Ein griechischer Tempel oberhalb des Donautals, inmitten einer Landschaft, die von Ausläufern des Bayerischen Walds geprägt ist, entrückt von allem Alltäglichen, perfekt proportioniert, eine Komposition aus Ebenmaß und Regelhaftigkeit. Gebe es da nicht die riesige Freitreppe, man könnte meinen, das Bauwerk schwebe über der Landschaft, weiß und unnahbar: Die Walhalla in Donaustauf, eröffnet 1842.
Ein solches Idealbild war es wohl, das der deutsche Archäologe Johann Joachim Winckelmann schon im 18. Jahrhunderts mit seiner vielzitierten „edle(n) Einfalt“ und „stille(n) Größe“ meinte. Er bereitete mit seinen Schriften den Weg für den baulichen Ausdruck einer Epoche, die nach langer Zeit sowohl sakraler als auch höfischer Kapriolen in Barock und Rokoko wieder das rechte Maß finden wollte: den Klassizismus.
Der von 1770 bis 1840 zu datierende Klassizismus wird in Malerei und Literatur von der Romantik begleitet. Die Spielart eines eher einfachen Klassizismus in Innenausstattung und Möbelbau des 19. Jahrhunderts ist das Biedermeier. Vorgegeben wurden die Bauformen des Klassizismus in der Architektur vor allem durch die griechische Antike, mit der damals so benannten „Tektonik der Hellenen“. Das wohl nie wieder zu erreichende Idealbild der Baukunst war also, im 18./19. Jahrhundert erneut der griechische Tempel. Besonders der Parthenon-Tempel der Athener Akropolis, der bis heute seine Stellung als „wundervollste“ Schöpfung griechischer Architektur hält, avancierte zum Vorbild.
Die Akropolis wurde von den Baumeistern der damaligen Zeit studiert und schöpferisch in eigene Ideen einbezogen: Leo von Klenze, Karl Friedrich Schinkel und Gottfried Semper lieferten Entwürfe zur Vollendung der Akropolis und ihre Ergänzung durch einen danebengelegenen Königspalast. Die Zahl der acht Frontsäulen des Parthenon-Tempels finden sich an vielen Nachfolgebauten wieder, auch an vielen in Bayern gelegenen Bauwerken, wie zum Beispiel an der Glyptothek in München oder an der Walhalla. Bei letzterer gibt es sogar die so genannte Eckkontraktion, also die Verkürzung der Abstände zwischen den beiden Säulen.
Im klassischen Griechenland diente diese Bauart der optischen Korrektur mit dem Ziel, ideale Proportionen und ein harmonisches Zusammenspiel mit dem über den Säulen gelegenen Metopen-Triglyphen-Fries zu erreichen.
Die Walhalla in Donaustauf bei Regensburg wurde auf Veranlassung König Ludwig I. erbaut, um bedeutende Persönlichkeiten „teutscher Zunge“ mit Marmorbüsten und Gedenktafeln zu ehren. Die Grundidee zu ihrer Gestaltung in Form eines dorischen Tempels hatte der aus Nürnberg stammende Architekt und Archäologe Carl Haller von Hallerstein, der um 1810 eigene Proportionsstudien an der Athener Akropolis durchgeführt hatte. Wesentliche Ideen, die auch auf Zeichnungen von Hallersteins beruhten, setzte Leo von Klenze in seinem Entwurf um.
Eine über zwei
Stockwerke reichende Halle
Die Vorstellung, ein „germanisches“ Thema – der Ort Walhall ist in der nordischen Mythologie der Ruheort der gefallenen Kämpfer – in griechische Tempelformen zu verpacken, war damals kein Einzelfall, sondern Teil der Identitätssuche nach den Napoleonischen Kriegen. Das Innere der Walhalla bildet eine über zwei Stockwerke reichende Halle, die durch ihre Farbigkeit – die Wände sind mit rotem Marmor verkleidet – und die in Gold und Silber gefasste Kassettendecke in einem starken Kontrast zur edel-blassen Fassade aus Kelheimer Kalkstein steht.
Das Dachgebälk, mit den obligatorischen Oberlichtern als Bezug zum römischen Pantheon, ist eine moderne Eisenkonstruktion, geschickt unter historischen Formen versteckt. Es wird von mehreren paarweise nebeneinander stehenden Frauengestalten getragen – Nachfahrinnen der Koren auf dem Erechtheion der Akropolis. Gerade in Bayern war die Verbindung nach Griechenland besonders eng durch Ludwigs I. Sohn Otto, der von 1832 bis 1862 König von Griechenland war. Ludwig I., ein „Philhellene“, wollte München zum „Isar-Athen“ werden lassen. Seine Liebe zum antiken Griechenland ging sogar noch weiter: Er führte den Buchstaben „y“ in den Landesnamen seines Königreichs ein. Aus Baiern wurde Bayern. Im Gegenzug wehte nun die blaue-weiße Flagge der Wittelsbacher über Griechenland. Die Hofarchitekten Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner waren dem König bei der Umgestaltung Münchens zu einer Stadt der Kunst besonders zu Diensten. Dagegen schenkte er den von seinem Vater, König Maximilian I., favorisierten Architekten Carl von Fischer und Gustav von Vorherr, dem genialen Planer des Alten Südfriedhofs von München, nur wenig Beachtung.
