Beruf & Karriere

Kaum eröffnet, musste Thomas Hermanns seinen Quatsch Comedy Club in München wegen Corona wieder schließen. (Foto: QCC)

20.11.2020

"Nicht nur für die Industrie studieren"

Comedian Thomas Hermanns über das Geheimnis seines Erfolgs, Diversität im Beruf, den Druck der Optimierungsgesellschaft und Künstlerhilfen in der Corona-Krise

Thomas Hermanns gilt als Vater des Stand-ups in Deutschland. Der 57-Jährige schreibt, inszeniert und moderiert seit über 30 Jahren Fernseh- und Bühnenshows. Begonnen hat alles in den 1980er-Jahren in München. Anfang des Jahres eröffnete der 57-Jährige seinen Quatsch Comedy Club in München – dann kam Corona. Im Interview erklärt Hermanns, warum er trotzdem gut gelaunt durchs Leben geht.

BSZ: Herr Hermanns, der Quatsch Comedy Club im Münchner Werksviertel ist erst im Januar gestartet – kurz darauf begann der Lockdown. Ein Worst-Case-Szenario?
Thomas Hermanns: Ich würde eher sagen: unterbrochener Geschlechtsverkehr. Wir sind gut gestartet, haben sozusagen die Ehe mit München geschlossen und praktiziert – bevor wir wegen Corona wieder abbrechen mussten. Aber vielleicht führt das ja dazu, dass die Liebe langfristig noch heißer wird.

BSZ: Funktioniert Comedy, wenn sie wie im Sommer wegen der Corona-Abstandsregeln vor mehr als halbleeren Rängen gemacht werden muss?
Hermanns: Absolut! Ich war selber schon im Werksviertel. Gerade in diesen Zeiten wollen die Menschen lachen. Die Zuschauerränge sieht man während der Show nicht: Wenn das Licht aus ist, ist die Illusion wieder gegeben.

BSZ: Wie haben Sie die Situation im Frühjahr erlebt?
Hermanns: Nach einem kurzen Verschnaufer kam es zu einer schizophrenen Belastung: Es ging plötzlich um die Zukunft des Quatsch Comedy Clubs. Neben München gibt es uns ja auch noch in vier anderen Städten. Jedes Bundesland hatte unterschiedliche Förderprogramme und Auflagen – und diese ständig geändert. Es hat lang gedauert, bis ich und mein Team sich da durchgearbeitet haben.

BSZ: Tut die Politik genug für Unterhaltungskünstler*innen?
Hermanns: In Deutschland wird unverständlicherweise zwischen E- und U-Kultur unterschieden. Die Unterhaltung hat dabei immer einen niedrigeren Stellenwert als die sogenannte ernste Kultur. Die Hilfsprogramme für Kultur und Gewerbe sind aber auch bei uns angekommen.

BSZ: Heute ist Diversität ein großes Thema. Wie politisch war Ihre Homosexualität?
Hermanns: In Nürnberg war ich in einer politischen Bewegung, wo wir viel diskutiert und bewegt haben. Das war keine reine Jugendangelegenheit: Es waren auch viele Hippies und Alt-68er darunter. An der Universität habe ich keine Schwule gesehen – oder sie haben mich nicht gegrüßt (lacht). Von Diversität oder Regenbogenfahnen war man damals noch weit entfernt. Leichtigkeit wurde politisch hinterfragt. Politik fand mehr außerhalb der Uni statt.

BSZ: Sie haben sechs Jahre gebraucht, um Ihr Theaterwissenschaftsstudium abzuschließen. War das damals eine übliche Zeitspanne?
Hermanns: Das galt damals als schnell in den Geisteswissenschaften (lacht). Ich kam recht zügig durch, während andere im zwölften Semester noch zwischen Taxischein und Kunstgeschichte herumvagabundierten. Ich wollte so schnell wie möglich an ein Theater. Rückblickend bin ich sehr stolz, dass ich meinen Magister geschafft habe und so ein studierter Unterhaltungskünstler bin. Der, der sein Studium abbricht, gilt oft als wild und rebellisch. Aber mir war es wichtig, das brav zu beenden. Nach meiner Zeit in New York habe ich dann Stücke geschrieben, die an kleinen Münchner Theatern aufgeführt wurden. Dabei habe ich gelernt, wie man mit wenig Aufwand und Geld eine große Show inszenieren kann.

