Freizeit und Reise

Das Original Braunvieh ist robust, langlebig, anpassungsfähig und genügsam. (Foto: Friedrich H. Hettler)

29.09.2022

Vom Braunvieh zum Sternekoch

Entdeckungsreise ins Allgäu: Landschaft und Kulinarik

Davon, dass das Allgäu mehr kann außer Kühe, Käse, Kräuter, können sich Urlauber*innen unmittelbar vor Ort überzeugen. Selbstverständlich kommen sie dabei nicht an diesen drei Ks vorbei. Sonst wäre das Allgäu ja auch nicht authentisch. Die Gäste erfahren, wie sich Initiativen schon lange vor dem aktuellen Trend der regionalen Produkte für genau diese hochwertigen Lebensmittel eingesetzt haben. Ihnen ist es zu verdanken, dass man weiterhin die Allgäuer Seele genießen kann. Dass das Original Braunvieh nicht nur als Landschaftspfleger eingesetzt wird. Altes Wissen um Zubereitung alter Obstsorten auflebt, der unnachahmliche Geschmack gesunder Kräuter in der Kulinarik vermehrt Einzug hält, wiederentdeckte alte Getreidesorten wie es sie einst im Allgäu gab, wieder angebaut werden sowie alte Rezepte aus den Kochbüchern hervorgeholt und neu interpretiert werden. Und so kommt es, dass man heute in Restaurants essen kann, die mit einem grünen Michelin Stern ausgezeichnet wurden.

Die Kulturlandschaft Günztal ist eine Öko-Modellregion – ein Zusammenschluss von 15 Kommunen aus den Landkreisen Ostallgäu und Unterallgäu. Die Günz ist darüber hinaus das längste Bachsystem Bayerns – mit entsprechend hochwertigen Fischzuchten. Hier ist noch viel Natur erhalten. Die Stiftung KulturLandschaft Günztal arbeitet bereits seit vielen Jahren daran, diese Naturschätze zu bewahren und ein Biotopverbundsystem aufzubauen. Ziel ist es, die naturnahen Bäche, Wiesen und Moore mit ihrer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt zu erhalten.

Typisch für die Region ist das Original Braunvieh. Dabei handelt es sich um eine ursprünglich im Allgäu beheimatete Rinderrasse. Die graubraunen bis dunkelbraunen Tiere sind robust, langlebig, anpassungsfähig und zeichnen sich durch einen ruhigen Charakter sowie Genügsamkeit aus. Als traditionelle Zweinutzungsrasse liefern sie sowohl Milch als auch Fleisch. Die hervorragende Milchqualität liefert eine hohe Käseausbeute. Das Fleisch ist kurzfaserig, fein marmoriert und sehr aromatisch. Das Original Braunvieh ist von Slow Food Deutschland in die „Arche des Geschmacks“ aufgenommen worden.

Seit 1965 wurde das Original Braunvieh mit der amerikanischen Rasse „Brown-Swiss“ gekreuzt und zu einem Hochleistungs-Milchrind umgezüchtet. Dadurch wurde die ursprüngliche Rasse verdrängt, bis sie Anfang der 1990er-Jahre nahezu ausgestorben war. Von der ursprünglichen Rasse sind heute nur noch gut 500 Tiere erhalten, der Bestand also stark gefährdet. Mehrere landwirtschaftliche Kleinbetriebe haben sich daher mit der Stiftung KulturLandschaft Günztal zusammen geschlossen, um gemeinsam die artenreichen Wiesen durch Beweidung mit dem Original Braunvieh zu erhalten. 

Mit dem Ziel die regionale Vielfalt in der Landwirtschaft zu erhalten und wieder auszubauen, startete 2018 auf den Feldern der Öko-Modellregion auch der Wiederanbau alter Getreidesorten. Diese sind an die damalige, natürliche Bewirtschaftsungsweise ohne Herbizide und Pestizide angepasst. Somit ist der Anbau heute vor allem für den Ökolandbau geeignet. Darüber hinaus ist das genetische Potenzial dieser Sorten – zum Beispiel Babenhauser Rotvesen (Dinkel), Allgäuer Landweizen oder Lechfelder (jeweils Winterweizen) – von großer Bedeutung für die heutige Züchtung.

