Kommunales

Die Gemeinde hat mittlerweile Schwellen angebracht, um rabiate Rennradler zumindest etwas auszubremsen. (Foto: Stäbler)

11.07.2025

Zoff um Radschnellweg: Der Kampf um den Asphalt

In immer mehr Gemeinden gibt es Radschnellwege – diese haben viele Fans, aber auch Gegner. In Oberhaching eskalierte der Streit nun

Im oberbayerischen Oberhaching wächst seit Längerem die Wut auf Rennradler aus München, die an schönen Tagen in Heerscharen durch den Ort rauschen. Nun ist der Konflikt eskaliert, indem Reißzwecken auf einem Radschnellweg ausgelegt wurden – mutmaßlich von einem Radlhasser.

Es ist noch früh, aber schon sonnig und warm an diesem Samstagmorgen – und entsprechend viel Verkehr herrscht hier am Rande des Perlacher Forsts südlich von München. Kurz vor dem Biergarten der „Kugler Alm“ in Oberhaching rauschen Radfahrer im Halbminutentakt vorbei – allein oder im Pulk, viele auf teuren Rennrädern und in ebenso hautengen wie knallbunten Trikots.

Ein wenig erinnert das Ganze an ein Radrennen à la Tour de France – was einen direkt zu jenem Unmut bringt, der so gar nicht zum idyllischen Bild der durch die Natur strampelnden Pedalisten passt. Denn die Heerscharen von Rennradlern aus München, die an schönen Tagen auf ihrem Weg in den Süden durch Oberhaching rauschen, sorgen dort vor allem bei den Anwohnern der stark frequentierten Ausfallstrecken für Wut und Ärger.

Zuletzt ist der Streit um die Rennrad-Raser regelrecht eskaliert. So wird später noch von einer Anwohnerin die Rede sein, die aus Angst vor rücksichtslosen Pedalisten die kaum hundert Meter von ihrem Haus zur Kugler Alm inzwischen mit dem Auto fährt. Und von Reißnägeln, die auf dem Radschnellweg durch den Perlacher Forst ausgelegt wurden – mutmaßlich von einem Rennrad-Hasser.

Verpflegungsstation aufgebaut

Zunächst aber zurück zu den Aberhunderten Radfahrern, die an diesem Morgen aus dem Wald kommen und auf Höhe der Kugler Alm erstaunt abbremsen. Denn dort hat die Gemeinde Oberhaching eine Verpflegungsstation aufgebaut, wo Bauhof-Mitarbeiter in gelben Warnwesten die Vorbeirollenden mit Müsliriegeln, Obst und Getränken versorgen. „Mehr Rücksicht – gemeinsam statt gegeneinander“, heißt die Aktion, für die das Rathaus zwei Banner aufgehängt hat. „Runter vom Gas!“, steht auf dem einem. Auf dem anderen: „Mit Rücksicht fährt man am besten.“

„Und genau darum geht es uns“, sagt Stefan Schelle (CSU), seinen Zeigefinger auf das Banner gerichtet. Der Oberhachinger Bürgermeister ist heute in Tracht gekommen – und mit dem gemeindlichen E-Lastenrad. Man habe in seiner Gemeinde nichts gegen Radfahrer, im Gegenteil, betont er. Der Ort sei „fahrradfreundliche Kommune“; überdies habe sich das Rathaus starkgemacht für den Ausbau des Radschnellwegs durch den Perlacher Forst.

Doch auf jener glattasphaltierten Strecke – ein Traum für jeden Pedalisten – strömen nun infolge des Rennrad-Booms immer mehr Zweiräder aus München in den Ort. „Wir haben das mal gezählt“, sagt Schelle. „An guten Tagen kommen hier bis zu 4000 Radler vorbei.“ Die meisten seien rücksichtsvoll und würden sich an Regeln halten. Doch dann gebe es jene „vielleicht 5 Prozent“, so der Bürgermeister, die Tempolimits ebenso ignorierten wie rechts vor links und durch ihr „radikales Verhalten“ für Angst und Schrecken bei den Anwohnern sorgten.

