Kommunales

Windräder sind in Bayern derzeit sehr unterschiedlich verteilt: Die Dichte ist vor allem im Norden, aber auch im Westen wesentlich größer als im Osten oder gar im Süden. (Foto: dpa/Armin Weigel)

17.03.2023

"Die Gemeinden werden jetzt entmachtet"

Der massiv forcierte Ausbau der Windenergie wird die Wertschöpfung im ländlichen Raum und dessen Antlitz für immer verändern

Der zuletzt dramatisch voranschreitende Klimawandel und der Krieg in der Ukraine samt der damit verbundenen Energieknappheit haben dem Ausbau der Windkraft einen noch vor wenigen Monaten ungeahnten Schub verliehen. Viele kleine Kommunen könnten aber zwischen staatlichen Vorgaben und privatem Profitstreben zerrieben werden.

Die Neigung der Deutschen zu Bandwurmwörtern sorgt im übrigen Europa regelmäßig für Erheiterung. Jetzt haben die anderen wohl wieder was zu schmunzeln: Windenergieflächenbedarfsgesetz heißt die neueste Schöpfung – wiewohl manchen Kommunen hierzulande darüber kaum zum Lachen zumute sein dürfte. Langfristig müssen nämlich 2 Prozent des bundesdeutschen Staatsgebiets für Windräder zur Verfügung stehen.

Und gerade Bayern hinkt diesbezüglich noch weit hinterher. Im Jahr 2022 seien im Freistaat gerade mal 14 neue Anlagen gebaut sowie weitere acht genehmigt worden, berichtet Stefan Graf, der Energiereferent des Bayerischen Gemeindetags. Insgesamt drehen sich von Hof bis Füssen aktuell 1150 Windräder, „bis zu 1000“ weitere kann sich Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) noch vorstellen. Immerhin: Ende Mai dieses Jahres muss der Freistaat aufgrund des ebenfalls neuen Wind-an-Land-Gesetzes sämtliche Mindestabstände aufheben.

Die Bayerische Akademie Ländlicher Raum hatte gemeinsam mit dem Gemeindetag und dem Bayerischen Bauindustrieverband zu einer Tagung geladen unter dem Motto: „Wie der notwendige Ausbau der Windenergie Wertschöpfung in den ländlichen Raum bringt und sein Antlitz verändert“. Und das ist keine übertriebene Zukunftsbeschreibung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordert vier bis fünf neue Windräder pro Woche. Derzeit gibt es rund 30 000. „Das wird das größte Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg“, prognostiziert Graf.

 

Weit mehr als 100 Bürgermeister*innen anwesend


Weit mehr als 100 Bürgermeister*innen waren nach München gekommen, um sich zu den künftigen rechtlichen Rahmenbedingungen und technischen Möglichkeiten beraten zu lassen. Einer von ihnen ist der parteifreie Manfred Betzin, Bürgermeister der rund 3200 Bewohnende zählenden Gemeinde Jetzendorf im Landkreis Pfaffenhofen. In seiner Gemeinde gibt es zwar noch kein Windrad, aber Betzin denkt – in Kooperation mit Nachbargemeinden aus anderen Kreisen – über den Bau einer Anlage nach. 160 Meter hoch soll sie werden und 4 bis 5 Megawatt Strom erzeugen. Ob die Veranstaltung dem Rathauschef inhaltlich etwas brachte – dazu später.

Es ist aktuell bayerische Normalität, dass es einerseits Orte ganz ohne Windrad gibt – und gleichzeitig welche, die von Norddeutschland kaum noch zu unterscheiden sind. „Wir haben 350 Prozent Energieautarkie“, berichtet stolz Christian Porsch (lokale Liste), Bürgermeister der Gemeinde Speichersdorf im Kreis Bayreuth. In Westmittelfranken beispielsweise drehen sich derzeit 186 Anlagen – und im Oberland nur eine einzige. Etwa in der Mitte liegt die Region 10 um Ingolstadt mit 64 Anlagen. Inwieweit schon bisher Spielräume ausgeschöpft wurden, hängt wohl immer auch mit der Affinität des jeweiligen Rathauschefs zusammen.

