Beruf & Karriere

Zufriedenheit im Job stellt sich auch dann ein, wenn die Arbeit nur zu 80 Prozent den persönlichen Bedürfnissen entspricht. (Foto: dpa/Jens Kalaene)

03.01.2020

"Um glücklich zu sein, braucht es keinen Traumjob"

Berufsberaterin Julia Glöer über Neujahrsvorsätze, den verdeckten Arbeitsmarkt und wie berufliche Veränderung gelingt

Endlich weniger Überstunden machen! Und die Gehaltserhöhung ansprechen! Zum neuen Jahr kommen oft berufliche Dinge auf die Vorsatzliste. So befreiend das sein mag, nachhaltige Veränderungen im Arbeitsleben sollten wir anders angehen, sagt Berufsberaterin und Buchautorin Julia Glöer im Interview.

BSZ: Frau Glöer, gerade zum Jahreswechsel steht auch das Arbeitsleben für viele auf dem Prüfstand. Warum ist das so?
Julia Glöer: Der Jahreswechsel markiert einen Zeitpunkt, wo ein Ende und ein Anfang auf einen Tag fallen. Und fast alle haben an den Tagen zwischen den Jahren Zeit zum Besinnen. Viele schauen dann ein wenig zurück und ein wenig nach vorne. Und dabei fallen natürlich die Dinge auf, die sich in der Vergangenheit nicht stimmig anfühlten, und geradezu automatisch drängt sich der Wunsch nach einer Neuausrichtung auf. Gerade wer mit dem Job unzufrieden ist, stellt dann gerne den gesamten Beruf infrage.

BSZ: Alle wollen im Beruf glücklich sein. Aber was bedeutet Berufsglück überhaupt?
Glöer: Ach, das mit dem Glück ist so eine Sache. Erst einmal benötigen Menschen für ihr Berufsglück keinen absoluten Traumjob. Wenn jemand zu 80 Prozent mit seinem Job zufrieden ist, reicht das aus meiner Perspektive vollkommen aus.
Und dann bauen sich gute Karrieren fast immer Schritt für Schritt auf. Wenn der Erfolg daran gemessen wird, dass morgen schon alles fantastisch ist, stellt sich schnell Frustration ein. Dann wird die Power von kleinen Schritten in die richtige Richtung unterschätzt und die Freude an Minierfolgen unmöglich.
Zufriedenheit stellt sich dann ein, wenn meine Beschäftigung in vielen Aspekten meinen persönlichen Bedürfnissen annähernd entspricht: Tue ich eigentlich den lieben langen Tag Dinge, die mir angenehm sind und bei denen die Zeit wie im Fluge vergeht? Komme ich gut mit meinen Vorgesetzten, Kollegen und Kunden klar? Sind Ort, Räumlichkeiten und das Gehalt stimmig? Und: Kann ich mich mit dem Angebot, Produkt und den Werten der Firma identifizieren?

BSZ: Und was gilt für diejenigen, bei denen das nicht so ist?
Glöer: Wer diese Kriterien durchdekliniert hat und merkt, eines oder mehrere davon sind unstimmig, der sollte zu dem Schluss kommen, etwas zu ändern. Es ist aber immer die Frage, in welchem Rahmen. Ist beispielsweise die Arbeit in vielen Aspekten passend, nur mit dem neuen Abteilungsleiter läuft es trotz vieler Anstrengungen nicht, kann es schon eine Lösung sein, einen Abteilungswechsel anzustreben.
Wenn ich aber das Gefühl habe, in der völlig falschen Firma oder im völlig falschen Beruf gelandet zu sein, dann muss ich vermutlich früher oder später den Job wechseln. Ist man unglücklich – und das ist eher eine Gefühlsbilanz als ein Abwägen auf einer Pro- und Kontraliste – und immer schlecht drauf, 40 Stunden in der Woche, dann muss man etwas unternehmen.

