Bauen

Blick vom "bahnorama" auf die Dachkonstruktion des neuen Wiener Hauptbahnhofs. (Foto: Hettler)

15.03.2013

Rautendach als Blickfang

In Wien wird nicht nur ein neuer Hauptbahnhof gebaut, es entsteht auch ein komplett neues Stadtviertel

Über eine Milliarde Euro investieren die Österreichische Bundesbahn (ÖBB), die Republik Österreich, die Stadt Wien und die Europäische Union (EU) in den Neubau des Hauptbahnhofs Wien, der auf dem Gelände zwischen dem ehemaligen Süd- und Ostbahnhof sowie dem Südtiroler Platz entsteht. Ein Durchgangsbahnhof konnte nur auf dem Areal des ehemaligen Südbahnhofs gebaut werden, da sich von hier aus Gleise in alle Himmelsrichtungen führen lassen. Dem Standort kommt ferner zugute, dass sich die Stadt seit über 100 Jahren in Richtung Süden und Osten erweitert. Daher liegt der neue Hauptbahnhof vergleichsweise zentral.
Bei dem Projekt Hauptbahnhof Wien handelt es sich um mehr als nur einen neuen Bahnhof, es ist ein Gesamtprojekt mit einer Größe von 109 Hektar und damit die derzeit bedeutendste Infrastrukturmaßnahme der österreichischen Bundeshauptstadt. Denn rund um den neuen Wiener Hauptbahnhof entsteht ein völlig neues, zentral gelegenes Stadtviertel auch mit einem Stück Natur vor der Haustür.
Der neue Hauptbahnhof wird als Durchgangsbahnhof errichtet. Erstmals werden Züge aus allen Richtungen in Wien ankommen und in alle Richtungen verbunden. Bis Dezember 2009 war der alte Südbahnhof die Endstation von Süd- und Ostbahn. Mit der Schaffung einer hochleistungsfähigen Nord-Süd- und Ost-West-Verbindung wird der Bahnhof zur wichtigsten Drehscheibe für den regionalen, nationalen und internationalen Reiseverkehr sowie zu einem zentralen Knotenpunkt im transeuropäischen Schienennetz – der neue Hauptbahnhof liegt im Schnittpunkt vor drei TEN-Achsen. Aus diesem Grund gibt es für dieses Projekt im Rahmen der TEN (Trans European Networks)-Förderung für vorrangige Verkehrswege in Europa auch Geld von der EU. Ferner werden hochwertige zentrumsnahe Flächen der ÖBB verwertet, um damit einen Teil der Ausgaben zu decken.
Wien wird damit seine Position in der Mitte Europas stärken und als Wirtschaftsstandort eine schnelle und leistungsstarke Verbindung zu den wichtigsten Märkten erhalten. Darüber hinaus wird der neue moderne Bahnhof aufgrund seiner Architektur eine Visitenkarten für die Stadt als Tourismusmetropole werden.
Der neue Bahnhof mit Haupteingang am Südtiroler Platz ist hell und barrierefrei gestaltet. Rolltreppen und Lifte bringen die Reisenden zu den insgesamt fünf Bahnsteigen. Auf 20 000 Quadratmetern Fläche laden zahlreiche Geschäfte und Gastronomiebetriebe zum Shoppen und Verweilen ein. Unterhalb der Bahnflächen entsteht eine Garage für mehr als 600 Autos und drei Fahrradgaragen mit rund 1100 Stellplätzen.
Visueller Blickfang des neuen Bahnhofs ist das gefaltete, rautenförmige Dach, das die Bahnsteige überspannt. Diese rund 25 000 Quadratmeter große, lichtdurchlässige Überdachung sorgt für eine helle und freundliche Atmosphäre. Übersichtliche Leitsysteme helfen den Reisenden, sich zu orientieren. Geplant wurde das Rautendach von Albert Wimmer, Ernst Hoffmann und Theo Hotz Architekten und Planer.
Das Dach über den Bahnsteigen ist eine offene Konstruktion bestehend aus zwei Hälften. Eine Hälfte besteht von oben gesehen aus fünf Reihen abwechselnd geneigter Trapezflächen, die pro Reihe so halb-versetzt sind, dass zwischen den Dachflächen eine vertikale Öffnung entsteht, die verglast ist und Licht unter das Dach bringt. Zusätzlich existieren zwischen zwei Zwillingsstützen Oberlichter an den höchsten Punkten der Dachflächen. Die Unterseite der Dachkonstruktion ist in Dreiecksflächen aufgelöst, wobei diese zu den Zwillingsstützen hin geneigt sind. Zum Südtiroler Platz verjüngt sich dieses Ensemble von Dachflächen, der Südbahn folgend. Die andere Hälfte des Daches besteht aus Flachdächern, die sich am Ende nach oben schwingen. Die Bahnsteige liegen rund sieben Meter, der höchste Dachflächenpunkt etwa 23 Meter über dem Straßenniveau. Das Innere des Dachs besteht aus mehreren miteinander verbundenen Stahlstäben (Fachwerk).
Erste Planungen für einen Zentralbahnhof in Wien gab es schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, allerdings wurde die Ausführung aus Kostengründen immer wieder verschoben. 1995 wurde ein Expertenverfahren für einen neuen zentralen Wiener Bahnhof eingeleitet. Das Siegerprojekt von Theo Hotz scheiterte jedoch unter anderem an den hohen Kosten.

