Freizeit und Reise

Sternekoch Jockl Kaiser bei der Arbeit. (Foto: Friedrich H. Hettler)

26.10.2022

Sterneküche und Hüttenschmaus

Auf kulinarischer Entdeckungstour von Oberbayern nach Bayerisch-Schwaben

Wie funktioniert regionale und nachhaltige Küche? Was für einen Stellenwert hat die Erzeuger- und Lieferantenauswahl? Kann Slowfood nicht nur Trend, sondern auch Tradition sein? Und was hat eigentlich Nachbarschaftspflege mit Nachhaltigkeit zu tun? Bei einem Treffen von Bayern-Insidern wurden im Rahmen einer kulinarischen Genussreise durchs südliche Bayern diese Fragen beantwortet. Und das von angesagten Kartoffel-Standlern, die alteingesessene Lebensmittel auf einem Traditionsmarkt neu interpretieren, über einen Sternekoch im Wirtshaus und der Wirtin der ersten vegetarischen Berghütte in den Alpen bis zu einem Gastronom, der sich dem Slowfood auf Allgairisch verschrieben hat und Kochen als Kunsthandwerk sieht.

Im Herzen von München, auf dem Viktualienmarkt, betreiben Theo Lindinger und Dominik Klier den Marktstand „Caspar Plautz“. Der eine ist Goldschmied, der andere Soziologe, aber beide entdeckten 2017 ihr Faible für die Kartoffel. Als sie die Möglichkeit bekamen, den Stand mit der Nummer 38 auf dem Viktualienmarkt zu übernehmen, zögerten sie nicht lange und widmen sich seither ganz der Knolle, denn der Stand hat eine Zuweisung, das heißt, es müssen hier Kartoffeln verkauft werden. Lindinger und Klier verkaufen die unterschiedlichsten Sorten an Kartoffeln, übers Jahr sind es um die 120 Sorten.

Ihre Knollen bezieht das „Caspar Plautz“ von regionalen Bauern – etwa 90 Prozent kommen aus dem Münchner Umland –, die sich der Sortenerhaltung verschrieben haben. Aber Lindinger und Klier verkaufen nicht nur Kartoffeln, nein, sie kreieren in ihrem kleinen „Bistro“ Mittagsgerichte mit alteingesessenen Lebensmittel, allerdings von ihnen oftmals neu interpretiert. Sie zeigen wie hip die Kartoffel sein kann. Bunt, meist vegetarisch, immer kreativ. Bereits vor der Übernahme des „Caspar Plautz“ hatten die beiden sporadisch Catering betrieben und damit geliebäugelt in die Gastroszene einzusteigen. Diesen Traum haben sie sich mit dem „Caspar Plautz“ nun erfüllt. Und dass das Konzept aufgeht und das Mittagsgeschäft am Marktstand brummt, sieht man auch daran, dass man kaum ein Plätzchen findet, um sich die Gerichte schmecken zu lassen.

Auf lokale Zulieferer und Erzeuger verlässt sich auch Joachim „Jockl“ Kaiser, Eigentümer und Chef vom Restaurant Meyers Keller in Nördlingen. Im Alter von 22 Jahren übernahm Joachim das Meyers Keller von seiner Mutter, damals ein Biergarten. Mit seinen deliziösen deutschen Gerichten, verwandelte Chef Joachim das gemütliche Gasthaus in einen Fine Dining Hotspot für Gourmets, weit über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt. Im Meyers Keller gilt: Brauhaus-Kultur trifft Gourmetküche. Die Gerichte sind in unterschiedlichen Kategorien erhältlich, von feiner Marktküche bis hin zu modernen à la carte Gerichten. Es ist kein Wunder, dass seine exzellente Küche seit 2009 durchgängig mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet ist.

