Kommunales

Bayerns Grüne: keinen OB einer kreisfreien Stadt, nur einen einzigen Landrat – aber als zweitstärkste Partei in den Gemeinderäten und Kreistagen trotzdem bestimmend. (Foto: dpa/Frank May)

19.08.2022

Die heimlichen Herrscher

Zur Kommunalwahl 2020 erhielt die Partei landesweit gerade mal 17,5 Prozent – aber profitiert von komplizierten Mehrheitsverhältnissen und regiert nun fast überall mit

Zwar werden die Grünen nicht müde, vor ihrem Erzfeind AfD zu warnen – aber insgeheim können sie dem Herrgott auf Knien dafür danken, dass der rechtsradikalen Partei zur bayerischen Kommunalwahl 2020 der Einzug in die meisten Kreistage und die Stadträte der kreisfreien Städte gelang. Denn da Koalitionen mit der AfD für alle anderen Parteien weiter als unzulässig gelten, sind wiederum Mehrheiten in den Kommunalparlamenten gegen die Grünen – die häufig auch die zweitstärkste Fraktion bilden – kaum noch möglich.

Zwar stellt die Partei keinen einzigen Oberbürgermeister einer kreisfreien Stadt und mit Jens Marco Scherf in Miltenberg auch nur einen von 71 Landrät*innen im Freistaat – aber die Grünen bestimmen inzwischen in den meisten größeren Kommunen die Agenda wesentlich mit und treiben die offiziellen Verwaltungschefs von CSU und SPD vor sich her.

In urbanen Räume eine Art Symbiose mit der SPD

In München beispielsweise nickt der sozialdemokratische OB Dieter Reiter – der bei der nächsten Kommunalwahl 2026 ohnehin nicht mehr antritt – die meisten Herzensanliegen seines grünen Koalitionspartners kritiklos ab: Parkplätze werden rigoros zusammen gestrichen, die verbliebenen Stellräume brutal verteuert, Straßen müssen Fahrradwegen weichen – egal, was das für Handwerk und Einzelhandel bedeutet –, dem Auto wird offen der Krieg erklärt.

Das mag ein Paradies sein für gut situierte Menschen; vorrangig für jene aus dem Öffentlichen Dienst. Für die Menschen mit den mittleren Einkommen aber, die keinen Anspruch auf Transferleistungen des Staats haben, wird es zunehmend ungemütlich in den Städten. Die Genossen als Anwalt des „malochenden Facharbeiters“ (O-Ton von Ex-Kanzler Gerhard Schröder): Das war einmal.

In Erlangen regiert Oberbürgermeister Florian Janik (SPD) bereits von grünen Gnaden. Bei der Kommunalwahl 2020 verzichtete die Partei in der politisch weit links stehenden Studentenstadt auf einen eigenen Kandidaten und unterstützte den sozialdemokratischen Amtsinhaber.

Das passt zu Beobachtungen, die die Politikwissenschaft speziell für urbane Räume schon seit einiger Zeit macht: Grüne und Sozialdemokraten bedienen da in einer Art Symbiose nahe zu die gleiche Klientel: akademisch gebildet und besser situiert. Die Führungskräfte weisen nicht selten eine ähnliche Vita auf, Studienfächer aus den Geistes- und Sozialwissenschaften dominieren. Die SPD hat es ohnehin aufgegeben, ihre zur AfD abgewanderte frühere Klientel aus der städtischen Arbeiterschaft zurückzugewinnen. Mit deren Kritikpunkten – etwa an zu viel Armutsmigration speziell aus islamischen Ländern – möchte man sich schon aus ästhetischen Gründen gar nicht erst auseinandersetzen.

Die CSU wacht gerade auf

Im ländlichen Raum wacht die CSU gerade auf, was etwa ihre traditionelle Klientel der Bauernschaft betrifft. Die exponentiell wachsende Wolfs-Population – für deren Ansiedlung sich auf politischer Seite nicht zuletzt die Grünen stark gemacht haben – richtet unter den Herden inzwischen wahre Massaker an. „Der Wolf gehört hier nicht her!“, beschieden Ministerpräsident Markus Söder und seine Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber jüngst den Gebeutelten bei ihrer alljährlichen Almbegehung.