Was mit der Vermehrung von Kleinstmengen begann, wird derzeit weiter ausgebaut, um in Zukunft gemeinsam mit Bio-Landwirten, Müllern und Bäckern Spezialitäten aus den neuen-alten Sorten zu etablieren.
Das Gunzesrieder Tal ist eines der schönsten Täler im Herzen des Naturparks Nagelfluhkette. Beim Ortseingang Gunzesried (889 Meter) kennzeichnet eine Tür auf der Wiese den Einstieg in die Naturerlebnis-Rundtour. Über schmale Pfade startet man in den Haldertobel. Wasser gurgelt links, springt über Steine, rauscht unter der ersten Brücke durch Verengungen und gluckert sanft in Gumpen. Wenn man die zweite Brücke überquert, ist man zu weit gegangen. Der Weg davor, links durch den Wald den Berg hinauf, entlang des Baches, bis zum Parkplatz Reute, ist der richtige Weg.

Von hier geht es weiter zur Sennalpe Oberberg. Von nun an ist Kondition angesagt, denn jetzt geht es zum Teil knackig bergauf. Zum Verschnaufen laden die Infobänke ein. Oberhalb der privaten Käser-Alpe (1114 Meter) sollte man unbedingt auf der Infobank eine Genusspause einlegen. Der Blick von hier über die Gipfel ist ein Traum. Der Weg führt weiter den Berg hinauf bis einem irgendwann eine Schaukel und ein Holzpferd ins Auge springen. Willkommen auf der Sennalpe Oberberg (1310 Meter). Der Kräuterquark und der Käse hier oben sind legendär. Jetzt eine kleine Stärkung, den Durst löschen und Kräfte sammeln für den letzten, kurzen aber steilen Anstieg zum Bärenkopf (1479 Meter) oder hinauf zum Mittagberg (1451 Meter) und von dort runter mit dem Sessellift.

Entscheidet man sich für den Bärenkopf geht es an der Käserei der Alpe vorbei ein Stück Schotterweg hinauf. Über die Weide, vorbei am Holzschlag geht es in ein Waldstück. Hier könnte jederzeit Harry Potter, der Herr der Ringe oder sonst ein Fantasie-Film gedreht werden. Man erwartet fast, das ein Waldgeist aus dem Wurzelgeflecht hervor lugt. Auf dem Gipfel des Bärenkopfs sollte man sich Richtung Vordere Krumbach-Alpe orientieren. Nach einem Stück Pfad folgt der Abstieg, der untrainierte Muskeln deutlich spürbar macht. Die Schönheit der Natur lässt einen das aber sofort wieder vergessen. Alte Bäume, die sich an Nagelfluhbrocken klammern, vereinzelte, knotige Obstbäume und die Hänge je nach Jahreszeit ein Blumenmeer. Von der Dürrehorn-Alpe geht es in einer halben Stunde über einen steinigen Hohlweg und einen Pfad über die Wiese bis zur Fahrstraße Hasenacker. Jetzt ist es nicht mehr weit bis nach Gunzesried.

Ist man schon mal im Allgäu lohnt sich auch der Besuch der Kräuteralp Hörmoos in Oberstaufen/Steibis. Mitten im Naturpark Nagelfluhkette liegt Allgäus höchstgelegene Brennerei (1300 Meter) von Michael Schneider, direkt neben dem Alpengasthof Hörmoos an einem kleinen Bergsee. Hier oben gibt es einladende Rundwanderwege durch geschütztes Hochmoor, traumhafte Alpenflora und Rinder mit ihrem Schellengeläut.

