Bauen

10.07.2015

Neue Aufgaben für Architekten

Mehr Ethik und Ästhetik

Während unsere Städte explosionsartig wachsen und dabei die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, wandern Architekten in Abhängigkeit von ihren Auftraggebern auf ausgetretenen Pfaden und produzieren renditeorientierte Investorenarchitektur für eine verschwindend geringe Zahl der Weltbevölkerung. Nur selten reflektieren sie ihr eigenes Handeln und denken über Veränderung nach, geschweige denn über eine Stadtentwicklung von unten, die an den Rand der Gesellschaft gedrängten Wohnungslosen hilft, ein gesundes Zuhause zu finden.
„Wo bleibt der Mensch in der modernen Architektur?“, fragte sich vor diesem Hintergrund Andreas Lepik, Leiter des Architekturmuseums der Technischen Universität München (TUM), in seinem Vortrag „Ethik & Ästhetik. Die soziale Relevanz der Architektur heute“. „Und warum tauchen Menschen auf Hochglanzseiten einschlägiger Populär- wie Fachjournale niemals auf? Können Architekturprojekte Katalysatoren für einen sozialen Wandels sein?“

Bauen für das Existenzminimum


Seit Oktober 2012 leitet Lepik das Architekturmuseum der TUM. Gleichzeitig forscht und lehrt er als Professor für Architekturgeschichte und kuratorische Praxis an der TU. Für ihn die kongeniale Ergänzung zum laufenden Museumsbetrieb.
Bereits seine erste Münchner Schau „Afritecture – Bauen mit der Gemeinschaft“ läutete einen Paradigmenwechsel zur traditionellen Ausstellungspraxis seines Vorgängers Winfried Nerdinger ein, der mehr an der Geschichte als an der Gegenwart der Architektur interessiert war.
Davor griff Lepik im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt das Thema auf, das ihn schon in New York umtrieb, als er 2010 die Ausstellung „Small Scale, Big Chance – New Arcitectures of Social Engagement“ am Museum of Modern Art kuratierte. Auch damals lotete der Architekturhistoriker neue Dimensionen der Architektur aus, indem er die Frage nach der sozialen und politischen Relevanz der Architektur erstmals stellte.
In Abwandlung der vor 15 Jahren in Venedig gezeigten Ausstellung mit dem Titel „Weniger Ästhetik, mehr Ethik“ fordert Lepik sowohl mehr Ethik als auch mehr Ästhetik beim Bauen in entwickelten wie unterentwickelten Staaten. Vor den Problemen der globalen Welt will der Architekturexperte, der in der Weltgeschichte weit herum gekommen ist, die Augen nicht verschließen. Lepiks Engagement zielt auf ein „Bauen für das Existenzminimum“. Was eigentlich keine Neuerfindung ist, sondern ein in die Gegenwartrücken der Vergangenheit. Lepik erinnert daran, dass es die Architekten der klassischen Moderne waren, die in den 1920er Jahren von der Idee getragen wurden, für die unteren Bevölkerungsschichten gesunde Behausungen zu kreieren.
Nach der Postmoderne hat sich das Bild des sich selbst feiernden Stararchitekten entwickelt, der „Luxusprodukte, Ikonen der Baukunst immer höher, immer glanzvoller“ hervorbringt, meint Andreas Lepik. An zahlreichen Einzelbeispielen zeigte der Wissenschaftler, wie durch Eigeninitiative nachhaltige Bauprojekte weltweit entstehen. Die architektonisch unterversorgten Gebiete reichen von Burkina Faso bis nach Paris oder Wien.
Aga-Khan-Preisträger Diebedo Francis Kéré, aus dem kleinen Dorf Gando in Burkina Faso hat es vorgemacht, mit dem Einsatz geringster Mittel die größtmögliche soziale Veränderung zu erzielen. Seine Bildungsbauten für sein Heimatdorf wurden erst von den Einheimischen skeptisch beäugt. Schließlich hatte der Sohn des Dorfältesten als einziger eine Schule besucht, anschließend im reichen Ausland Architektur studiert, war aber zur Überraschung der Dorfbewohner mit Ideen zurückgekehrt, die sich an der eigenen, traditionellen CO2-freien Handwerkskunst mit Lehmziegeln orientieren. Er überzeugte sein Dorf schließlich doch von der Qualität ihrer in Handarbeit und in Einklang mit der Natur entstandenen Lehmziegelbauten, wie mit einer Grundschule mit nachfolgenden Erweiterungsbauten.

Gemeinschaft aus Obdachlosen und Studenten

Dass in unseren Breiten statt Abriss auch ein neuer Fassadenvorhang mit Wintergärten für mehr Wohnqualität bei gleichbleibendem Mietzins taugen kann, zeigt das Pariser Beispiel des Hochhauses „Tour Boit Le Pretre“. Und auch in Wien könnte das soziale Wohnprojekt „VinziRast mittendrin“ innovativen Architekten Mut machen, für die Gesellschaft mehr zu leisten. In einem alten Haus aus der Biedermeierzeit entstand neben Wohnraum auch Lebensraum für vielfältige Aktivitäten einer Gemeinschaft aus Obdachlosen und Studenten. Ein einmaliges Projekt, das weltweit Schule machen könnte. (Angelika Irgens-Defregger)

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