Bauen

Blick aus das Bürogebäude RESI von Südosten aus gesehen. (Foto: Hehnpohl Architektur BDA)

06.08.2025

Weniger ist mehr als Planungsgrundsatz

Ein Netto-Null-Büroneubau in Bamberg ohne Heizen und Kühlen

Nach nur 13 Monaten Bauzeit ist das Bamberger Beratungsunternehmen Alpha IC GmbH in sein neues Lowtech-Firmengebäude mit Namen RESI auf dem Bamberger Lagarde-Campus eingezogen. Der Name RESI vereint die Anfangsbuchstaben der Begriffe Responsibility, Efficiency, Sustainability sowie Innovation und fasst sozusagen das klimagerechte Gebäudeprogramm sympathisch zusammen. Bei diesem Projekt ist der Bauherrr gleichzeitig Geschäftsführer der Alpha IC GmbH, die wiederum als Hauptmieterin die Planungen für Energiekonzept, Bauphysik, Fördermittelbegleitung, DGNB- und QNG-Zertifizierung, Innenarchitektur und Arbeitswelten übernommen hat.

So konnte Bauherr Sebastian Hölzlein seine Vision eines Gebäudes ohne statische Heizung und Kühlung, das auf den gesamten Lebenszyklus gesehen so wenig Energie und CO2 wie möglich verbraucht und emittiert, mit seinem eigenen Beratungsteam verwirklichen. Zudem wollte er mit dem Projekt zeigen, dass nachhaltiges Bauen machbar und auch für kleine und mittlere Unternehmen wirtschaftlich zu leisten ist.

Im Planungsteam waren neben dem Architekturbüro hehnpohl architektur bda das Büro Hölzlein Ingenieure für die TGA-Planung und Tragraum Ingenieure mbB für die Statik sowie Zech Bau SE als Generalunternehmer verantwortlich.

Die Liegenschaft ist Bestandteil eines 20 Hektar großen Konversionsgeländes, das die Stadt Bamberg seit dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte 2014 unter dem Titel Lagarde-Campus entwickelt. Das dreigeschossige Bürogebäude mit einer Bruttogrundfläche von 2092 Quadratmetern schließt dabei den Platz der Menschenrechte auf östlicher Seite ab. Es wird flankiert von der denkmalgeschützten Reithalle, der Posthalle und der neu errichteten Energiezentrale der Stadtwerke Bamberg. Der rechteckige Kubus hat die Maße 29,20 mal 20 Meter und reicht 14,52 Meter zum First.

Der gestalterische Ansatz des Architekturbüros hehnpohl architektur bda aus Münster für diesen Standort war, dem verbleibenden Stadtbaustein am Platz der Menschenrechte (PdM) eine ange-messene Gestalt zu geben und die Architektur der umgebenden Gebäude in eine zeitgenössische Architektursprache zu übersetzen. hehnpohl haben nicht nur eine preisgekrönte Erfahrung mit Klinkerbauten, sondern auch die Offenheit im Rahmen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit, Planung und Gestaltung unter das Primat von Nachhaltigkeit und Effizienz zu stellen: „Architecture follows sustainability.“ So baut sich das Gebäude in seiner inneren Organisationsstruktur und der entsprechenden konstruktiven Logik sinnfällig auf: Kern, Nutzung, Hülle.

Der Vorgabe „Netto-Null“ wird in der äußeren Erscheinung durch das Prinzip eines Setzkastens Rechnung getragen: Die strenge, am Achsraster der benachbarten historischen Reithalle orientierte Fassade reagiert durch variierende Breiten der Fenster auf die bauphysikalischen Anforderungen der Gebäudesimulation. Deshalb gibt es insgesamt sechs verschiedene Fenstergrößen.

Kompakte Gebäudeform

Während die Beraterinnen und Berater der Alpha IC in der Regel deutschlandweit Energiekonzepte für große Immobilienprojekte, Quartiere oder Kommunen erstellen, waren sie dieses Mal gefragt, das eigene Firmengebäude net-zero und klimaresilient zu planen. Das Energiekonzept zeichnet sich dabei durch einen ganzheitlichen, auf Nachhaltigkeit und Klimarobustheit ausgelegten Efficiency-first-Ansatz aus. Bereits in der Leistungsphase 0 kamen umfassende Simulationen zum Einsatz – etwa zur Betrachtung und Optimierung der Verschattung, zur Tageslichtausbeute, zur zukünftigen Klimaentwicklung und den thermischen Lasten.