Die Kräuter-Alp ist ein Biolandbetrieb. Eine private Anlage mit Weidetieren, einem kontrollierten Wildwuchs-Kräutergarten und einem in Eigeninitiative angelegten Kräuter-Schaugarten, der sich in einem Gürtel mit rund 200 Bildschautafeln außerhalb, entlang des Weges präsentiert. Dahinter steckt das Bedürfnis, die Fähigkeiten der Pflanzen zu vermitteln und ihnen gebührende Achtung und Wertschätzung zu schenken. Im Haus, einer zweckentfremdeten Garage, steht die Destille. Hier verarbeitet Michael Schneider, der ausgebildeter Brenner und Edelbrandsommelier ist, die Frischpflanzen in Handarbeit zu edlen Tröpfchen, Destillaten und speziellen Kräuter-Elixieren. Geerntet wird nur aus eigenem Anbau und Wildwuchs nach Mond- und Sonnenstand. Besonders im Fokus steht dabei der gelbe Enzian.

Wer die Möglichkeit hat, sollte auch Hermine Eller im Ellerhof bei Scheidegg/Hagspiel einen Besuch abstatten. Es ist ein Herzenswunsch von ihr, die kulinarische Tradition der Allgäuer Küche zu weitergeben. Deshalb bietet sie Kochkurse nach Wünsche der Interessierten an. Ihre Apfelkrapfen mit Vanillesoße, Stopfer (Süßspeise aus Weizengries) mit Apfelmuss und Krazadte (eine Art Kaiserschmarrn) mit Rotweinpflaumen – ein absolutes kulinarisches Highlight. Darüber hinaus kann man lernen wie Brennter mit Bratkartoffeln, Käsespatzen, Krautkrapfen, saure Kutteln (nur im Winter) oder Blutwurstkartoffeln zubereitet werden.

Brennter ist ein grob geschrotestes Hafermusmehl. Schon vor 100 Jahren oder auch länger wurde der Brennter als Hauptnahrung speziell auf den Bauernhöfen im Winter morgens, mittags und abends gegessen. Er ist eine Kraftnahrung für Körper, Geist und Seele und sehr gesund. Traditionell löffeln die Bürgermeister sowie die Stadt- und Gemeinderäte aus Scheidegg und Lindenberg einmal im Jahr den Brennter bei Hermine aus der Pfanne.
Um bei der Kulinarik zu bleiben: Einige deutsche Käse genießen EU-weit als geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) einen Gebietsschutz. Sie dürfen nur in einem eng umrissenen Gebiet hergestellt werden und außerdem als einzige unter dem jeweiligen Namen verkauft werden. Somit sind diese Käse vor Nachahmern aus anderen Ländern oder Regionen geschützt. Derzeit gibt es in Deutschland sechs Käsesorten, die als geschützte Ursprungsbezeichnung geschützt sind, davon stammen vier aus dem Allgäu. Das sind der Allgäuer Bergkäse, der Allgäuer Sennalpkäse, der Allgäuer Emmentaler und der Allgäuer Weißlacker.

Neben Käse hat das Allgäu essenstechnisch noch wesentlich mehr zu bieten, zum Beispiel das Restaurant freistil. in Ofterschwang. Constantin Kiehne und sein Team laden hier zu vorzüglichem Essen in entspannter Atmosphäre ein.

Das freistil. passt in keine Schublade. So vielfältig Geschmäcker, so abwechslungsreich ist die Karte: Darauf findet sich je nach Verfügbarkeit ein heimischer Rehrücken ebenso wie Gunzesrieder-Saibling, ein knackiger Ceasar’s Salat „Allgäu Edition“ oder eine vegetarische Erbsenfalafel mit cremigem Kräutertopfen.

Kiehnes Küche überrascht mit modern-regionalen Gerichten und kreativen Aromen. Dabei arbeitet er gerne mit Kontrasten: So kommt beispielsweise ein knackiger Gemüsesalat mit knusprigen Brotchips und cremigem Ziegenkäse daher. Oder Zweierlei vom Zieglerhof Rind – kurz auf Holzkohle gegrillt und klassisch als Roulade – werden mit rahmigen Wirsing angerichtet. Für den besten Geschmack der einzelnen Zutaten nutzt das Küchenteam verschiedene Garmethoden, wie etwa das Räuchern, das Grillen auf dem Green Egg oder das Schmoren im Ganzen im Ofen.

