In Bayern regnete es extrem viel. Doch größere Schäden blieben zum Glück aus. Vertreter der Kommunen loben den in den vergangenen Jahren massiv ausgebauten Hochwasserschutz. Das Dorf Oberkaltbrunn bei Rosenheim machte allerdings Schlagzeilen, weil es angeblich komplett vom Wasser verschlungen worden sei – doch im Rathaus und vor Ort ist man über diese Bericht verwundert.
Wolfgang Weidinger ist die Erleichterung an diesem späten Sonntagnachmittag anzusehen. „Diesmal hatten wir wirklich Glück“, sagt der 64-jährige Rentner. Zwar sei das Wasser bis an die Auffahrt des Familienanwesens gestiegen – doch diesmal blieben Garten und Wohnhaus der Familie in dem 60 Einwohner*innen zählenden Dorf Oberkaltbrunn bei Rosenheim (Oberbayern) verschont. Anders als im Juni und beim großen Hochwasser vor elf Jahren.
„Hochwasser 2013“ steht auf einem Schild an einer Wand, daneben ein blauer Strich. Weidinger deutet darauf und sagt: „So hoch stand das Wasser damals und im Juni. Beide Male sind wir richtig abgesoffen.“ Weidingers Schwiegersohn Stefan Kumberger zeigt Videos vom Frühsommer. „Von dem Pegel damals waren wir an diesem Wochenende noch recht weit entfernt“, sagt der 37-jährige Sportreporter.
Nicht nur das Spielhaus für seine kleine Tochter und der Garten standen beim Juni-Hochwasser unter Wasser. Wasser drang ins Haus ein. Im Erdgeschoss musste der Boden in mehreren Räumen ausgetauscht werden. „Das war für alle eine enorme Belastung. Viel Dreck und laute Bautrockner“, erinnert sich Kumberger.
Alles in Ordnung im kleinen Dorf
Diesmal ist man perfekt vorbereitet: Sandsäcke sind vor dem Haus gestapelt, die Tür ist mit einer Metallschutzwand verbarrikadiert. Ein Notstromaggregat steht auf der Terrasse. „Für alle Fälle“, sagt Kumberger. Viele Freund*innen und Helfer*innen der freiwilligen Feuerwehr hätten mit angepackt, um alles möglichst gut abzusichern. Die große Flut blieb zum Glück aus. Auf einzelnen Wegen und diversen Wiesen sei das Wasser am Samstag zum Teil zwar „bis zur Wade gestanden“, sagt Kumberger. Aber in kein Wohnhaus in Oberkaltbrunn sei es eingedrungen. Auch eine Frau aus der Nachbarschaft bestätigt diese Darstellung.
Umso überraschter war Kumberger, als er die Schlagzeilen las, die Oberkaltbrunn an diesem Wochenende machte. Das Hochwasser habe das 60-Einwohner*innen-Dorf komplett „verschluckt“, berichteten mehrere Medien. Zwei übergelaufene Bäche hätten die gesamte oberbayerische Ortschaft „überflossen“, hieß es, zahlreiche Grundstücke seien versunken.
„Unser Dorf wurde nicht verschluckt. Das ist völliger Unsinn“, ärgert sich der Sportreporter. Zuerst habe er beim Lesen geschmunzelt, sagt er. Doch dann meldeten sich Bekannte und fragten, wie es ihm gehe. „Ihr seid ja untergegangen“, hieß es. Dabei sei „alles weitgehend in Ordnung“ gewesen. Nur eine alte unbewohnte Mühle und eine Scheune hätten „Wasser abbekommen“, so der 37-Jährige.
Am Sonntagnachmittag ist von den Überflutungen wenig zu sehen. Ein Traktor knattert über einen Feldweg. Der Kaltenbach führt allerdings noch immer viel Wasser, ist zumindest an einzelnen Stellen ein reißendes Gewässer. Ein Sprecher der Stadt Rosenheim, zu der Oberkaltbrunn gehört, sagt, auch er ärgere sich „über diese schlichtweg falsche Berichterstattung“. Vom Hochwasser seien in dem Dorf keine Häuser, sondern es sei lediglich eine Scheune betroffen gewesen. Zudem seien mehrere Wiesen überschwemmt worden. „Der Ort war auch nicht abgeschnitten – zu keinem Zeitpunkt.“ Er fügt hinzu: Wiesen neben dem Ort, auf denen das Wasser steht, wenn die zwei Bäche überlaufen – „das passiert öfter und ist nichts Besonderes“. Der Boden übersättige dort schnell.
Im gesamten Gebiet der Stadt Rosenheim sei die Situation am Wochenende „entspannt gewesen“, sagt der Sprecher. Die Mangfall habe lediglich die Meldestufe 1 erreicht. Alles in allem sei Rosenheim größtenteils verschont geblieben. „Nur vereinzelt musste die Feuerwehr wegen überfluteter Keller und Straßen ausrücken.“ Es habe sich bezahlt gemacht, dass in den vergangenen Jahren der Hochwasserschutz massiv ausgebaut worden sei. Auch aus dem Landkreis wurden nur vereinzelt kleinere Überflutungen gemeldet. Dennoch musste die Feuerwehr über 100 Mal ausrücken. Zum Glück meist wegen Kleinigkeiten – allerdings waren vereinzelt auch Straßen gesperrt und eine Vielzahl an Kellern lief voll.