Die daraus abgeleiteten Maßnahmen umfassen eine kompakte Gebäudeform mit RC-Beton-Speichermassen, eine sehr gut gedämmte Gebäudehülle, optimierte Raumanordnung und Fensterflächen, eine zentrale Lüftungsanlage mit hohem Wärmerückgewinnungsgrad, einer intelligenten Gebäudeautomation sowie ein sinnvolles Nachtlüftungskonzept. Das Gebäude verzichtet dabei vollständig auf klassische Heiz- und Kühlsysteme, verfügt jedoch über ein elektrisches Heizregister je Geschoss, um zum Beispiel den Wegfall der internen Wärmequellen während längerer Betriebsferien in der kalten Jahreszeit kurzfristig auszugleichen. Abgerundet wird das Konzept durch tageslicht- und präsenzgesteuerte Beleuchtung sowie energieeffiziente Geräte.

Konkret wurde ein Effizienzgebäude 40 mit Nachhaltigkeitsklasse (EG 40 NH) und einem Primärenergiebedarf von 23,88 kWh/m²a realisiert, das alle Anforderungen gemäß der Bundesförderung effizienter Gebäude (BEG) erfüllt. Die für den Betrieb notwendige Energie wird mit einer Indach-PV-Anlage auf dem flach geneigten Walmdach mit insgesamt 588 Quadratmetern Fläche (davon 414 Quadratmeter aktiv) und einer Leistung von 72,4 kW erzeugt. Ein Batteriespeicher mit 22 kWh Kapazität unterstützt die Eigenverbrauchsquote von rund 65 Prozent bei einer Gesamtproduktion von etwa 63 800 kWh/Jahr.

Damit ist der Speicher in der Lage, den notwendigen Grundbedarf des Gebäudes ohne Lüftungstechnik ausreichend abzudecken. Die erzeugten Strommengen und die damit zu versorgenden Energieverbräuche werden durch ein Monitoring steuer- und erklärbar visualisiert. Damit erfüllt der Bauherr gleichzeitig ein Klimaschutzkriterium der EU-Taxonomie; zudem spart das Indach-Konzept Ressourcen. Auch wegen des innovativen Energiekonzepts wurde das Lowtech-Gebäude bereits mit dem Deutschen TGA-Award ausgezeichnet.

Für den Büroneubau ist eine Zertifizierung nach dem System der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) vorgesehen – angestrebt wird die Auszeichnungsstufe DGNB Gold. Im Rahmen der BEG ist das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) erforderlich: für die RESI angestrebt wird die Stufe QNG PLUS. Innerhalb des DGNB-Systems werden volle Bewertungspunkte in den Kriterien Lebenszykluskosten (LCC) und Ökobilanz (LCA) erzielt. Für die verwendeten Materialien wird Qualitätsstufe 3, für die Barrierefreiheit Qualitätsstufe 4 erreicht.

Als ausgewähltes Projekt der Architektouren 2025 erhielt die RESI zusätzlich das Prädikat „Klimakulturkompetenz“ in der Kategorie „Barrierefreiheit“. Die Fassade ist vollständig mit rückgebauten, wiederverwendeten Klinkerriemchen bekleidet – ein sichtbares Zeichen für gelebte Kreislaufwirtschaft und materialbewusste Gestaltung.

Die RESI kann insbesondere mit Blick auf den Einsatz der Re-use-Klinker und Recycling-Beton einen Recycling-Anteil von 75 Prozent vorweisen. Wo möglich, wurden regionale nachhaltige Materialien und schadstofffreie Produkte eingesetzt, die in einem Gebäuderessourcenpass dokumentiert sind. Zudem wurden aus dem vorherigen Bürogebäude Möbel mitgenommen, in das neue Konzept integriert und weiterverwendet oder gespendet.
Die Überzeugung „weniger ist mehr“ spiegelt sich auch in dem gestalterischen Ansatz wider, die verwendeten Bauteile und Materialien in den möglichst einfachen Stufen der Verarbeitung zu belassen.
Zudem werden 20 Prozent der Flächen mit allen Nutzern im Gebäude geteilt, vom Fahrradraum zu Besprechern.