Aus Kostengründen
immer wieder verschoben


2003 unterzeichneten die Republik Österreich, die Stadt Wien und die ÖBB eine Absichtserklärung, das Projekt Durchgangsbahnhof Wien gemeinsam zu realisieren. Ein Jahr später wurde für die Gestaltung des geplanten neuen Stadtteils ein internationales Expertenverfahren für den Masterplan Stadtteil Wien Südbahnhof ausgeschrieben. Der daraus hervorgegangene Masterplan Bahnhof Wien – Europa Mitte wurde vom Wiener Gemeinderat einstimmig beschlossen. Er sah ein Bauvolumen von rund einer Million Quadratmetern Bruttogeschossfläche vor, darunter 550 000 Quadratmeter Büroflächen. Darüber hinaus sollten 5000 Wohnungen für 13 000 Menschen ebenso entstehen wie ein acht Hektar großer Park.
Größten Wert legten die Planer auf einen sorgfältigen und nachhaltigen Umgang mit der Umwelt. 2007 und 2008 wurden deshalb Umweltverträglichkeitsprüfungen für das Bahninfrastrukturprojekt, das Städtebauvorhaben sowie das Straßenprojekt durchgeführt. Auswirkungen auf unterschiedlichste Bereiche wie zum Beispiel Lärm und Klimabelastung, Grundwasser sowie Luftschadstoffe wurden untersucht und bewertet. Ein beeindruckendes Beispiel für die festgelegten Schutzmaßnahmen sind rund 14 000 Lärmschutzfenster sowie acht Kilometer Lärmschutzwände.

