Beruf & Karriere

Theater muss auch in Zukunft durch neue künstlerische Formate und den Austausch mit dem Publikum eine Anlaufstelle für gesellschaftliche Veränderungsprozesse bleiben, sagt Kathrin Mädler. (Foto: privat)

15.09.2023

"Theater war viel zu lange von Männern dominiert"

Theaterintendantin Kathrin Mädler über die aktuelle Ausbildungspraxis, die MeToo-Debatte und Karrieretipps für junge Menschen

Kathrin Mädler hat in München Dramaturgie sowie Theater- und Literaturwissenschaft studiert. Danach arbeitete sie unter anderem am Staatstheater Nürnberg und am Landestheater Schwaben. Aktuell leitet die 46-Jährige das Theater Oberhausen und ist Co-Vorsitzende der Intendant*innengruppe im Deutschen Bühnenverein.

BSZ: Frau Mädler, wann hat Ihre Leidenschaft für Theater und Literatur begonnen? 
Kathrin Mädler: Ich bin schon von Kindheit an viel ins Theater gegangen und war in der Theater-AG meiner Schule. Nach dem Abitur wollte ich das zu meinem Beruf machen. Dramaturgiestudiengänge waren damals noch relativ neu und rar – an der Uni München wurde aber einer gemeinsam mit der Theaterakademie August Everding angeboten. Also zog ich nach München und war vom Arbeits- und Lebensumfeld Theater sofort begeistert. 

BSZ: Was macht die Kooperation mit der Theaterakademie so besonders?
Mädler: Es ist unglaublich reizvoll, mit verschiedenen Produktionsbeteiligten zusammen zu lernen und zu arbeiten. Alle künstlerischen Disziplinen wie Schauspiel, Regie oder Dramaturgie sind dort unter einem Dach vereint – das wirkt inspirierend. Außerdem kann man sich bereits früh mit anderen jungen Künstlerinnen und Künstlern vernetzen. 

BSZ: Wie haben Sie Ihre Studienzeit in München in Erinnerung? 
Mädler: Es gab an der LMU in Literaturwissenschaft, Germanistik und Theaterwissenschaft ein riesiges Angebot, aus dem man schöpfen konnte. Gleichzeitig war ich wegen des großen Gestaltungsspielraums leicht überfordert (lacht). Durch die Freiheit und Zeitfreiheit in meinem Diplomstudium hatte ich viel Zeit, in die Praxis einzutauchen. Beispielsweise habe ich ein Semester am Wiener Burgtheater assistiert. 

BSZ: Sie sind Intendantin am Theater Oberhausen. Werden junge Menschen aktuell adäquat auf die Praxis vorbereitet?
Mädler: Durch die stärker vororganisierten Bachelor- und Masterstudiengänge haben die jungen Menschen weniger Zeit, sich in ein bestimmtes Interessensgebiet zu vertiefen und eigene Wege zu gehen. Ich will das nicht bewerten, aber ich habe den Gestaltungsspielraum damals als große Chance der eigenen Fokussierung empfunden. Außerdem fehlt die Zeit, Praxiserfahrungen zu sammeln. Ich vermute, das ist auch der Grund, warum wir am Theater immer weniger Hospitantinnen haben. 

BSZ: Bis zu Ihrer aktuellen Station in Oberhausen waren Sie am Staatstheater in Karlsruhe und Nürnberg, am Burgtheater in Wien, am Theater in Münster und am Landestheater Schwaben. Welchen Karrieretipp haben Sie für Studierende? 
Mädler: Ich habe nie einen Lebens- oder Karriereplan gehabt, sondern den Weg beim Gehen gestaltet (lacht) – das wäre auch mein Tipp. Einen klassischen Werdegang gibt es am Theater sowieso nicht. Ich habe wie gesagt schon im Studium viel in der Praxis gearbeitet und ein Jahr in Cincinnati und Kalifornien studiert, weil ich mein Wissen zum Ende meines Studiums noch vertiefen wollte. Ich wusste aber schon immer, dass ich ans Theater will. Als es dann ein Projekt gab, das ich unbedingt machen wollte, ist daraus meine erste Regietätigkeit entstanden. Danach haben sich immer wieder neue Chancen ergeben. 