Doch gerade Carl von Fischer war dem Klassizismus eng verbunden und hatte dem Hof bereits Pläne für die Gestaltung des Königsplatzes und auch schon für die Walhalla vorgelegt. Viele seiner Ideen fanden Eingang in die Planungen Klenzes. Heute ist der Name Carl von Fischer vor allem mit dem Münchner Karolinenplatz und dem Nationaltheater verbunden. Auch hier sieht man die erwähnten acht Frontsäulen. Blickt man auf die gesamte Fassade, drängt sich neben dem Parthenon in Athen noch ein weiteres klassisches Vorbild auf: das römische Pantheon.
Die von zwei Museen gerahmte klassizistische Platzanlage des Münchner Königsplatzes bietet der antiken Kunst ein Forum, sowohl durch die Exponate im Inneren der Bauten, als auch durch die antikisierenden Fassaden, die einen Teil des Wegs zwischen Münchner Residenz und Schloss Nymphenburg rahmen. Sie sollten dem Besucher den Genuss antiker Ästhetik und idealer Proportionen ermöglichen – eine Idee, die angesichts der mit der aktuellen Funktion des Platzes wenig nachvollziehbar erscheint. Er ist heute eine stark frequentierte Straße und die Propyläen liegen auf einer Verkehrsinsel.
Drei klassische
Säulenordnungen
Doch trotz der veränderten Situation finden sich die drei klassischen Säulenordnungen noch immer vereint auf einem Platz – die mit ionischen Säulen geschmückte Glyptothek, gegenüber die Antikensammlung, ein Bau von Friedrich Ziebland, dessen Front korinthische Säulen zieren und die Propyläen, mit ihren wuchtigen, ebenfalls dorischen Säulen.
Die Glyptothek zählt zu den ersten öffentlichen Museen Deutschlands – genauer gesagt, ist sie das zweite, nach dem Alten Museum in Berlin von Karl Friedrich Schinkel. Sie wurde 1830 fertiggestellt und somit Klenzes erster Bau in München – die Propyläen sind mit dem Baujahr 1862 sein letzter. Dazwischen entwirft und errichtet er in rascher Folge sowohl klassizistische als auch im Stil der Neorenaissance gehaltene Bauten. Eine Vielfalt der Stile deutet sich hier an, sie wird zur Jahrhundertwende hin zunehmen und schließlich vom großen Architekturhistoriker Sir Nikolaus Pevsner als „Maskenball der Baukunst“ bezeichnet werden.
Einen wichtigen klassizistischen Bau Klenzes in München gilt es aber noch zu nennen, die Ruhmeshalle, erbaut zwischen 1843 und 1853. Als griechische Wandelhalle mit dorischen Säulen aus weißem Kelheimer Kalkstein thront sie oberhalb der Theresienwiese. Sie bildet eine bauliche Einheit mit der 1853 aufgestellten kolossalen Bavaria – der ersten Statue seit der Antike, die vollkommen aus gegossener Bronze besteht.
Römische Villa
mit einem Atrium
Die weibliche Symbolgestalt und weltliche Patronin Bayerns wurde in den Entwürfen Klenzes zunächst als antike griechische Göttin, nach dem Vorbild der auf der Akropolis befindlichen Bronzestatue der „Athena Promachos“, „der in vorderster Linie Kämpfenden“, gestaltet. Die Idee wurde nicht umgesetzt, besser gefiel Ludwig Schwanthalers romantisierende und germanisierte Vorstellung einer Bavaria mit einem Lorbeerkranz aus Eichenblättern, einem umgegürteten Bärenfell und dem Löwen an ihrer Hand als Attribut der Stärke.
Ein weiterer klassizistischer Bau, der einmal nicht den griechischen Tempel sondern die römische Villa mit einem Atrium wiederauferstehen lässt, befindet sich in Aschaffenburg: das Pompejanum. Erbaut hat es in den Jahren 1840 bis 1848 Friedrich von Gärtner. Inspiriert von den Ausgrabungen in Pompeji wollte Ludwig I. die antike Kultur dem Kunstinteressierten bildhaft vor Augen führen.
Das Pompejanum, die Ruhmeshalle, die Propyläen – streng genommen stehen sie am Ende, ja sogar schon außerhalb des Zeitfensters der kunsthistorischen Epoche des Klassizismus, denn ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bahnt sich eine größere Stilvielfalt mit immer weniger strengen Regeln den Weg: der Historismus. (
Kaija Voss)
(Die Antikensammlung am Münchner Königsplatz - Foto: Voss)
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