Immer schlimmer geworden

Etwa bei Klaus Taube, der heute ebenfalls gekommen ist und „gleich da vorne wohnt“, wie er sagt. Das mit den Rennradlern ist ihm zufolge in den vergangenen Jahren immer schlimmer geworden. Mehrfach habe er gefährliche Situationen miterlebt, sagt Taube. Und seine Frau sei inzwischen so verängstigt, dass sie sich nicht mehr traue, den kurzen Weg zur Kugler Alm zu Fuß zu gehen. „Die nimmt dafür jetzt das Auto“, sagt Taube.

„Es gibt Konflikte im Ort, da brauchen wir nicht herumreden“, bekräftigt Schelle, während hinter ihm ein Pulk Rennradler vorbeirauscht. „Langsamer bitte!“, rufen die Bauhof-Mitarbeiter – wie schon des Öfteren heute. Die Reaktionen sind meist freundliche, mitunter aber auch finstere Blicke. Letztere sind womöglich die Quittung für die drei Bodenschwellen, die die aus dem Forst kommenden Radfahrer kaum hundert Meter zuvor passiert haben. Viele bremsen dort erstaunt ab, einige hoppeln gekonnt darüber, und wieder andere versuchen es mit Umkurven – wobei ein Pedalist bereits unsanft im Busch gelandet ist.

Erst tags zuvor hat die Gemeinde die Schwellen angebracht. „Für uns ist das die einzige Möglichkeit, die Radler etwas auszubremsen“, sagt Schelle. Einige von ihnen bedenken die Schwellen mit unflätigen Worten. Julien Andres hingegen findet die Bodenhürden „einerseits gut“, sagt er, „weil es die Leute abbremst“. Wobei der 42-jährige Münchner – Helm, Sonnenbrille, schickes Rennrad - als passionierter Pedalist selbst betroffen ist.

Die halten sich nicht an Regeln

Und doch spart Andres nicht mit Kritik an der eigenen Rennradzunft. „Es gibt leider einige, die halten sich nicht an Regeln. Denen geht es nur um ihre Durchschnittszeit und auf andere nehmen sie keine Rücksicht.“ Andererseits jedoch, sagt Julien Andres, ehe er wieder aufs Rad steigt, könnten die Bodenschwellen den Konflikt womöglich weiter anheizen. „Und dann kommt vielleicht noch mal jemand auf die Idee, Reißnägel auszulegen.“

Genau das ist erst kürzlich passiert, als ein Unbekannter unweit von hier Reißzwecken und kleine Nägel auf dem Radschnellweg verstreute. Mehrere Dutzend Radler sollen Schäden davongetragen haben. „Ich kenne allein drei, die einen Platten hatten“, sagt Thomas Vieweg, der die Reißnägel-Aktion ein „Alarmsignal“ nennt. „Da geht eine Spirale hoch, die wir nicht wollen.“

Vieweg – auch er ist heute mit dem Rennrad da – ist Vorsitzender eines Radvereins, außerdem Gemeinderatsmitglied im Nachbarort Taufkirchen und obendrein Polizist. Er kennt den Zwist also von allen Seiten. Von den Bodenschwellen hält er wenig – ebenso wie Radverbände und die Polizei. Schließlich stellten sie für die meisten Rennradler kein echtes Hindernis dar, glaubt Vieweg. Wohl aber könnten die Hürden zur Gefahr für ungeübte Fahrradfahrer wie Senioren oder E-Bike-Ausflügler werden.

Was es Thomas Vieweg zufolge wirklich braucht, um den eskalierten Konflikt zu befrieden, ist etwas, das an diesem Morgen fast mantraartig von jedem herbeigepredigt wird – von Bürgermeister Schelle und Rennradler Julien Andres und den Pedalisten. Nämlich: „Etwas mehr Rücksicht“, sagt Vieweg, und zwar von allen Seiten. „Das ist es, was wirklich helfen würde.“
(Patrik Stäbler)

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