dreimal darüber verhandelt. Die Mitglieder der Kommission – darunter vor allem der Stadtheimatpfleger Hans Steidle – plädierten dafür, das Gebäude zumindest in Teilen zu erhalten, obwohl es 2011 von der Denkmalliste gestrichen worden war. Als Begründung führte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege an, das Erscheinungsbild sei „nur reduziert überliefert – die historische Aussagefähigkeit ist somit stark geschwächt“.

In der Denkmalliste wurde das Gebäude charakterisiert als „ehem. Chemisches Institut in Form einer Jugendstil-Villa mit Laboranbau, 1912 von Fritz Saalfrank für den Chemieprofessor Dr. Hermann Pauly“. Saalfrank, 1878 geboren, war 1911 nach Würzburg gekommen und hatte in bester Lage – Marktplatz 1 – ein Architekturbüro gegründet.

Pauly „bekam“ dieses Laboratorium aber nicht, wie es in einem Online-Lexikon heißt, er hat es selbst bauen lassen. Warum er das Institut für sich errichten ließ, lässt sich nicht restlos aufklären. Seine gut 70 wissenschaftlichen Publikationen und neun Patente lassen Verwertungabsichten vermuten, der Schriftverkehr zur Bauzeit schließt das aber aus. „Das Gebäude soll als rein wissenschaftliches Privatinstitut und für höhere Lehrzwecke dienen und hat weder eine industrielle noch gewerbliche Bestimmung“, teilte der Architekt der Baubehörde mit.

Wegen "Nervenleiden" beurlaubt

Entscheidend könnte gewesen sein, dass Pauly gleich nach Dienstantritt als Professor ein Jahr lang beurlaubt werden musste – wegen „Nervenleiden“. Ab 1932 brauchte er keine Vorlesungen mehr zu halten – wegen „Sprechschwierigkeiten“. Die Autoren einer Geschichte der Chemie in Würzburg aus dem Jahr 1968 wussten wohl mehr. Sie erwähnen eine unpublizierte, inzwischen verschollene Selbstbiographie und vermerken, dass sich Pauly das Institut „aus gesundheitlichen Gründen“ habe bauen lassen.

In seinem Institut wollte er sich möglicherweise optimale Arbeitsbedingungen schaffen und konnte sich das auch leisten. Als Pauly am 31. Oktober 1950 starb, war er nicht mehr Besitzer des Instituts. Es war 1944 mit dem Grundstück an ein Chemieunternehmen übergegangen, 1954 an die Verlegerfamilie Vogel, die es in unterschiedlicher Weise nutzte, und 2012 an den jetzigen Eigentümer, der Wohnungen bauen wollte. Die Stadt lasse ihn aber nicht bauen, klagte er vor Kurzem. Deshalb wolle er das Grundstück verkaufen.

Vorerst bleibt also offen, was aus dem Gebäude wird. Was es unmittelbar nach dem Bauabschluss gewesen ist, macht eine bislang nicht bekannte Fotografie aus dem Stadtarchiv sichtbar. Sie zeigt, dass der Kopfbau mit einem markanten rückwärtigen Querhaus korrespondierte. Es hatte ein Dach mit einem antikisierenden Dreieckgiebel und könnte Wieser zufolge als „offene Loggia“ ausgebildet gewesen sein.

Dreiteiliger Baukörper

Obwohl das Foto nur als Kopie einer Kopie überliefert ist, lässt es erkennen, dass der Baukörper nicht zweiteilig war, wie der jetzige Zustand nahelegt, sondern dreiteilig: mit Kopf- oder Frontbau, mittlerem Labortrakt und rückwärtigem Bau. Der Grundriss gleicht einem Doppel-T-Träger oder der römischen Eins (I), wenn das nicht zu metallbautechnisch oder philologisch gedacht wäre. Die Denkmalschutzbehörde spricht von einer H-Form.

Die große Überraschung an der Hauptfassade ist die, so Wieser, „mächtige, von einem breiten Gewände mit Schlussstein gerahmte Rundbogenöffnung. Sie hat mit den seitlichen Putzfeldern und der Ausschmückung der Attika wohl maßgeblich zum lichten Charakter der repräsentativen Villenfassade beigetragen.“ Die Putzdekoration war „sicher farblich gefasst“ – vielleicht auch die gerasterte Verglasung.

Die Dekoration wird laut Wieser „stilprägend“ gewesen sein und rechtfertige die Bezeichnung „Jugendstilvilla“. Der monumentalisierte Segmentbogen geht Stefan Bürger zufolge auf Fensterverdachungen in der Renaissance zurück, das Rundbogenfenster mit Schlussstein zitiere den Barock, im Portikus und dem tempelartigen Spitzgiebel im rückwärtigen Querhaus werde die klassische Bautradition der Antike fortgeführt.

Überlagerung verschiedener Bautypen

Diese Stilmischung rechtfertige nicht den Vorwurf, sagt Bürger, der Architekt habe nur „in die Formenkiste gegriffen“ – im Gegenteil: „Saalfrank hat offenbar sehr kontrolliert versucht, durch die Überlagerung verschiedener Bautypen Spannungsmomente zu erzeugen und dabei einen vexierhaft oszillierenden Flächen- und Körpereindruck hervorzurufen.“ Die Schwerfälligkeit der Baukörper sei dadurch wohl überspielt worden.
Mit leichtem Vorlauf schuf Peter Behrens 1909 in Berlin die legendäre Turbinenhalle für AEG und Walter Gropius 1911 in Alfeld das Faguswerk, in denen sich die moderne Zweckarchitektur exemplarisch manifestierte. In Würzburg konnte ein Architekt solche Ideen vielleicht noch nicht aufgreifen. Paulys Institut sollte laut Saalfrank „von dem Charakter eines vornehmeren Wohngebäudes nicht abweichen“ – von einem Herrensitz.

Die nur wenig älteren Motive des Jugendstils sind hingegen bis Würzburg vorgedrungen, aber schon als matte Ausläufer, denn die Reformbewegung war nach nur wenigen intensiven Jahren um 1900 schon im Abschwung. Sie konnte die historisierenden Stile nicht ersetzen und die zum bloßen Dekor herabgesunkene Säule auch in der Sedanstraße nicht vom Sockel stoßen.
(Helmut Klemm)

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