Kommunales

Dass viele Kunden die Räder nach Benutzung vogelwild in die Landschaft werfen, kümmert einige Betreiber kaum. (Foto: Stäbler)

11.05.2018

Die "gelbe Pest" kam per Pedes

Leihfahrräder nehmen in einigen Kommunen wie München überhand und verschandeln das Stadtbild

In immer mehr bayerischen Städten kann man alternativ zu Auto, Bus und Bahn auch aufs Leihfahrrad umsteigen. Spitzenreiter in Sachen Mieträder ist München – wenngleich ein Anbieter aus Fernost dort einen echten Reinfall erlebte.

Die Pest ist im vergangenen August über München hereingebrochen. Um genau zu sein, war es die „gelbe Pest“ – so wurde das Phänomen später vielerorts in sozialen Netzwerken getauft. Gemeint waren die gelb-grauen Miet-räder der Firma Obike aus Singapur, die sich binnen kürzester Zeit im Stadtgebiet ausgebreitet hatten. Stolze 7000 Obikes stellte das Unternehmen quasi über Nacht in München auf. Zum Vergleich: Das waren fast dreimal so viele Mieträder wie die Flotten der seit Jahren etablierten Anbieter Call a Bike und MVG-Rad zusammengenommen.

Viele Münchner waren von der Nacht-und-Nebel-Aktion wenig begeistert und machten ihrem Ärger auf Twitter, Instagram und Facebook Luft. Dort war von „Radlmüll“ und „Gelber Pest“ die Rede; dazu machten Fotos die Runde von auf Bäumen entsorgten oder in Bächen versenkten Obikes. „Dieser offensichtliche Vandalismus ist klar zu verurteilen“, kritisiert Florian Paul, Fahrradbeauftragter der Münchener Stadtverwaltung.

Ohne feste Stationen braucht’s keine Erlaubnis


Er sagt aber auch: „Obike hat es in München mit der Quick-and-Dirty-Methode versucht – und das war ein Schuss in den Ofen.“ So habe die Firma aus Fernost „ohne Betriebskonzept und ohne Strategie einfach Räder aufgestellt und diese dann sich selbst überlassen“. Zwar hätten Vertreter der Firma im Vorfeld im Rathaus vorgesprochen, berichtet Florian Paul. „Aber da war von 2000 Rädern die Rede - und nicht von 7000.“ Als München dann aber von den gelb-grauen Obikes überschwemmt wurde, waren der Stadt die Hände gebunden.

Denn wenn ein Unternehmen derlei Mieträder ohne feste Stationen aufstellen will, braucht es dafür keine Genehmigung. „Da gilt das gleiche Prinzip wie bei normalen Fahrrädern, die im öffentlichen Raum ohne zeitliche Befristung abgestellt werden dürfen – solange sie niemanden behindern“, erklärt Florian Paul. „Das ist eine gewisse Sonderrolle, die das Verkehrsmittel Fahrrad innehat.“

Bedeutet also: Obike hätte theoretisch auch 20 000 Mieträder in den Verkehr bringen können. Schließlich setzt die Firma auf ein sogenanntes Free-Floating-System ohne feste Stationen. Vielmehr können die Obikes übers Smartphone gemietet und nach der Fahrt an einem beliebigen Standort im Stadtgebiet wieder abgestellt werden.

Häme im Netz


Nun haben der Reinfall der Firma Obike und die Häme im Netz darüber hinweggetäuscht, dass die Firma zwei Dinge durchaus richtig erkannt hat. Erstens: In der Landeshauptstadt mit ihren rund 1,5 Millionen Einwohnern braucht es eigentlich weit mehr Mieträder, wenn diese eine echte Alternative zu Auto, Bus und Bahn darstellen sollen. „Studien gehen von 30 000 bis 45 000 Leihfahrrädern aus, die man für ein dichtes, zuverlässiges Leihfahrradsystem in München benötigt“, sagt der städtische Radbeauftragte. Und auch die Landesgeschäftsführerin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Bayern, Petra Husemann-Roew, nennt zehn bis 30 Mieträder pro 1000 Einwohner als Minimum für ein erfolgversprechendes Mietradsystem.