Aber zunächst noch einen Blick auf das schöne, pittoreske Nördlingen. Bereits von Weitem sichtbar ist das markante Wahrzeichen der Riesstadt, die spätgotische Hallenkirche St. Georg, mit dem im Volksmund liebevoll „Daniel“ genannten Glockenturm, von dessen Spitze man nach dem Bezwingen von über 350 Treppenstufen einen wunderbaren Rundblick über die mittelalterliche Stadt und das Ries hat.
Geprägt ist das Nördlinger Stadtbild von der nahezu kreisrunden historischen Altstadt, die von Deutschlands einziger vollständig erhaltenen und rundum begehbaren, 2,7 Kilometer langen Stadtmauer mit fünf Toren und zwölf Türmen eingefasst wird, weshalb der Slogan der Stadt auch lautet: Die schönsten Ecken sind rund.

Eine Besonderheit Nördlingens ist auch der Türmer auf dem 90 Meter hohen „Daniel“, der das ganze Jahr hindurch von 22 bis 24 Uhr jede halbe Stunde seinen Wächterruf „So, G’sell, so!“ über die altehrwürdigen Dächer erschallen lässt. Dieser Brauch geht zurück auf das 15. Jahrhundert. Man sagt, 1440 wollte eine Frau am Abend für ihren Mann eine Kanne Bier holen. Am Löpsinger Tor beobachtete sie, wie eine entlaufene Sau ihr Hinterteil an einem Torflügel rieb. Dabei entdeckte sie, dass das Tor nicht fest verschlossen war. Ihr empörter Ruf „So, G’sell so!“ galt den treulosen Wächtern. Diese gestanden, vom Oettinger Grafen bestochen worden zu sein, in der Nacht das Tor nur angelehnt zu lassen, damit der Graf mit seinen bewaffneten Männern die Stadt einnehmen könne. So hatte eine Sau Nördlingen gerettet. Keiner weiß allerdings, ob es so gewesen ist. Wahr ist aber, dass 1440 zwei Torwächter wegen Verrats hingerichtet wurden.

Jetzt aber zurück zum Sternekoch Jockel Kaiser. Für ihn ist es wichtig, dass sich die Erzeuger, mit denen er zusammenarbeitet, genau so intensiv mit dem Lebensmittel beschäftigen wie er. Deshalb setzt er auch auf alte Sorten, die einen wesentlichen besseren Geschmack haben als neue Züchtungen, sowie den Erhalt der Artenvielfalt. Zusammengefasst: Für Kaiser essentiell ist, höchste Qualität der Speisen, eine nachhaltige und faire Produktion sowie Erzeugung und die Ursprünglichkeit der Lebensmittel. Er lerne ja ständig weiter dazu und mit einem Schmunzeln fügt er hinzu, dass er sich „locker im 40. Lehrjahr“ befindet.

Der Gast kann im Meyers Keller Spannendes probieren, neue Aromen, Gerichte und Zubereitungen kennenlernen. Er sagt einfach, wie viele Gänge gewünscht sind. Auf Wunsch wird dazu auch die passende Weinbegleitung angeboten. Dann zurücklehnen und ein Feuerwerk an Genüssen erleben, wie zum Beispiel mit dem Menü „Mit Laib und Seele“ bestehend unter anderem aus dem Culatello Riserva, Maultaschen mit feinem Kalbsbrät, frischem Spinat und hausgemachtem Nudelteig in der Brühe, knusprigen Krautwickel, einem Blutwurst Gröscht’l und einem saisonalen Gericht. Jockel Kaiser serviert hier Küche auf höchstem Niveau. 
Wer in Meyers Keller ist, sollte unbedingt den hausgemachten Rieser Culatello Riserva probieren. Ein ganz besonderes und edles Lebensmittel. Bestes Schwäbisch-Hällisches Schwein, reines Meersalz, altes Wissen und echtes Handwerk. Aufwendig in die Schweinsblase gebunden, reift diese Schinkenspezialität mindestens 30 Monate in den Kellergewölben der ehemaligen Brauerei. Den Rest erledigt die Natur. Denn die lange Reifezeit, das besondere Mikroklima mit hoher Luftfeuchtigkeit und durchgängigen zwölf Grad sind ideal für die kräftige Fermentation und tiefe Aromenbildung.