In den Ohren der Bauernschaft klingt das nach entsprechenden Rückfragen freilich erst mal noch nach Goethes Faust: „Die Worte hört ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Ob es tatsächlich zu den geplanten erleichterten Abschüssen der Raubtiere in schlecht zu schützendem Gelände kommen wird – fraglich.

Denn die auch auf kommunaler Ebene inzwischen hervorragend organisierten Naturschutzverbände und ihre politischen Unterstützenden haben angekündigt, das nicht hinnehmen zu wollen. Und die Mühlen der regionalen Bürokratie lassen sich vortrefflich auf langsames Mahlen einstellen, bis endlich die erste Patrone im Lauf und der Wolf vor der Flinte ist.
Womöglich befinden sich die Schwarzen sozio-kulturell bereits in der Phase der Rückzugsgefechte. Anderswo ist diese Entwicklung schon weiter. In Kiel wurde kürzlich eine neue Landesregierung ins Amt gewählt. Und obwohl es nach den Stimmen auch für eine schwarz-gelbe Regierung gereicht hätte, entschied sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) gegen die Liberalen und für die Grünen.

So was färbt langfristig auch auf die kommunale Ebene ab: Bürgerliche Koalitionen – obwohl rechnerisch möglich – werden zurück gestellt für etwas, was in der Union manche als „progressive gesellschaftliche Projekte“ erachten.

In Würzburg bestimmt der Vize-OB die lokale Agenda

Wer das für Bayern als ferne und hypothetische Zukunftsmusik erachtet, sollte sein Augenmerk nach Würzburg richten. Formal wird die Stadt noch von Christian Schuchardt (CDU) – nicht CSU, darauf legt der gebürtige Hesse Wert – regiert. Aber wenn es darum geht, die Akzente in der lokalen Politik zu setzen und eine bestimmte Agenda voran zu treiben – dann kommt man an Schuchardts Vize Martin Heilig (Grüne), dem sogenannten Klimabürgermeister (das Amt wurde 2020 speziell für den karrierebewussten Mann neu geschaffen), nicht mehr vorbei.

Der OB hat seinem umtriebigen Stellvertreter längst die politische Bühne in der unterfränkischen Bezirkshauptstadt überlassen. Gut möglich, dass er zur nächsten Wahl in knapp vier Jahren dann auch sein Büro ganz offiziell für den Grünen räumen muss.

In Nürnberg hatte es nach der Wahl 2020 für den neuen Oberbürgermeister Markus König (CSU) auch ohne die Grünen für eine Mehrheit im Stadtrat gereicht. Doch König wollte die Konkurrenz trotzdem unbedingt mit dabei haben und machte der Partei entsprechende Offerten. Doch in der Frankenmetropole nahmen die Grünen davon Abstand – wohl in der nicht unklugen Einsicht, dass man kein wahrer Antreiber sein kann, wenn man nicht auch zwingend für Mehrheiten gebraucht wird.

Unschönes Ende

Manchmal aber kann die Bereitschaft, sich zu intensiv auf die Agenda der Grünen einzulassen, für einen christsozialen Kommunalpolitiker auch unschön enden – wie nach der Bezirkstagswahl 2018 der oberbayerische Bezirkstagspräsident Josef Mederer erfahren musste.

Zuvor hatte er in seinen fünf Amtsjahren als Präsident des Bayerischen Bezirketags – unter anderem in der Flüchtlingsthematik – mitunter Positionen vertreten, die in der CSU-Parteizentrale berechtigte Zweifel aufkommen ließen, ob Mederer wirklich noch zu den Schwarzen gehört. Nach der Wahl wurden dann die Messer gewetzt und der Oberbayer eiskalt von seinem Posten an der Verbandsspitze entfernt. Das Amt übernahm sein Oberpfälzer Parteifreund Franz Löffler, der grüner Umtriebe eher unverdächtig ist.

Aber wie gesagt: Das können auch alles nur noch Rückzugsgefechte sein.
(André Paul)

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