Immer öfter werden Juden in Deutschland beleidigt oder gar tätlich angegriffen, meist von jungen Muslimen. Von der Politik fühlen sie sich allein gelassen. In vielen Gemeinden setzt man deshalb auf Eigeninitiative und organisiert diskret effektive Kurse zur Selbstverteidigung – unter anderem mit der Kampftechnik Krav Maga.
Demonstrationen in Berlin, bei denen von grölenden sogenannten Schutzsuchenden arabisch-muslimischer Herkunft Davidsterne und israelische Flaggen verbrannt wurden oder Übergriffe, bei denen sie gläubigen Juden die Kippa vom Kopf schlagen: In den letzten Jahren sind solche Schlagzeilen eine schwer erträgliche Normalität geworden. Immer mehr jüdische Bürger*innen fühlen sich in Deutschland nicht mehr sicher, wagen sich nicht mehr mit erkennbaren jüdischen Symbolen wie der Kippa oder dem Davidstern in die Öffentlichkeit.
Die besänftigende Rhetorik aus den meisten Bundestagsparteien, das seien „bedauerliche Einzelfälle, die von Rechtsradikalen instrumentalisiert werden“, ändert da kaum etwas. Es ist eine kaum wahrnehmbare aber doch schwerwiegende Konsequenz, dass sich jüdisch Gläubige in Deutschland angesichts steigender Bedrohungen auch durch den islamischen Antisemitismus selbst helfen müssen. Das beschäftigt auch Oliver Hoffmann. Der 45-jährige Sicherheitsexperte betreibt in Berlin eine Kampfsportschule und ein Securityunternehmen und war zuletzt Interviewpartner für zahlreiche Medien. Hoffmann, selbst Jude, erzählte dabei, dass Sicherheit immer mehr ein wesentliches Thema ist.
Da spielt das israelische Selbstverteidigungssystem Krav Maga eine wichtige Rolle. Jüdische Familien schicken ihre Kinder zu Krav-Maga-Schulen, damit sie sich auf Attacken besser vorbereiten können. In Berlin geschieht auch das oft nur mit besonderen Sicherheitsvorkehrungen.
Krav Maga ist ein israelisches Selbstverteidigungssystem, das in dem Ruf steht, besonders effizient zu sein. Entstanden ist es aus der Not heraus. In den 1930er-Jahren entwickelte es der Boxer und Ringer Imi Lichtenfeld in Bratislava, um sich und seine jüdischen Landsleute vor antisemitischen Angriffen zu schützen. Später wurde er Chefausbilder bei der israelischen Armee, wo Krav Maga heute zur Standardausbildung gehört.
Standardausbildung bei der israelischen Armee
Mittlerweile ist diese Nahkampftechnik weltweit präsent. Das zivile Krav Maga beschränkt sich auf zunächst defensives Verhalten. Mit gezielten Schlag- und Tritttechniken werden Angreifer*innen abgewehrt. Die Abwehrbewegung geschieht praktisch gleichzeitig mit einem Gegenangriff, um einen Überraschungseffekt zu erzielten. Krav Maga kennt kein spirituelles Beiwerk ähnlich asiatischer Kampfsportarten wie Karate oder Kung Fu. Hier zählt das Ergebnis. Vor allem Menschen, die den klassischen Angreifern üblicherweise körperlich unterlegen sind wie Frauen und Kinder, profitieren von diesen, meist schnell erlernbaren Techniken, die aber nur dann wirklich funktionieren, wenn man sie regelmäßig trainiert und die Reflexe entsprechend aufgebaut werden.
In den letzten zehn Jahren ist nicht nur die Zahl der privaten Schulen, die Krav-Maga-Kurse anbieten, extrem gewachsen. Auch für die jüdischen Gemeinden ist Krav Maga ein Thema und ein beständiger Teil der internen Aktivitäten. Allerdings wird das nicht an die große Glocke gehängt – sondern sehr dezent behandelt, teilweise gar nicht an die Öffentlichkeit gebracht.
Relativ offen geht damit die Liberale Jüdische Gemeinde in Hannover um, die Krav-Maga-Kurse für Kinder anbietet und dies auch online bewirbt. Auch beim TuS Makkabi Hamburg e. V., der von sportbegeisterten Mitgliedern der jüdischen Gemeinde wieder gegründet wurde, wird an Wochenenden Krav-Maga-Training durchgeführt, an dem auch nahestehende nichtjüdische Menschen teilnehmen können.
Training auch für nicht-jüdische Interessierte
Die jüdische Gemeinde in Wien begann 2017 damit, Kurse für die Mitglieder zu organisieren, damit sie sich selbst besser schützen können. Die Kurse werden für Kinder, Jugendliche und Erwachsene angeboten. Dafür gründete man eigens den Verein Bitachon, dessen Hauptaufgabe ganz offiziell der physische Schutz der Gemeinde ist. Bitachon kümmert sich um Event- und Objektschutz und bietet die Trainings auch für nichtjüdische Teilnehmer an.
Sehr zurückhaltend äußern sich dazu die jüdischen Gemeinden in Bayern. „Es gibt eine zentrale Stelle bei uns, die solche Kurse anbietet – für Gemeindemitglieder und auch für die eigenen Mitarbeiter“, sagt Alexander Mazo, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg. Es sei aber „ein sehr sensibles Thema, bei dem man nicht ins Detail gehen“ könne. Bei der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern heißt es nur kurz, dass sicherheitsrelevante Informationen grundsätzlich nicht nach außen gegeben werden.
Ähnlich vorsichtig äußert sich auch André Freud, Geschäftsführer bei der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg. Entsprechende Selbstverteidigungskurse gebe es – aber es sei problematisch, darüber zu sprechen. Innerhalb der Gemeinde sei die Angst gestiegen, sich in der Öffentlichkeit als Jude zu erkennen zu geben. Mittlerweile gibt es Gemeindemitglieder, denen es wichtig ist, dass die Post von der eigenen Kultusgemeinde neutral und ohne jüdische Hinweise verschickt wird. (Georg Weindl)
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