Bauen

Das neue VLH-Wasserkraftwerk in Sulzberg/Au. (Foto: Ingenieurbüro Koch)

18.05.2016

Weltweit einmalig

Feierliche Inbetriebnahme von Deutschlands erstem VLH-Wasserkraftwerk im schwäbischen Sulzberg/Au

Zum Jahreswechsel ging im Allgäu eines der innovativsten und fischfreundlichsten Wasserkraftwerke Deutschlands ans Stromnetz und vor Kurzem wurde das „Very Low Head“ (VLH)-Wasserkraftwerk feierlich eingeweiht. Mit dem Ziel, eine bestehende Staustufe mit niedriger Fallhöhe wirtschaftlich für die Erzeugung von Strom aus Wasserkraft zu nutzen und gleichzeitig eines der fischverträglichsten Wasserkraftwerke zu bauen, gründeten die Allgäuer Überlandwerk GmbH (AÜW) und die Bayerischen Landeskraftwerke GmbH (LaKW) die gemeinsame Gesellschaft Illerkraftwerk Au GmbH.
Nach nur gut einem Jahr Bauzeit – die Bauplanung erfolgte durch das Ingenieurbüro Koch, Kempten – entstand in Sulzberg/Au im Allgäu das erste VLH-Wasserkraftwerk Deutschlands. Die erstmals in Deutschland eingesetzte Technologie der „Very Low Head“-Turbine stellt in Kombination mit der variablen Stauzielregelung durch ein wassergefülltes Schlauchwehr eine Weltneuheit dar. „Das spannende an dem Standort ist der geschichtliche Hintergrund – bereits 1907 wurde von unserem Firmengründer Karl Böhm und seinem Vater an dieser Stelle ein Wasserkraftwerk betrieben. Aufgrund der niedrigen Fallhöhe galt dieser Standort lange Zeit als unwirtschaftlich. Der Einsatz der VLH-Technologie ermöglicht an dieser Wehranlage nun wieder eine effiziente Erzeugung erneuerbarer Energie aus Wasserkraft“, erklärt Michael Lucke, Geschäftsführer AÜW.
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist eine der wesentlichen Aufgaben, damit die Energiewende in Deutschland gelingt. Bei der Planung und dem Bau des Wasserkraftwerks wurde der Fokus, neben der Wirtschaftlichkeit, auf die hohe Fischverträglichkeit und Ökologie gelegt.
Im Rahmen ihrer Festrede betonte Umweltministerin Ulrike Scharf, dass an diesem Standort ein Vorzeigeprojekt entstanden ist. Im Frühjahr 2015 wurde ein umfangreiches Monitoringprogramm des Lehrstuhls für Aquatische Systembiologie der Technischen Universität (TU) München begonnen, um die ökologischen Auswirkungen der Anlage im Vergleich mit dem Vorher-Zustand und mit herkömmlichen Wasserkraftanlagen zu untersuchen. Die Auswertung der Forschungsarbeit wird nach einer weiteren umfangreichen Versuchsreihe im Herbst 2017 erwartet.

