Beruf & Karriere

Vier Tage arbeiten und dann drei Tage ausschlafen? So einfach ist es leider nicht. (Foto: dpa/Patrick Pleul)

10.09.2021

Der Vier-Tage-Woche-Betrug

Entscheidend ist weniger, wie lange jemand arbeitet – sondern welche Wirkung mit der Arbeit erzielt wird

Eine neue Studie aus Island zeigt, dass der herbeigesehnten Vier-Tage-Woche nichts mehr im Wege steht. Doch was machen wir mit der gewonnenen Freizeit? Das Versprechen, das sich dahinter verbirgt, zeigt das eigentliche Dilemma der Arbeitswelt.

Viele der Digitalisierer in der Wirtschaft machen ihren Kundinnen und Kunden diese durchaus derbe Ansage zu Beginn des Vorhabens: „Eines muss Ihnen klar sein, wenn Sie heute einen scheiß Prozess haben und den digitalisieren, haben Sie einfach einen scheiß digitalen Prozess.“ Genauso ist es auch mit der Glorifizierung einer reduzierten Arbeitswoche. Wenn wir die Verkürzung von schlechten Arbeitsbedingungen glorifizieren, hat sich an den Umständen ja nichts verändert. Wie eine Studie aus Island aufzeigt, stimmt das auch. Denn im Kern erreichte die Reduktion der Arbeitszeit vor allem, dass die Menschen ihre unbefriedigende Arbeit besser aushalten können. Das gelingt, indem sie mehr Zeit haben, ihren Frust zu kompensieren.
Der Autor der Studie, Jack Kellam, sagt dazu im Zeit-Interview: „Die Probanden konnten über die Zeit, in der sie nun weniger arbeiten mussten, selbst bestimmen. Es ist egal, ob jemand in dieser Zeit vor dem Computer sitzt und zockt oder im Wald spazieren geht.“ Was laut Kellam die Menschen zufrieden macht, ist Selbstbestimmung. Das unterstreicht er mit der Aussage: „Wichtig ist vor allem, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein hohes Maß an Selbstständigkeit bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit hatten.“

Schlechte Arbeit lässt sich so nur besser aushalten

Plakativ bietet die Studie eine Verringerung der Arbeitswoche als Lösung an. Doch bei genauem Hinschauen zeigt sich etwas anderes. Menschen fehlt Selbstwirksamkeit im Arbeiten. Wir wollen Einfluss nehmen. Wir wollen mitgestalten. Wir wollen 13 gerade sein lassen. Die Art, wie heute die allermeisten Firmen organisiert sind, verhindert bei der weiten Mehrheit der Angestellten genau das. Und zwar systematisiert. Deshalb braucht es mehr als die Verbesserung der bestehenden Strukturen. Wir sind bereit für einen Systemwechsel. Wir brauchen ein adaptives Organisationsdesign, das selbstständiges Gestalten durch die Mitarbeitenden professionalisiert. Herkömmliche Organisationsstrukturen sind kaum an diese Anforderungen angepasst. Formal festgezurrte Befehls- und Kontrollstrukturen vereiteln die Fähigkeit von Menschen, sich selbstverwaltet an verändernde wirtschaftliche, technologische und Marktbedingungen anzupassen.

Soll die eigene Organisation adaptiv werden, fordert das deshalb vor allem die traditionellen Führungsgewohnheiten heraus. Für den Erfolg gilt es, die Silos zu verlassen. Und mehr noch. Niemand kann sich weiter auf vorgebende Planungen einlassen. Denn bis sie aufgehen, ist längst eine andere Lösung nötig. In dieser Gemengelage heißt es, Autonomie zuzulassen. Doch nur die, die schlussendlich auch im Sinne der Organisation handelt. Das gelingt durch drei zentrale Wirkungsmechanismen: 1) Verteilung von Führungsaufgaben beziehungsweise -verantwortung in die gesamte Firma, anstatt sie auf formale Rollen zu begrenzen. 2) Übergang von Management zu Selbstverwaltung. 3) Transfer hin zu funktionsübergreifenden autonomen Teams

Bei Firmen, die diesen Weg konsequent gehen, kommt heraus, dass für viele die Vier-Tage-Woche oder sogar noch geringere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich kein Thema sind. Es geht ja keineswegs darum, wie lange jemand arbeitet. Es kommt darauf an, welche Wirkung sie oder er mit seiner Arbeit erzielt. Das gilt im Übrigen für die Unternehmer*innen und Unternehmer genauso wie für ihre Angestellten. So betonen die Eigentümer der Teledata IT-Lösungen GmbH, Peter Wassmuth und Robin Aigner, die mit ihrer Firma diesen Weg erfolgreich gehen, regelmäßig: „Einer unserer größten Erfolge ist, dass wir keine 50- oder 60-Stunden-Woche mehr haben, sondern mit 30 bis 40 wunderbar hinkommen.“ Bei kununu, einem Internetportal für die Arbeitgeberbewertung, liest sich die Reaktion eines Mitarbeitenden auf die adaptiven Arbeitsbedingungen in der Teledata so: „Einfach schön, wenn man sich sonntags auf montags freut“. Sollten wir uns wirklich weiterhin mit Vier-Tage-Wochen als Heilsversprechen betrügen, wenn es in unserer Gestaltungsmacht liegt, sinnvoll zusammenzuarbeiten? Wir können das besser! (Gebhard Borck)

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