Kommunales

Leere Bänke in der Kirche St. Johannes Baptist in Pfaffenhofen: Stadtpfarrer Albert Miorin versucht trotzdem, das Beste draus zu machen. (Foto: Paul)

09.04.2020

"Die Deutschen klagen rasch auf höchstem Niveau"

Der katholische Geistliche Albert Miorin über Online-Gottesdienste, apokalyptische Szenarien in den sozialen Medien und neue Herausforderungen für die Seelsorge

Ein Osterfest mit leeren Gotteshäusern – das hat es in 2000 Jahren Kirchengeschichte noch nie gegeben. Gläubige wie Seelsorger versuchen mit der Situation zurechtzukommen. Der Pfaffenhofener Stadtpfarrer Albert Miorin (62) sieht in der aktuellen Situation aber auch eine Chance, zu einem erneuerten Glauben zu finden.

BSZ Herr Miorin, wenn man die Leserbriefe an die Zeitungsredaktionen als Maßstab nehmen möchte, dann scheint es, die Religiosität der Menschen sei in der Corona-Krise größer geworden – braucht’s so was erst?
Albert Miorin Das glaube ich nicht. Die Krise fällt halt in eine religiös und spirituell hoch aufgeladene Zeit – die Fastenzeit bei uns, das Pessachfest bei den Juden, der Ramadan bei den Muslimen. Im vergangenen Jahr hatten wir allein zwischen der Osternachtfeier und dem Abend des Ostermontag gut 3000 Mitfeiernde beim Gottesdienst in unserer Gemeinde. Deshalb ist es für mich auch undenkbar – so wie es manche Kollegen fordern – dass man Gottesdienste nur im kleinen Kreis feiert nach dem Motto: Wir stellen uns an die Kirchentür und sperren nach 50 Leuten zu. Es gibt auch zahlreiche Beichten in dieser Zeit – und das nicht nur von der Personengruppe, von der man es erwarten würde; ganz gemischt quer durch alle Altersgruppen.

BSZ Die Kirchen bleiben auch in der Corona-Zeit durchgehend geöffnet?
Miorin Immer, vom Morgen bis zum Abend.

BSZ Wie hat sich durch Corona Ihre Arbeit als Seelsorger geändert?
Miorin Ich bin den direkten Kontakt gewöhnt. Mein Kalender ist eigentlich voll mit Terminen bei Menschen – Traugespräche, Taufen, Besuche bei Kranken. Inzwischen ist er voll mit Mails, mit Whatsapp-Nachrichten – etwas, was mir eigentlich gar nicht so liegt. Aber angesichts der aktuellen Situation bleibt nichts anderes übrig.

BSZ Wenn Sie jetzt mit ihren Gemeindemitgliedern sprechen – wirken diese angesichts der Krise schuldbewusster, in sich gekehrter?
Miorin Kritischer, würde ich sagen. Wir haben ja alle zuvor erlebt, wie die Gesellschaft nur noch vor sich hinraste, wie man kaum noch Zeit fand zur Entschleunigung. Und das ist jetzt eingefordert auf eine Art und Weise, für die man uns früher womöglich ausgelacht hätte. Aber schuldbewusst in dem Sinne, dass jemand beispielsweise sagt „Ich bin zu viel geflogen“ – das nicht. Das wirklich Traurige ist, dass man sich nicht begegnen kann, gerade zwischen den Generationen. Die Großeltern vermissen ihre Enkelkinder und umgekehrt.

BSZ Das intensive räumliche Miteinander stellt Familien vor eine große Herausforderung. Wird es hinterher die Familien gestärkt haben oder werden viele auch daran zerbrechen?
Miorin Ich sage das auch immer allen Brautpaaren: „Ich hoffe, Ihr habt mal zusammen drei Wochen Urlaub gemacht?!“ (lacht). Andererseits birgt es die Möglichkeit – so wir denn gut zueinander sind – dass wir viel mehr zusammen machen können. Meine Mutter hatte kürzlich Geburtstag und da saßen meine Neffen und Nichten im Teenageralter am Tisch, keiner hat mit dem anderen gesprochen, aber sie haben sich untereinander Whatsapp-Nachrichten geschickt. Das ist für mich der Albtraum. Da sehe ich die große Chance: Auch mal wieder miteinander ins Gespräch zu kommen.

BSZ Wenn man derzeit in die Sozialen Medien schaut, da kann man vielfach lesen, dass die Erde nun Rache dafür nehme, was wir ihr angetan haben beziehungsweise was wir Menschen uns untereinander angetan haben. Was sagen Sie als Theologe dazu?
Miorin Ich würde es nicht kausal so sehen, aber von den Folgen her. Man hört ja, dass der Himmel über Wuhan noch nie so klar war und dass in den Kanälen von Venedig wieder Fische schwimmen. Von daher glaube ich schon, dass wir die Schöpfung malträtiert haben, die ihr nicht guttut. Und das wussten wir auch alle. Aber jeder hat die Notwendigkeit einer Veränderung auf den anderen geschoben. Oder ich denke an die Eltern, die sich einerseits für den Erhalt der Umwelt einsetzen, aber andererseits ihre Kinder am liebsten mit dem Auto bis ins Klassenzimmer fahren würden. Der totale Widerspruch.