"Killermieten und extrem hohe Lebenshaltungskosten gab es früher in München nicht"

BSZ: Wie haben Sie sich damals Ihren Lebensunterhalt verdient?
Hermanns: Ich hatte Glück, weil mich meine Eltern finanziert haben. Aber ich habe auch noch in einem anderen München gelebt. In einem, in dem zum Beispiel niemand am Gärtnerplatz leben wollte. Das war damals eine so schäbige Gegend, dass kein anständiger Mensch dahin wollte. Entsprechend habe ich ein finanziell entspannteres München erlebt. Natürlich mussten meine Freunde auch jobben. Aber Killermieten und extrem hohe Lebenshaltungskosten gab es nicht. Mit ein paar Hundert Mark ist man damals durchgekommen. Alles war finanzierbar und bewegte sich in einem gerechteren Rahmen. Ich habe damals sogar schick und günstig an der St. Pauls Kirche an der Wiesn gewohnt.

BSZ: Ihr Studium hat Ihnen bei Ihrer Comedy-Karriere geholfen. Wird angehenden Theaterwissenschaftlern auch heute noch das richtige Handwerkszeug vermittelt?
Hermanns: Das würde mich auch interessieren (lacht). Ich würde gern mal wieder in einer Vorlesung sitzen. Bei uns stand damals der akademische Teil stark im Vordergrund, obwohl alle in die Praxis wollten. Daher war ich viel an der Studiobühne, wo die Dozenten eher der Praxis zugeneigt waren. Ich würde mir wünschen, dass die Grenzen zwischen E- und U-Kultur in der Theaterwissenschaft inzwischen gefallen sind – glaube es aber nicht. Das Feuilleton ist wohl immer noch das Maß aller Dinge.

BSZ: Haben Sie selber mal über eine Lehrtätigkeit nachgedacht?
Hermanns: Seitdem ich damals mit meinem Zeugnis rausmarschiert bin, war ich nicht mehr an der Universität. Ich unterrichte aber total gerne. An der Comedy-Schule in Köln habe ich eine Stand-up-Masterclass unterrichtet – darin saßen Schüler wie Mario Barth und Eckhard von Hirschhausen. Nach 30 Jahren Erfahrung in Comedy und Show habe ich auch etwas zu vermitteln. Leider ist das bisher kein akademisches Fach. Wenn ich Hochschuldozent wäre, würde ich die E- und U-Grenzen auf jeden Fall sprengen.

BSZ: Das Geheimnis Ihres Erfolgs sei es, sich nicht durchzubeißen, sondern gut gelaunt durchs Leben zu gehen, schreiben Sie in Ihrem Buch „Netter is better“. Das war aber zu Ihrer Zeit einfacher als heute, oder?
Hermanns: Ich habe das Gefühl, dass heute nur noch für die Industrie oder einen speziellen Job studiert wird. Wir durften noch denken – auch wenn nichts dabei herauskam. Studieren diente dazu, verschiedene Richtungen auszuprobieren, nicht als Rampe für den Beruf. Als ich begriffen habe, was Komparatistik ist, war ich im dritten Semester (lacht). Es ist traurig, wenn mir junge Leute erzählen, in welcher Optimierungsgesellschaft sie leben.

BSZ: Ihr Musical „Bussi – Das Munical“ ist eine Liebeserklärung an das Gefühl am Münchner Gärtnerplatz der 1980er-Jahre. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Hermanns: Wir sind so viel ausgegangen, wie wir auch studiert haben (lacht). Das Nachtleben und die schwule Szene waren sehr vielschichtig. Vor allem die New-Wave-Bewegung hatte es uns angetan. Ich habe mir nach dem Look der englischen New-Wave-Bands die Haare gemacht und das angezogen, was Annie Lennox getragen hatte. Es war ein sehr sinnliches und fröhliches Studieren – ohne den Druck der heutigen Zeit. Es war auch nicht schlimm, wenn man mal verkatert in der Vorlesung war. Das hat man einfach durch eine Extrarunde in der Bibliothek ausgemerzt. Meine drei Säulen waren damals: Studieren, ausgehen und kleine Shows organisieren. Heute ist der Gärtnerplatz leider eine Shopping-Boutique für Leute, die sich’s leisten können.

BSZ: Haben die Deutschen nach 28 Jahren Quatsch Comedy Club endlich verstanden, was Comedy ist, oder werden Sie immer noch gebeten, doch mal einen Witz zu erzählen?
Hermanns: Das ist leider immer noch so. Viele verwechseln Stand-up-Comedy mit dem Erzählen von Witzen. Was sich aber verändert hat: Die Deutschen, die nicht zu Unrecht als humorlos galten, haben gelernt, dass sie über sich selbst lachen können. Dass sie nicht alle Regeln befolgen müssen und dass im Scheitern auch etwas Positives liegt. Der Quatsch Comedy Club hat dazu einen großen Beitrag geleistet und den Deutschen einen riesigen Stock aus dem Arsch gezogen.
(Interview: David Lohmann)

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