Untersuchung der ökologischen Verträglichkeit

„Mit dem Forschungsprojekt Wasserkraftnutzung und Gewässerökologie der TU München wird die ökologische Verträglichkeit der neuen Wasserkrafttechnik untersucht. Für Erkenntnisse und Verbesserungen im Fischschutz sowie für die innovativen Wasserkrafttechniken investiert der Freistaat mehrere Millionen Euro“, betonte Umweltministerin Scharf in ihrer Rede.
Dieses Wasserkraftprojekt ist weltweit einmalig und hat Vorbildcharakter für eine gesicherte Energieerzeugung im Einklang mit Natur und Umwelt. Das Besondere an dem Wasserkraftwerk ist, wie bereits erwähnt, die erstmals in Deutschland eingesetzte Technologie der „Very Low Head-Turbine“ in Kombination mit einer variablen Stauzielregelung durch ein wassergefülltes Schlauchwehr sowie einer Geschiebe- und Treibholzschleuse. Die VLH-Turbine eignet sich besonders für den Einsatz in Flüssen mit niedriger Fallhöhe und zeichnet sich durch ihre hohe Fischverträglichkeit aus. Durch ein unabhängiges, staatlich finanziertes Monitoring werden die Fischverträglichkeit der VLH-Turbine sowie die ökologischen Auswirkungen der Wasserkraftanlage auf die angrenzenden Habitate untersucht.
Bereits Ende 2015 ist die Wasserkraftanlage ans Netz gegangen, das Investitionsvolumen beläuft sich auf insgesamt 8,7 Millionen Euro. Das Allgäuer Überlandwerk und die Bayerische Landeskraftwerke GmbH (eine Eigengesellschaft des Freistaats Bayern) bilden gleichberechtigt die Illerkraftwerk Au GmbH. Finanziell unterstützt wurde das Projekt mit 1,4 Millionen Euro aus Mitteln des Förderprogramms „BayInvent“ vom bayerischen Wirtschaftsministerium. In der Nachkriegszeit wurden Wasserkraftanlagen meist an Wehren mit geringer Fallhöhe aufgelassen, da diese bei den extrem niedrigen Strompreisen zur damaligen Zeit nicht mehr rentabel waren. Auch bei der heute gesicherten Einspeisevergütung nach EEG bleibt an solchen Standorten die Wirtschaftlichkeit grenzwertig, weshalb neue Wege in der Technik der Nutzung der Wasserkraft gesucht werden. Trotz ungünstiger Standortbedingungen soll eine wirtschaftliche Nutzung ermöglicht werden.
Ein naheliegender Gedanke zur Verbesserung der energiewirtschaftlichen Nutzung einer bestehenden Staustufe ist die Vergrößerung der Fallhöhe durch Anstau des Oberwassers. Dem entgegen steht der ökologische Nachteil der Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit im Oberwasser mit den negativen Auswirkungen auf die Wasserqualität bei Niedrigwasser sowie die damit in Verbindung stehenden ungünstigsten Einflüsse auf die Lebensbedingungen der Gewässerorganismen. Es war deshalb notwendig, nach Lösungen zu suchen, die bei kritischen Abflussbedingungen die ökologischen Rahmenbedingungen im Gewässer nicht negativ verändern und nur bei ausreichenden Abflüssen eine Stauzielerhöhung vorsehen. Entscheidend bei dieser Überlegung ist die Tatsache, dass der größte Teil der Jahresarbeit einer Laufwasserkraftanlage in Zeiten guter Wasserführung erzielt wird und die Zeiten niedriger Abflüsse für die Energieerzeugung eher untergeordnet sind. Zudem wird mit der konstanten Einspeisevergütung nach EEG kein besonderer Erzeugungszeitraum mehr bevorzugt. Für die Wirtschaftlichkeit der Stromerzeugung ist somit nur die Summe der Jahreserzeugung maßgebend, nicht jedoch der Zeitpunkt der Erzeugung. Durch ein umfangreiches Monitoringverfahren des Lehrstuhls für Aquatische Systembiologie der TU München, das auch diesen Standort mit einbezieht, werden bayernweit die ökologischen Auswirkungen innovativer Wasserkraftanlagen im Vergleich zu herkömmlicher Technologie untersucht. Hierbei werden sowohl direkte anlagenbedingte Auswirkungen auf die Fischpopulation, zum Beispiel Verletzungen durch die Turbinen, als auch Veränderungen des Lebensraums, beispielsweise durch den Aufstau, betrachtet. Im Rahmen des Forschungsmoduls A „Anlagenbedingte Wirkungen“ wurden zum Beispiel abwandernde Fische nach der Turbinenpassage mittels spezieller Fangnetze, so genannter Hamen, gefangen und auf Rechen- und Turbinenschäden hin untersucht.

Kräftiger Schub für innovative Wasserkrafttechnik


Im Forschungsmodul B „Ökologische Auswirkungen“ erheben die Forscher der TU München das Fischartenspektrum, am Gewässergrund lebende Kleintiere, Wasserpflanzen, Aufwuchsalgen und verschiedene Umweltparameter. Sie erfassen diese Komponenten im Ober- und Unterwasser sowie vor und nach dem Bau der Wasserkraftanlagen an vorab festgelegten Gewässerquerschnitten. Im Anschluss werden die Veränderungen bezüglich des Artenspektrums und der vorliegenden Lebensräume dokumentiert und ausgewertet. Neben den im Gewässer natürlich vorkommenden Fischen werden für den Versuch rund 30 000 Fische folgender Arten am Standort Au eingesetzt: Bachforelle, Huchen, Äsche, Barbe, Aal, Nase, Rotauge, Flussbarsch.
Tests in Frankreich mit der VLH-Turbine haben bei Forellen, Karpfen und Schleien eine Überlebensrate von fast 100 Prozent ergeben. Bestätigen sich diese Tests auch in Sulzberg/Au bedeutet das einen „kräftigen Schub“ für die ökologische Verträglichkeit der innovativen Wasserkrafttechnik und für deren Marktreife. In diesem Projekt kommt die Technologie der VLH-Turbine erstmals in einem alpinen Gebirgsfluss mit hohem Geschiebe- und Treibholzanteil zum Einsatz. In Verbindung mit dem dynamischen Schlauchwehr ist es weltweit die erste Umsetzung einer solchen Wasserkraftanlage. So wurde in umfangreichen Tests und Simulationen, über einen Zeitraum von knapp acht Monaten, zusammen mit dem Lehrstuhl für Wasserbau und Wasserwirtschaft der TU München in einem Modell mit einem Maßstab von 1:20 das Kraftwerk nachgebaut. In den Versuchen wurden die Kraftwerksanströmung, die Geschiebespülung, die Schwemmholzabfuhr sowie die Überprüfung der Abflussleistung im Hochwasserfall so weit optimiert, dass die Kombination aus VLH-Turbine mit einem Schlauchwehr für alpine Flüsse geeignet ist. Diese Ergebnisse gaben den Startschuss für die Projektrealisierung. (BSZ) (8,7 Millionen Euro wurden in das Projekt investiert; Fischmonitoring am Kraftwerk - Fotos: Ingenieurbüro Koch/Allgäuer Überlandwerk GmbH)

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