Das freistil. bezieht überwiegend saisonale Produkte möglichst aus der Allgäuer Region und kennt seine Lieferanten und die Wege der Zutaten vom Anbau bis in die Küche. Diese sind meist kurz – manchmal sogar nur einige Meter, wie zur Bergkäse-Sennerei am Schweineberg oder zur Bergfischzucht in Gunzesried. Das garantiert höchste Qualität und Frische der Produkte. 2022 wurde Küchenchef Kiehne mit dem Grünen Michelin-Stern ausgezeichnet. 

Natürlich gibt es im Allgäu jede Menge an Übernachtungsmöglichkeiten wie zum Beispiel das Hotel Tanneck in Fischen von Familie Fischer-Schwegler. Die Eigentümer haben sich ihrer Wurzeln besonnen und örtliche Milch, Molke, Honig sowie Kräuter in ihr Wellness-Konzept eingebaut. Und so ist die Milchwell© entstanden, wofür sie mehrfach ausgezeichnet wurden. Gäste werden zum Beispiel mit exklusiven Milchwell®-Behandlungen wie „Sahnehäubchen royal“ oder „Allgäuer Milchwölkchen“ – verwöhnt und können dabei den Kühen durch bodentiefe Panoramafenster beim Grasen zuschauen.

So wird der Gast manche liebevolle Überraschung erleben, beispielsweise in der tollen Saunalandschaft, wenn die Dusche auf einmal Alphorn bläst ... Da muht die Kuh beim Aufguss im Frühling, die Kräuter duften sommerlich in der Panoramasauna, mystische Herbststimmung erwartet den Gast im Dampfbad und winterliche Gletscherstimmung umhüllt beim Abkühlen im Eisraum.

In den Zimmern geht’s ums Allgäuer Braunvieh, um Tannenwipfel, um einen Allgäuer Roman-Kriminalkommissar und einen Oberstdorfer Eiger-Nordwand-Bezwinger.

Im Hotel Tanneck lebt die „gute alte Zeit“ weiter – und wird mit pfiffigen neuen Ideen zu einem kuscheligen Wohlfühlflair vereint. Das Echte, Unverfälschte – im Tanneck wird es erhalten und in die Welt von heute überführt zu einem ganzheitlichen, regionalen Wohlfühl-Konzept.

Das Ellgass Allgäu-Hotel ist ebenfalls zum Übernachten wärmstens zu empfehlen. Das Haus liegt direkt am Dorfplatz von Eglofs-Argenbühl. Die Hofwirtschaft besteht seit über 500 Jahren und wird seit 1907 als Familienbetrieb geführt. 2017 hat sich Sepp Ellgass mit Frau und Sohn mit dem Bau des Allgäu-Hotel Ellgass den Traum vom eigenen Hotelbetrieb realisiert. Altes mit Neuem verbinden, das war der Familie besonders wichtig, was auch auf besondere Weise gelungen ist. Die Jury der Iconic Awards war der gleichen Meinung und nominierte das Ellgass 2018 für die Kategorie „Innovative Architecture“.

Die frühere Landwirtschaft diente beim Bau als Grundsubstanz. Typisch ländliche Bauelemente wie das Satteldach und der rechteckige Körper wurden in Zusammenarbeit mit dem Brixner Architekten Markus Tauber aufgegriffen und neu interpretiert. Die Außenverkleidung fügt sich mit Leichtigkeit in die Kulisse am Dorfplatz und setzt dabei frische Akzente ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Das Innenleben präsentiert sich ebenso geschmackvoll wie unaufdringlich: offene Räume, reduzierte Einrichtung, echte Vollholzmöbel. 29 lichtdurchflutete Zimmer sorgen für angenehme Wohlfühl-Atmosphäre.

Besonders stolz ist Sepp Ellgass auf die eigene Landwirtschaft. Pinzgauer Rinder werden hier gezüchtet und letztendlich möglichst alle Teile, „nose to tail“, verarbeitet. Für Ellgass ein Ausdruck von Wertschätzung.
Das Allgäu wird nicht nur von seiner wundervollen, hügeligen Landschaft geprägt, sondern auch von besonderen Produkten, Genussschätzen und lokalen Spezialitäten. (Friedrich H. Hettler)
 

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