Beruf & Karriere

Nicht immer ist der schnellste Weg ans berufliche Ziel der beste. (Foto: dpa)

20.07.2018

An sich denken, nicht an den Arbeitgeber

Viele junge Menschen verlernen vor lauter Selbstoptimierung, auf sich selbst zu achten – dabei führt genau das langfristig zum Erfolg

In Japan gibt es ein Wort für den Tod durch Überarbeitung: Karoshi. Bei einem Anti-Perfektionismus-Seminar in München erklären jüngere und ältere Unternehmer, wie die richtige Work-Life-Balance gelingt. Und Soziologen, warum ein ungerader Lebenslauf oft der bessere ist.

Jungen Menschen stehen bei der Berufswahl viele Türen offen. „Du kannst alles machen“, heißt es oft beruhigend. Doch viele beruhigt das ganz und gar nicht. Studierende sollten sich spätestens nach dem vierten Semester entscheiden, wo sie sich im Master spezialisieren wollen. Dadurch werden die Weichen für den späteren Beruf gestellt – zu diesem Zeitpunkt sind viele gerade erst einmal 20 Jahre alt. „Ich habe ständig Angst, mich falsch zu entscheiden und zu scheitern“, sagt eine Teilnehmerin beim Anti-Perfektionismus-Seminar „120 Prozent – Viel zu viel oder gerade gut genug“ in München. Also vielleicht in den Semesterferien doch lieber ein Praktikum oder Auslandssemester statt entspannen? Sich ständig alle Türen offenhalten zu wollen, treibt viele Berufsanfänger in die Überforderung.

„Es gibt viele Veranstaltungen zur Selbstoptimierung, aber keiner fragt, ob das überhaupt gesund ist“, erklärt Julia Hugo die Idee hinter dem Wochenendseminar. Sie ist Stipendiatin der Stiftung der Deutschen Wissenschaft (sdw), die im Rahmen eines Projektwettbewerbs jedes Jahr besonders kreative Vorhaben finanziell unterstützt. Die Jury überzeugte der Gedanke, dass immer mehr junge Menschen verlernen, neben guten Noten, Auslandssemestern, ersten beruflichen Erfahrungen und beispielsweise der Pflege des Babys oder der kranken Eltern, auf sich selbst zu achten. Gemeinsam mit Jörg-Michael Weber organisierte Julia Hugo daher ein halbes Jahr lang ehrenamtlich das Anti-Perfektionismus-Seminar. Dass die Diskussionsrunde 15 Minuten zu spät beginnt, sehen die Veranstalter schon mal als gutes Zeichen.

Götz Kühne, Geschäftsführer eines Finanzdienstleisters, sieht den Grund für die Überforderung in der ständigen Reizüberflutung. „Heute glauben viele, 24 Stunden und sieben Tage die Woche erreichbar sein zu müssen“, erläutert er. „Oder zumindest glauben das die Arbeitgeber.“ Kühne rät zur Stressvermeidung zur Selbstreflexion: „Was erwartet mein Umfeld, und was bin ich bereit, selber zu geben?“ Junge Menschen sollten sich auch von den Anforderungsprofilen in Stellenausschreibungen nicht einschüchtern lassen. „Was da zum Teil gefordert wird ...“, sagt er. „Diese Leute gibt es einfach nicht.“ Außerdem müssten sich junge Menschen unbedingt einen Job suchen, der ihnen Spaß macht – beispielsweise durch Initiativbewerbungen. Selbst wenn es dann stressig werde, sei das „positiver Stress“, wie Kühne es nennt. Gleichzeitig müsse es Zeit zur Entschleunigung geben. Ansonsten drohe langfristig der Burnout. In Japan gibt es sogar schon ein Wort für den Tod durch Überarbeiten: Karoshi.

"Wer sein Leben nur nach der Wirtschaft ausrichtet, der landet auch in Unternehmen, in denen der Leistungsdruck hoch ist"

Dominik Guber, der nach dem Studium ein erfolgreiches Start-up in München gegründet hat, glaubt ebenfalls, dass positiver Stress nicht so schnell zur Überlastung führt. „Ich lebe als Start-up-Unternehmer davon, dass die Leute auch mal 60 Stunden pro Woche arbeiten“, berichtet er. Damit seine Mitarbeiter immer gerne zur Arbeit kommen, führt Guber regelmäßig Feedback-Gespräche und belohnt sie bei Erreichen des Jahresziels mit einem Bonus. Jungen Jobsuchenden rät er, nicht nach dem perfekten Arbeitsplatz zu suchen. In Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung arbeite keiner mehr wie früher 50 Jahre bei ein und derselben Firma. „Wenn einem der Job nicht mehr gefällt, kann man ihn einfach wechseln“, betont der Unternehmer. Um sich selbst vor negativem Stress zu schützen, führt er regelmäßig Tagebuch über Arbeit, Beziehung und Freunde. Wenn Guber am Ende der Woche in einem der drei Bereiche unzufrieden war, versucht er, das in der nächsten entsprechend zu ändern.

Der Münchner Soziologe Janis Detert glaubt nicht, dass sich Burnout durch Spaß am Beruf vermeiden lässt. „Das ist genau die Krankheit der Menschen, die mega motiviert sind“, erklärt er und verweist auf Studien in Krankenpflegeberufen. Stattdessen empfiehlt Detert, sich über die Zielvorgaben Gedanken zu machen. „Bis in die 70er-Jahre waren die für Angestellte klar, und man konnte nach getaner Arbeit in den Biergarten gehen“, erzählt er. Heute wüssten viele gar nicht mehr, wann ein Ziel überhaupt erreicht ist – insbesondere in kreativen Berufen. Dadurch wächst der Stress und der Biergartenbesuch muss immer öfter ausfallen. Und wenn ein Ziel doch erreicht wird, wird das laut des Soziologen vom Arbeitgeber oder vom Markt oft nicht honoriert. „Den Kapitalismus kann zwar keiner von uns ändern, dafür aber jeder das persönliche Umfeld mit seinen Kollegen.“

Soziologe Cornelius Nohl empfiehlt den Studierenden, sich einfach mal zu entspannen. „Ihr werdet alle einen Job bekommen“, beruhigt er. „Die Frage ist nur, ob er euch glücklich macht.“ Nohl hat gemerkt, dass er unzufrieden war, weil er – auf einer Ebene angekommen – gleich die nächste erreichen wollte. Wie in einem Hamsterrad. Also hat er sich einen Coach genommen. Der half ihm, einen Gang runterzuschalten und nur noch das zu machen, was ihm Spaß macht. Was der Arbeitgeber dazu sagte? Der ist Nohl sogar entgegengekommen, um ihn nicht ganz als Mitarbeiter zu verlieren. Nicht zuletzt rät der Soziologe, sich nicht alle Türen offenzuhalten. „Türen schließen ist nicht schlimm“, versichert er. Dadurch werde klar, was man will. Und schlussendlich führe jeder Weg ans Ziel – auch wenn er zickzack verläuft. Wer sein Leben nur nach der Wirtschaft ausrichte, der werde auch in Unternehmen landen, in denen der Leistungsdruck hoch ist. Statt vieler Praktika rät Nohl daher zum Freisemester: „Ich fände Studierende mit einer solchen Biografie als Arbeitgeber viel spannender.“ (David Lohmann)

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