Zweitens hat das Obike-Desaster in München die ungleich wichtigere Frage verdrängt, warum so viele Deutsche mit Leihrädern weiter fremdeln. Denn während solche Angebote etwa in Paris oder in Wien zum Alltag gehören, fristen sie in den Großstädten hierzulande meist ein Nischendasein. Oder wenn man es wie Petra Husemann-Roew vom ADFC positiv formulieren will: „Beispiele aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass hierzulande noch viel Potenzial nach oben ist.“

In Bayern gibt es derzeit nach ADFC-Angaben acht Städte mit Leihfahrradsystemen: Call a bike, ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG, ist in Aschaffenburg, Bamberg, Erlangen, Ingolstadt, München und Würzburg vertreten; die Firma Nextbike ist in vier Kommunen, teils mit Partnern, aktiv – in Würzburg, Augsburg (swa-Rad), München (MVG-Rad) und Nürnberg. Dort firmiert das Angebot unter dem Namen Norisbike – noch.

Nürnberger VAG investiert 300 000 Euro


Denn wie die Verkehrsaktiengesellschaft Nürnberg (VAG) kürzlich mitgeteilt hat, wird sie das Angebot übernehmen und es ab Sommer unter dem Namen VAG-Rad betreiben. Zum Start werden 500 Räder in der Altstadt zur Verfügung stehen, ehe das Angebot peu à peu ausgebaut und aufs gesamte Stadtgebiet ausgebreitet werden soll. Mit der Übernahme und Investitionskosten von rund 300 000 Euro haucht die VAG einem Projekt neues Leben ein, das zuletzt eher vor sich hingedümpelt ist. Zwar ging Norisbike schon 2011 an den Start, damals mit einer Anschubfinanzierung vom Bund. Doch richtig durchsetzen konnte sich das Angebot nie; die Nutzerzahlen blieben hinter den Erwartungen zurück.

Nun soll also die VAG neuen Schwung in die Sache bringen – wobei auch andere Anbieter ihr Interesse an Nürnberg bekundet haben. So hätten zwei Firmen im Rathaus angefragt und um Unterstützung beim Aufbau eines stationslosen Mietradsystems gebeten, berichtet eine Sprecherin der Kommune. „Die Stadt hat darauf verwiesen, dass kein Interesse an einem zusätzlichen System besteht. Bislang sind noch keine Räder anderer Firmen im öffentlichen Raum aufgetaucht.“

„Wichtige Ergänzung zum Augsburger ÖPNV“


Ähnlich verhält es sich in Augsburg, wo die Stadt eine Anfrage eines Leihfahrrad-Anbieters erhalten hat – und ebenfalls keinen Bedarf angemeldet habe, berichtet Thomas Hertha, der Radverkehrsbeauftragte der Fuggerstadt. Schließlich gibt es auch in Augsburg ein Mietradsystem der Firma Nextbike, die hier mit den Stadtwerken kooperiert. Das Angebot mit dem Namen swa-Rad sei „ein wichtiges Ergänzungsangebot zum öffentlichen Personennahverkehr beziehungsweise zum eigenen Fahrrad“, sagt Thomas Hertha. „Im Sinne einer engeren Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel sowie der Planung von Umsteige- und Mobilstationen wird in den Mietradsystemen ein ziemlich bedeutender Baustein zum Ausbau der stadt- und umweltverträglichen Mobilität gesehen.“

Nicht viel anders hört sich das beim Fahrradbeauftragten von München an, der unangefochtenen Mietrad-Hauptstadt in Bayern. Wobei die Zahl der gelb-grauen Obikes dort inzwischen drastisch zurückgeht. Denn infolge der Probleme rund um die plötzliche Einführung und der Zerstörungswut zieht die Firma aus Singapur seit Anfang April einen Großteil ihrer Flotte wieder aus München ab. Statt bislang fast 7000 sollen künftig nur mehr 1000 Mieträder in der Landeshauptstadt zur Verfügung stehen. Sich aus Deutschland zurückziehen will Obike aber nicht – im Gegenteil: Die aus München abgezogenen Mieträder sollen auf andere Städten verteilt werden. (Patrik Stäbler)

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