Ein weiterer Aspekt von Nachhaltigkeit ist immer auch eine Architektur, die ein maximal flexibles Nutzungskonzept auf den gesamten Lebenszyklus einschließt. So können nichttragende Innenwände in der RESI der Nutzung entsprechend angepasst werden. Auch das mobile, multifunktionale Mobiliar spiegelt diese Nutzungsflexibilität wider.

Aus Fehlern lernen

Die Arbeitswelten entsprechen dem New Work Ansatz und folgen dem Prinzip Activity Based Working. Demnach gibt es passend zu den jeweiligen Tätigkeiten gestaltete Flächen, die verschiedene Nutzungsszenarien im laufenden Betrieb ermöglichen, wie zum Beispiel kollaborative Bereiche, Desksharing-Arbeitsplätze, Social Hub und Fokusbereiche. Insgesamt stehen 33 Arbeitsplätze nach ArbStättV und ebenso viele weitere Arbeitsmöglichkeiten in der Fläche zur Verfügung. Auch ein kurzfristiges Coworking im Erdgeschoss durch Dritte ist möglich. Zudem ist die Nutzung für kulturelle und Fortbildungs-Veranstaltungen in den Räumlichkeiten mitgedacht.

Das Arbeitswelten-Team der Alpha IC hat hier sowohl die neuen Büroflächen konzipiert als auch im Rahmen eines Change-Management-Prozesses die Kolleginnen und Kollegen am Standort Bamberg mitgenommen und deren Bedürfnisse in die Planungen einfließen lassen. Die Gebäudeperformance und Nutzerzufriedenheit im Betrieb wird aktuell im Rahmen einer studentischen Arbeit an der Technischen Hochschule Nürnberg evaluiert. Dazu werden Anregungen der Beschäftigten passend zur agilen und partizipativen Organisationskultur der Alpha IC besprochen und wenn möglich, umgesetzt.

Die RESI hat die Adresse „Platz der Menschenrechte 1“. Das ist für den Bauherrn zusätzliche Verpflichtung, Demokratie und Menschenrechte zu achten und zu schützen. Das zeigt sich nicht nur im Indoor-Graffiti des Künstlers André Naumann im Erdgeschoss zum Thema „35 Jahre Mauerfall“, sondern zum Beispiel auch darin, dass die RESI mit dem noch zu vermietenden kleinen Café im Erdgeschoss ein Ort der Begegnung und lebendiger Teil des Quartiers werden soll.

Im Sinne höchstmöglicher Transparenz gibt es mit dem Projekt nicht nur die Zusammenarbeit mit der TH Nürnberg, sondern auch viele Gäste in der RESI, Berichterstattung und Austausch über Planung, Umsetzung, Gebäudeperformance und Nutzerzufriedenheit. Dabei braucht es nach Überzeugung von Sebastian Hölzlein vor allem auch eine Fehlerkultur, damit „wir gemeinsam aus Fehlern genauso lernen wie aus Erfolgen“.

Ebenso werden die Baukosten in der kommenden Ausgabe „BKI Objektdaten Neubau N21.“ dokumentiert, um zu zeigen, dass nachhaltiges Bauen wirtschaftlich abbildbar ist und den Vergleich nicht scheuen muss: Bezogen auf die Bruttogrundfläche (BGF) zum Beispiel liegen die Baukosten der RESI für KG300 und KG400 bei 2164 Euro/m² brutto im Vergleich zum mittleren BKI-Standard von 2610 Euro/m².

Drei Punkte halten Hölzlein und sein Planungsteam aus den bisherigen Erfahrungen beim zukunftsfähigen Bauen für besonders wichtig:

1. Die Implementierung eines integralen Planungsansatzes mit allen wichtigen Stakeholdern

2. Die Notwendigkeit, frühzeitig in der Planung, – in einer neu zu schaffenden Phase 0 nach HOAI –, die Nachhaltigkeitsziele für ein Projekt festzulegen.

3. Den gesamten Lebenszyklus im Blick zu haben, damit nicht nur die Investitionskosten für den Bau, sondern auch die Kosten eines möglichst effizienten Betriebs betrachtet und gefördert werden.
(Jan Hesse, Sebastian Hölzlein. Sebastian Hölzlein ist Geschäftsführer der Alpha IC GmbH, Jan Philipp Hesse, Partner Alpha IC GmbH und Mitglied der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau)

 

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