BSZ Es gibt ja auch in der Bibel Stellen, die Strafen ansprechen, die über die Menschen kommen für ihr Verhalten. Ist es zu weit gegriffen, wenn man da als gläubiger Mensch jetzt Parallelen zieht?
Miorin Da muss man nicht nur als Seelsorger einschreiten, sondern auch als Theologe! Dazu muss man die literarischen Gattungen der Bibel kennen, die Entstehungszeit der Texte, den historischen Kontext, die entsprechenden Sprachen verstehen, also was dieses Wort in der Bibel tatsächlich meint. Das ist für mich ein ganz klarer Missbrauch. Aber das war ja auch früher schon häufig so. Da kursiert in den sozialen Medien gerade vogelwildes Zeug, auch über die Ursachen der Pandemie, regelrechte Verschwörungstheorien.

BSZ Angesichts der Pandemie, der immer mehr werdenden Toten, der drohenden wirtschaftlichen Einbrüche – wie lässt sich das aus Ihrer Sicht mit einem Gottesbild vereinbaren, von dem es heißt, dass Gott die Menschen liebe?
Miorin Ich bin der Letzte der sagt, sowas komme von Gott. Und menschengemachte Zerstörung an der Schöpfung ist kein Gottesurteil und vor allem keine Strafe. Ich habe das vor einigen Jahren in München miterlebt, wo es hieß, das HI-Virus sei die Strafe für diese und jene Gruppierung. Meine ersten drei Aids-Toten waren dann aber Menschen, die es über Bluttransfusionen bekommen hatten, wo man sagen konnte: „Schaut’s alle her, das kann euch genauso treffen.“ Einen strafenden Gott in diesem Sinne gibt es nicht. Das ist ein Missbrauch biblischer Texte. Ich habe das auch kürzlich in einer Predigt angesprochen: Der Hotspot bei Ostern ist der Friedhof. Die Jünger am Grab können mit der Situation, dem getöteten Jesus genauso wenig umgehen wie wir gerade. Aber sie erfahren: Terror und Gewalt haben nicht das letzte Wort. Das ist die christliche Botschaft: Es ist Leben im Blick. Kümmere dich jetzt um dieses Leben.

BSZ Aber den Glauben vieler Menschen wird Corona wohl trotzdem auf die Probe stellen, oder?
Miorin Mag sein. Aber es ist die Frage: Ist es ein erwachsener oder ein kindlicher Glaube? Viele unserer Kritiker sind in theologischer Hinsicht im Kindesalter stehen geblieben: Das Christkind kommt, wenn du brav warst.

BSZ Selbst wenn wir es schaffen, das Virus medizinisch zu besiegen: Stehen angesichts der sich schon jetzt abzeichnenden gewaltigen ökonomischen Verwerfungen mit Arbeitslosigkeit und Firmenpleiten die eigentlichen seelsorgerischen Herausforderungen noch bevor?
Miorin Das kann man noch nicht absehen. Es ist denkbar. Andererseits glaube ich, dass sich unsere Wirtschaft relativ schnell erholen kann, weil sie sehr gut aufgestellt ist. Und ich will jetzt niemandem zu nahe treten, aber wir sind in Deutschland schon eine Gesellschaft, die sehr rasch auf höchstem Niveau klagt. Ich sehe aber natürlich die Schwierigkeiten, die viele Menschen haben werden und wir sind als Kirche auch bereit, da mit all unseren Möglichkeiten zu helfen. Man kann aber persönlich eine Menge tun – zum Beispiel einem Mitarbeiter aus dem Gastronomiebereich, der momentan keine Arbeit hat, mal eine kleinere Summe zustecken, die man selbst vielleicht nicht unbedingt braucht. Oder die Menschen, die früher immer grantig gegenüber der Verkäuferin wurden, wenn es ihnen nicht schnell genug ging, überdenken mal ihr Verhalten.

BSZ Für die Arbeitswelt prophezeien Wirtschaftsforscher, das aktuell deutlich ausgebaute Homeoffice werde danach nicht einfach wieder zurückgefahren. Die Kirchen setzen angesichts der Kontaktbeschränkung derzeit viel auf Gottesdienstübertragung im Internet. Wird das nach Corona bleiben – auch im Hinblick auf die häufig fast leeren Gotteshäuser?
Miorin Man macht sich ja nicht nur wegen der Predigt auf den Weg, sondern auch wegen der zu erlebenden Gemeinschaft. Aber Übertragungen von Gottesdiensten gab es ja immer schon. Das ZDF und der Bayerische Rundfunk senden jeden Sonntag sowohl einen katholischen wie einen evangelischen Gottesdienst. Es gibt etliche Möglichkeiten, seit Jahren schon, und das sind gute Angebote. Wer das will hat das immer schon gehabt. Aber ob das jede Gemeinde künftig am Sonntag so handhaben sollte, möchte ich bezweifeln. Da setze ich ganz klar auf ein Miteinander und nicht auf Vereinzelung, unter der die Menschen ohnehin schon leiden.
(Interview: André Paul)

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