Rosenheims Landrat Otto Lederer sagte der BSZ am Montag: „Mein ausdrücklicher Dank richtet sich an alle Einsatzkräfte für ihr umsichtiges und fachkundiges Handeln.“ Am Samstag war im Landratsamt ein Kernteam der Führungsgruppe Katastrophenschutz zusammengekommen, um die Lage im Blick zu behalten. „Zum Glück sind die Überflutungen diesmal bei Weitem nicht so dramatisch gewesen wie Anfang Juni, als wir den Katastrophenfall ausrufen mussten“, so Lederer.
Landkreis arbeitet an Schutzmaßnahmen
Für den CSU-Politiker ist klar: „Die jüngsten Überflutungen zeigen uns einmal mehr, dass Extremwetterlagen immer häufiger auftreten.“ Der Landkreis arbeite „deshalb intensiv an Maßnahmen, um sich langfristig besser auf solche Ereignisse vorzubereiten und den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten“. Ein Beispiel dafür sind umfangreiche Beschaffungen von Gerätschaften wie etwa mobile Hochwasserschutzsysteme.
Auch im restlichen Bayern war das Hochwasser am Wochenende weitgehend beherrschbar. Das ergaben Anfragen bei den Polizeipräsidien der drei am stärksten betroffenen Regionen im Freistaat. „Die Situation war und ist relativ entspannt. Es gab keine wirklich problematischen Vorfälle“, sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd am Sonntagnachmittag. Es habe keine Toten oder ernsthaft Verletzten gegeben, auch seien keine Evakuierungen notwendig gewesen. Mitunter seien Keller vollgelaufen, Wiesen und vereinzelt auch Straßen überspült worden. „Mehrere Straßen mussten gesperrt werden. Fast alle wurden am Sonntagvormittag jedoch wieder freigegeben“, so der Sprecher.
Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Niederbayern sagte am Sonntagnachmittag: „Die Unwetterlage läuft bislang sehr glimpflich ab.“ Am Samstag habe es 34 Polizeieinsätze gegeben, am Sonntag bis Mittag nur mehr einen – ein Baum sei umgestürzt. Es gebe kleinere Überschwemmungen von öffentlichen Flächen wie Straßen oder Wiesen. „Bislang ist fast kein Keller vollgelaufen“, so der Sprecher. In Passau seien zwar einige Straßen und Wege gesperrt worden, doch ist in der Stadt an der Grenze zu Österreich der Donaupegel deutlich niedriger als beim Juni-Hochwasser.
Einem Sprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz zufolge hatte das Hochwasser auch dort „bislang keine ernsthaften Folgen“. Allerdings seien einzelne Straßen gesperrt, weil durch starken Wind Bäume umgestürzt waren.
Zahlreiche Einsätze der Feuerwehren
Das bayerische Innenministerium hatte nach eigenen Angaben zunächst noch keine Zahlen, wie viele Einsätze von Feuerwehr und Polizei es landesweit gab. Allerdings meldeten die jeweiligen Landratsämter und Kreisfeuerwehren im besonders von den Regenmassen betroffenen Südostbayern mehrere Hundert Einsätze der Feuerwehren. Insbesondere im Landkreis Traunstein waren zahlreiche Keller vollgelaufen. In Törring bargen die ehrenamtlichen Helfer ein Auto aus einer Unterführung.
Ein Grund, warum es ab Freitag vielerorts weniger schlimm kam als mitunter befürchtet: In den Bergen sank die Schneefallgrenze zum Teil auf unter 1000 Meter. Zumindest ein großer Teil der enormen Niederschlagsmengen blieb deshalb zunächst als Schnee liegen. Hinzu kommt: Die extreme Regenmenge kam vielerorts nicht innerhalb weniger Stunden zusammen – auch waren die Retter gut vorbereitet, füllten etwa eifrig Sandsäcke auf. Flächendeckende Überschwemmungen bebauter Gebiete blieben jedenfalls aus. Im Juni hatten dagegen diverse Landkreise im südlichsten Bundesland sogar den Katastrophenfall ausgerufen.
Stefan Kumberger hofft derweil, dass das Hochwasser auch weiterhin glimpflich verläuft. Für den Familienvater steht viel auf dem Spiel. „Die Versicherung hat uns längst gekündigt.“ Und für seinen Schwiegervater sei jede Hochwasserlage „eine enorme psychische Belastung“, sagt er. Für den Sportreporter ist klar: „Natürlich ist das Gebiet, in dem wir wohnen, hochwassergefährdet. Aber das ist unser Zuhause.“ Die Familie will in jedem Fall in Oberkaltbrunn bleiben. (Tobias Lill)
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