Wohl auch deshalb sollen künftig zuvorderst die Regionalen Planungsverbände maßgebliche Entscheidungsgremien sein, wenn es um den Ausbau geht. „Die Regierung hat dadurch die Gemeinden entmachtet“, sagt Holger Magel, der Ehrenpräsident der Akademie ländlicher Raum. Auch viele Bürgermeister*innen wie Manfred Betzin hätten sich gewünscht, dass, – wenn schon nicht die Gemeinden, dann wenigstens die Landkreise federführend gewesen wären.

 

Schutz der über Jahrhunderte gewachsenen Kulturlandschaften bleibt wichtig



Umso wichtiger ist es für Stefan Graf, dass die Gemeinden jetzt schon mittels Flächensicherungsverträgen dafür sorgen, dass sie später ein ordentliches Stück vom Kuchen abbekommen und nicht leer ausgehen. Denn gebaut werden müssen die neuen Windräder – ob die Kommunen nun im Boot sind oder nicht; hier wird die Bundesregierung nicht lockerlassen. Ein solcher Vertrag bedeute ja auch nicht, dass die Kommune selbst ein Windrad bauen müsse, versichert Stefan Graf. Aber er verhindere, dass später private Investitionsfirmen finanziell Nutznießende sind.

Während der gesamten Veranstaltung stand ein Elefant im Raum: die frühere 10H-Regel. „Ich bin weiter davon überzeugt, dass sie nicht grundfalsch war“, sagt Olaf Heinrich (CSU), der nicht nur Bürgermeister im niederbayerischen Freyung ist, sondern auch Vorsitzender des Landesvereins für Heimatpflege. Dass allein diese Abstandsregelung den Ausbau der Anlagen gebremst habe, sei „nur die halbe Wahrheit“, so Heinrich. In Baden-Württemberg beispielsweise habe es diese Regelung nie gegeben, obendrein stellen die Grünen den Ministerpräsidenten – und trotzdem sei das Nachbarbundesland beim Windradbau auch nicht weiter als Bayern.

Der Schutz der über die Jahrhunderte gewachsenen Kulturlandschaften habe auch weiterhin seine Berechtigung, befand der oberste Heimatpfleger. Das Blaue Land um Murnau, das fränkische Taubertal, der Donau-Wald: All diese Landstriche seien in ihrer momentanen Schönheit eben auch touristisch bedeutsam, das dürfe man nicht vergessen, so Olaf Heinrich. Es gelte abzuwägen und alle Interessen zu berücksichtigen. Das sieht auch Holger Magel so: „Es bedarf weiter einer breiten lokalen Überzeugungsarbeit für die Notwendigkeit der Windenergie.“ Es herrsche – „trotz unübersehbarer Vorteile“ – nach wie vor Widerstand und große Skepsis. Allein „mit drastischen Eingriffen in die gemeindliche Planungshoheit und purem Top-down-Handeln“ werde die Ampelregierung das nicht entkräften, ist der Ehrenpräsident der Akademie Ländlicher Raum überzeugt.

 

„In allseitiger Harmonie wird es nicht funktionieren“


Doch dem wollten sich nicht alle im Saal anschließen. Markus Mahl (SPD), Bürgermeister von Hilpoltstein im Kreis Roth, befand: „In allseitiger Harmonie wird es nicht funktionieren.“ Und aus dem Publikum kam der Zwischenruf, „warum man zwar bedenkenlos Autobahnen und Gewerbegebiete in die Natur klotzen könne – „aber bei Windrädern soll man sensibel sein bei der angeblichen Verschandelung des Landschaftsbilds“. Bürgermeister Betzin aus Jetzendorf wiederum beklagte, dass man der Frage der Wirtschaftlichkeit von Windrädern seitens der Veranstaltenden komplett auswich.

Doch kann der Freistaat noch viel diskutieren? „Wenn wir das Soll von 1,1 Prozent der Landesfläche erfüllen, dann darf 10H als Zuckerl sogar wieder eingeführt werden“, erläutert Gemeindetagsreferent Graf. „Aber wehe, wenn nicht – dann ist Bayern offen.“ Bundesenergieminister Robert Habeck (Grüne) hatte ja schon klargemacht, dass er Ministerpräsident Markus Söder (CSU) keine Eigenmächtigkeiten mehr durchgehen lassen will. (André Paul)

 

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