BSZ: Das ist leichter gesagt als getan.
Glöer: Ja, und ich rate zum planvollen Vorgehen. Wenn der ganze Job unpassend ist, sollte man zunächst herausfinden, was alternative berufliche Ziele sein könnten. Um das zu klären, gibt es methodische Ansätze. Bevor man kündigt oder irgendeine Weiterbildung anfängt, sollte man alle neuen Ideen erst einmal prüfen, indem man mit Menschen redet, die diese oder verwandte Job-Ideen schon erfolgreich verwirklicht haben.
Viele junge Menschen investieren fünf bis acht Jahre in ein Studium oder eine Ausbildung und merken erst hinterher, dass der Job in der Realität ganz anders ist, als sie sich ihn ausgemalt haben. Das hätten sie in kurzen Interviews mit Experten vorher klären können. Was Wechselwillige meiner Ansicht nach lernen sollten, ist die Stellensuche auf dem verdeckten Arbeitsmarkt.

BSZ: Können Sie mal ganz konkret erklären, wie das funktionieren soll?
Glöer: Statistiken belegen, über 50 Prozent aller Stellen werden nicht über Anzeigen sondern an Menschen vergeben, die dem Unternehmen bekannt sind. Und dieses Sich-Bekanntmachen kann man lernen. Konkret sieht das so aus: Man definiert seine Berufswünsche und Ziele und vor allem ein Themengebiet, das spannend und sinnvoll erscheint.
Ein Beispiel: Jemand hat den internationalen Einkauf im Bereich Lebensmittel als mögliches Ziel definiert. Soll die Frau da tätig werden? Jetzt würde sie als erstes mit Menschen sprechen, die das machen und Fragen stellen: Wie sind Sie dazu gekommen? Was gefällt Ihnen gut, was weniger gut? Welche Änderungen kommen Ihrer Meinung nach auf diesen Bereich zu? Welche Fähigkeiten sind gefragt?
Und sie erkundigt sich nach weiteren Kontakten. So findet sie vielleicht heraus, dass gerade das Thema Lebensmittelsicherheit an Bedeutung gewinnt. In weiteren Gesprächen erfährt sie, dass die Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln sich zunehmend auf den Wachstumsmarkt Asien verlagern wird. Wenn ihr die gesammelten Informationen zusagen, findet sie so eine vielversprechende Nische – in der es künftig Bedarf gibt. Denn ganz nebenbei macht sie sich durch diese Gespräche bekannt im und mit dem Themenfeld – und das wiederum führt in vielen Fällen zu einem guten und passenden Job.

BSZ: Sollten Beschäftigte sich das für das kommende Jahr vornehmen?
Glöer: Wenn der berufliche Schuh drückt, sollte man nicht bis zum nächsten Jahr warten, sondern direkt anfangen. Ich halte nicht so viel von Neujahrsvorsätzen. Sie scheitern viel zu oft, egal was man sich vornimmt. Das liegt daran, dass diese Vorhaben oft moralischer und vernünftiger Natur sind. „Ich muss jetzt endlich Bewerbungen schreiben“ – solche Vorhaben sind das Ergebnis einer Vernunftbilanz. Sie müssen dann mit Disziplin umgesetzt werden und die währt meist nicht lange.

BSZ: Aber komme ich überhaupt voran, wenn ich nur das tue, was Spaß macht?
Glöer: Eine berufliche Neuorientierung ist ein Langstreckenlauf, den man über einen längeren Zeitraum durchhalten muss. Die Frage lautet also, wie kann ich meine vernünftigen und richtigen Absichten mit Freude würzen? Vielleicht bringt es mir mehr Spaß, zusammen mit anderen an meinen Zielen zu arbeiten als zu Hause alleine über meine Zukunft zu grübeln? Sonst bleibt es beim Strohfeuer. Mein Rat: keine großen Neujahrsvorsätze treffen. Und wenn eine berufliche Veränderung zwingend wird, erst einmal mit Methode langfristige Berufswünsche festlegen und dann kleine To-dos definieren, die man jedes Mal sofort in die Tat umsetzen kann. (Interview: Amelie Breitenhuber, dpa)

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