Von Nördlingen geht unsere kulinarische Entdeckungsreise weiter ins Allgäu, nach Kappel, einem Ortsteil von Pfronten. Nach einer knapp einstündigen Wanderung erreichen wir die Hündeleskopfhütte auf 1180 Metern Seehöhe., der ersten vegetarischen Berghütte in den Alpen. Hier stehen unter anderem Allgäuer Kässpatzen mit Salat, eine vegane Zucchinilasagne mit weißem Mandelmus überbacken oder der Hüttenwrap, ein Kräuterflädle mit Sennerschmaus überbacken und darin frisches Gemüse eingerollt, statt Schnitzel und Speck auf der Speisekarte. Dort treffen wir auch Silvia Beyer, die Hüttenwirtin. 2015 erhielt sie unter 60 Bewerbern von der Gemeinde den Zuschlag für die Hütte und das einstimmig. Hatte den Verantwortlichen aber nicht gesagt, wie ihr kulinarisches Konzept aussieht. Erst mit der Unterschrift unter den Pachtvertrag sei sie mit der Sprache herausgerückt und habe mitgeteilt, dass sie eine vegetarische Hütte führen wird. 

Silvia Beyer ist gelernte Hauswirtschaftsmeisterin mit einem, wie sollte es anders sein, Hang zur vegetarischen und veganen Küche. Das Hüttenkonzept ging von Anfang an auf. Sie sei überrannt worden, erklärt die Hüttenwirtin und vierfache Mutter. Allerdings sei die Anfangszeit aber „schon sehr wild“ gewesen. Strom kam zunächst von einem Generator, der immer mal wieder Probleme bereitete. Erst zwei Jahre später erhielt sie einen Stromanschluss. Die Arbeit auf der Hündeleskopfhütte sei zwar „knallhart“, so Silvia Beyer, „hat aber schon etwas von Romantik“.

Im Sommer bezieht die Hüttenwirtin ihr Gemüse und ihre Kräuter von der Oberen Mühle im nahegelegenen Wertach, dem höchstgelegenen Bioland-Gemüsetrieb.

Unsere Tour führt uns dann noch zur ältesten Sennerei Bayerns in Gunzesried. Als Genossenschaft ist die Sennerei seit ihrer Gründung 1892 im Besitz der heimischen Bauern. In einem Jahr verarbeitet die Sennerei derzeit rund 1,3 Millionen Liter Milch von zwölf Bauern zu 130 Tonnen Käse – davon sind rund 60 Tonnen Bergkäse. Etwa die Hälfte des Käses – es gibt 18 Sorten – wird im sennereieigenen Laden beziehungsweise online verkauft, niemals an Großhändler. Senner und Geschäftsführer Peter Haslach erklärt abschließend, dass Käse ständig „lebendig bleibt“, da jeden Tag ja auch die Milch anders ist, abhängig unter anderem vom Wetter, dem Futter und der Jahreszeit.

Eine besondere Innovation der Gunzesrieder Sennerei ist, dass hier die bei der Käseproduktion entstehende Molke mithilfe von anaeroben Bakterien gereinigt, das dabei entstehende Methan gespeichert und dann zur Wärmeerzeugung genutzt wird.

Zum Abschluss unseres Tripps kommen wir in Sonthofen in den Genuss von „Slowfood. Auf Allgairisch“. Im Lokal „’s handwerk“ ist der Name Konzept. Gastronom Uli Brandl hatte die Idee, eine Gaststätte zu eröffnen, in der es noch „echte Lebensmittel“, hergestellt von „ehrlichen Lebensmittelhandwerkern“, gibt. Seine Gedanken kreisten um Kriterien wie Regionalität, ländliche Produktion und unabhängige, individuelle Herstellung direkt beim Erzeuger. Aber auch eine sinnvolle ökonomische Bilanz in der Lebensmittelkette war im wichtig.

Die Mitarbeiter im ’s handwerk verstehen sich als Handwerker, die die Lebensmittel mit Leidenschaft verarbeiten. „Wir verstehen uns als eine Gaststätte, die etwas Ordentliches, etwas Handgemachtes und Schmackhaftes auf den Tisch bringt“, erklärt Brandl. Echtes Handwerk sei immer schon nachhaltig, regional, ökologisch und ökonomisch sinnvoll gewesen. Das ’s handwerk schafft die Balance zwischen Tradition und Trend, außergewöhnlich und bodenständig. (Friedrich H. Hettler)
 

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