"Die Einstiegsgehälter am Theater steigen auf mindestens 2900 Euro"

BSZ: Unterscheiden sich Ihre Inszenierungen je nachdem, in welcher Stadt Sie gerade sind? 
Mädler: Natürlich bringt jede Intendantin und jeder Intendant ein gewisses ästhetisches Theaterverständnis und eine künstlerische Handschrift mit. Aber ich finde, wenn man Theater für die Stadt macht, muss es auch zu dieser Stadt passen. Und das ist immer verschieden. Daher ist es eine zentrale Aufgabe, den Ort zu er-spüren und mit den Menschen in Austausch zu kommen.

BSZ: Wie sieht es mit den Verdienstmöglichkeiten am Theater aus?
Mädler: Die Einstiegsgehälter am Theater werden im März auf mindestens 2900 Euro steigen – alles andere darüber ist frei verhandelbar. Ich finde das einen richtigen und wichtigen Schritt für eine angemessene Bezahlung. Die Gagen steigen ja mit Berufserfahrung und Lebensalter deutlich. Wir haben in Deutschland ein Theatersystem wie sonst nirgends in der Welt. Und viele Künstlerinnen und Künstler sind fest angestellt. Das sorgt für eine gute Absicherung und tolle Arbeits- und Produktionsbedingungen. 

BSZ: Sie sind für Ihre Arbeit oft umgezogen. Wie sieht es am Theater mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus? 
Mädler: Theater ist naturgemäß kein besonders familienfreundliches Umfeld, weil die Aufführungen nun mal am Abend sind. Ich persönlich fand die große Mobilität und das Erschließen neuer Bühnen und Orte immer sehr aufregend. Wir machen uns aber viele Gedanken, wie wir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern können. Und mehr Frauen in Leitungspositionen bekommen. Theater war viel zu lange ein durch männliche Netzwerke dominiertes Arbeitsumfeld. 

BSZ: Was in manchen Fällen zu Machtmissbrauch führte. Sie sind auch Co-Vorsitzende der Intendant*innengruppe im Deutschen Bühnenverein. Wie lässt sich dieser Missbrauch Ihrer Meinung nach künftig unterbinden? 
Mädler: Seit der MeToo-Debatte ist viel passiert. Der Bühnenverein hat 2018 einen Wertekodex verabschiedet, zu dessen Einhaltung sich alle Beteiligten verpflichtet haben. Außerdem haben wir uns beim Aufbau der Themis-Vertrauensstelle beteiligt. Dadurch gibt es endlich eine konkrete Anlaufstelle und die Möglichkeit, Missbrauchsfälle aufzudecken. Nicht zuletzt hat der Bühnenverein eine paritätische Geschlechterbesetzung eingeführt, damit wir mehr Frauen in die Gremien bekommen. 

BSZ: Welche Aufgaben sehen Sie für das Theater der Zukunft?
Mädler: Nach Corona und den vielen neuen Krisen müssen wir uns überlegen, welche Kunst es braucht, um Menschen zu erreichen, zu berühren und auch wieder zusammenzuführen. Ich beobachte derzeit Zentrifugalkräfte, die die Menschen auseinandertreiben. Und eine Verflachung von Inhalten. Theater muss daher auch in Zukunft durch neue künstlerische Formate und den Austausch mit dem Publikum eine Anlaufstelle für gesellschaftliche Veränderungsprozesse bleiben.

BSZ: Trotz der Herausforderungen: Würden Sie jungen Menschen weiterhin empfehlen, diese Studienrichtung einzuschlagen?
Mädler: Auf jeden Fall (lacht). Theater ist der schönste Arbeits- und Lebensplatz, den man sich vorstellen kann. (Interview: David Lohmann)

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