5000 Wohnungen
für 13 000 Menschen


Der 12. Dezember 2009 war der letzte Betriebstag des Südbahnhofs, einen Tag später wurden die alte Aufnahmshalle sowie die Bahnsteig- und Gleisanlagen geschlossen und anschließend abgetragen. Bei den Abbrucharbeiten stieß man sogar auf eine Bunkeranlage aus dem Zweiten Weltkrieg mit weit über drei Meter dicken Betonmauern. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass sich die ÖBB zu einer umweltfreundlichen Baustellenabwicklung verpflichtet hat, das heißt, das gesamte wieder verwertbare Material – insbesondere der Betonabbruch und Gleisschotter – soll möglichst auf dem Gelände aufbereitet und so weit wie möglich wieder eingesetzt werden.
Die Hauptbauphase des Bahnhofs begann im Frühjahr 2010. Ein Jahr später wurden die Tragwerke der rund 25 000 Quadratmeter großen rautenförmigen Dachkonstruktion installiert, die die Bahnsteige 3 bis 12 überdeckt. Die Gleisbauarbeiten begannen ebenfalls in diesem Jahr. Im Frühjahr 2012 wurden die ersten drei Gleise fertiggestellt, die seit 6. August 2012 die zuvor eingerichtete provisorische Baustellendurchfahrt ersetzen. Am 9. Dezember 2012 wurde der Hauptbahnhof mit vier Bahnsteigen und einem Durchfahrtsgleis in Teilbetrieb genommen. Am 14. Dezember 2014 soll der neue Wiener Hauptbahnhof eröffnet werden und spätestens ein Jahr später komplett fertiggestellt sein. Dann wird der Bahnhof zehn Bahnsteige und zwölf Gleise haben.
Schon von Weitem ist der 66,72 Meter hohe Turm des Informationszentrums „bahnorama“ sichtbar. Der Turm gilt als der höchste begehbare Holzturm Europas. Das „bahnorama“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Stadt Wien sowie der ÖBB und wurde vom Team RAHM architekten kreiert. Das Infozentrum, das es seit dem 19. August 2010 gibt, besteht aus dem Turm und einem Ausstellungsgebäude.
Der Aussichtsturm des „bahnoramas“ ist 150 Tonnen schwer und besteht aus 160 Kubikmetern heimischen Fichtenholzes. Zwei verglaste Panoramalifte bringen die Besucher auf die Aussichtsplattform in 40 Metern Höhe. Von dort hat man einen hervorragenden Rundblick darauf, wie die neue internationale Verkehrsdrehscheibe Hauptbahnhof Wien samt dem angrenzenden neuen Stadtteil entsteht und wächst. Die Holzkonstruktion soll bis 2015, also der kompletten Fertigstellung des Bahnhofs, bestehen bleiben und in der Folge dann auch auf andere Großbaustellen übersiedeln.
Wie bereits erwähnt, entsteht im Rahmen des Projekts neuer Hauptbahnhof Wien auch ein komplett neues Stadtviertel. Das gesamte Stadtentwicklungsgebiet liegt zwischen Wiedner Gürtel im Norden, Arsenalstraße im Osten und Sonnwendgasse/Gudrunstraße im Süden und Westen und umfasst eine Fläche von insgesamt 59 Hektar.
Im Süden des Areals im Sonnwendviertel – 35 Hektar groß – entsteht ein attraktives Wohngebiet rund um einen etwa acht Hektar großen Park. Insgesamt entstehen 5000 Wohnungen für etwa 13 000 Menschen. Der Wohnpark wird von Bürogebäuden und Gewerbebetrieben zur Ostbahn hin begrenzt. Rund um den Park versprechen die modernen und ökologisch durchdachten Wohnbauten im Sonnwendviertel nicht nur Erholung und Lebensqualität, mit dem neuen Bildungscampus inmitten des Viertels gibt es auch beste Angebote für Kinder und Jugendliche.
Im Norden des Areals – dem neuen Quartier Belvedere – errichten Investoren vor allem Büros, Hotels und Dienstleistungseinrichtungen. Südlich des Bahnhofsgebäudes entsteht nach den Plänen der Architekten Zechner & Zechner ZT die neue ÖBB-Konzernzentrale. Damit Wiens wichtigstes Vorhaben in den kommenden Jahren auch plangemäß Wirklichkeit wird, investiert die Stadt knapp 500 Millionen Euro in dieses Projekt. 2019 sollen die Wohnbauten und der Park fertiggestellt sein. (Friedrich H. Hettler) (Das "bahnorama" mit Europas höchstem begehbaren Hozturm; der Vorplatz des neuen Bahnhofs; Detailaufnahmen der Dachkonstruktion sowie der Wartebereich unter den Bahngleisen - Fotos: Hettler)

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