Kommunales

Der Münchner Adschi Keim (Mitte, in der roten Jacke), hier beim Training der jungen pakistanischen Flüchtlingsmannschaft aus Förnbach im Landkreis Pfaffenhofen, ist sowas wie der Franz Beckenbauer der deutschen Cricket-Szene. (Foto: Paul)

15.08.2016

Flüchtlinge gründen erste Cricket-Sektion in bayerischem Sportverein

Besonders bei afghanischen und pakistanischen Asylbewerbern ist das Spiel sehr beliebt

Die Sonne brennt an diesem Samstagnachmittag auf den Sportplatz von Förnbach im Landkreis Pfaffenhofen herunter. Den dunkelhäutigen jungen Männern, die sich in der Mitte des Spielfelds rund um einen hellen Streifen, die sogenannte Pitch, zusammen gefunden haben, stehen Schweißperlen auf der Stirn. Normalerweise wird hier mit dem Fußball gekickt und aufs Tor gebolzt. Doch heute steht ein anderes Spiel auf dem Programm, eines, dessen Popularität in Deutschland durchaus noch zu steigern ist: Cricket. Bayerns erste und offizielle rein aus Flüchtlingen und Asylbewerbern zusammengesetzte Mannschaft absolviert ihre wöchentliche Übungseinheit. Ein kleiner Mann mit einer roten Jacke fungiert in einer Rolle irgendwo zwischen Trainer und Schiedsrichter: Adschi Keim praktiziert, nein, er lebt Cricket – und das seit mehr als 30 Jahren. Ende der 1970er Jahre kam der Pakistani aus der Stadt Lahore als Student der Wirtschaftswissenschaften nach Deutschland. Aus der akademischen Karriere wurde dann zwar nichts, Keim absolvierte eine Bäckerlehre – doch in der Deutschen Cricketszene ist der quirlige Endfünfziger so was wie Franz Beckenbauer im Fußball. Er gründete den Pak Orient Cricket Club (POCC) München, mit immerhin drei gewonnenen Deutschen Meisterschaften sowas wie der FC Bayern München im Cricket – auch wenn der amtierende Meister, leider, leider, gerade aus Frankfurt/M. stammt – „aber nur dieses Jahr“, grinst Keim.

"Wie Baseball? - Nein, auf keinen Fall!"

„Sieht ein wenig aus wie Baseball“, sagt der Reporter beim Beobachten des Trainings mehr zu sich selbst und in Erinnerung an sein studentisches Auslandssemester in Kentucky, USA – und provoziert damit entschiedenen Widerspruch von Adschi Keim, der es gehört hat: „Nein, Baseball, das ist einfach nur brutal – aber Cricket, das ist ein Sport für Gentlemen.“ Logisch: Immerhin stammt er ja aus Großbritannien und in den guten alten Tagen des Empire verbreiteten die Briten ihren Nationalsport über den halben Globus. Noch heute ist Cricket, außer in England selbst, die wohl populärste Leibesertüchtigung in sämtlichen Ländern des Commonwealth, lange vor Fußball. Beim Cricket dreht sich alles um das Duell zwischen dem Werfer (Bowler genannt)  und dem Schlagmann (Batsman). Der Bowler versucht den Batsman zu einem Fehler zu bewegen, damit dieser ausscheidet, der Batsman seinerseits versucht den Ball wegzuschlagen, um Punkte (Runs) bekommen. Der Bowler wird durch die anderen Feldspieler unterstützt, die den Ball so schnell wie möglich zurückzubringen versuchen. Das kann dann schon mal gern mehrere Stunden dauern. Und, ja, es stimmt, es geht wesentlich gesitteter zu als beim Baseball. Für Foulen ist kein Platz, Erfolge des Gegners werden mit Handschlag gewürdigt. Da wird auch nicht demonstrativ ausgespuckt vorm Werfen und sich auch nicht provokant ans Gemächt gegriffen. Zwingend vorgeschrieben ist eigentlich auch die Farbe Weiß für alle Kleidungsstücke – und zwar Hemden, Hosen, Schuhe und Socken – und dass die jungen pakistanischen Asylbewerber auf dem Platz meist in Jeans und farbigem T-Shirt spielen, das bereitet einem Traditionalisten wie Adschi Keim regelrecht Unbehagen. Dem aktuellen Batsman Ramaej Khan, der absolut nichts Weißes trägt, scheint es dagegen eher wurscht zu sein, er lacht und ist mit Feuereifer bei der Sache.  

Riesige Nachfrage unter jungen Männern

„Die Nachfrage unter den pakistanischen, aber auch unter den afghanischen Flüchtlingen nach Cricket ist riesig. Um den Andrang bewältigen zu können, fehlen unserem Verein jedoch das Geld, die Trainingsmöglichkeiten und vor allem auch die Betreuer“, berichtet Keim. Daheim in München stünden die Flüchtlinge inzwischen Schlange, um in den Verein aufgenommen zu werden. „Und es ist so wichtig, dass sie sich körperlich betätigen können, eine Aufgabe haben und Erfolge feiern“, ist der Cricket-Chef überzeugt. „Das sind junge Männer, die kommen doch sonst nur auf dumme Gedanken und machen Schmarrn.“ Dass es im Landkreis Pfaffenhofen jetzt eine positive Wendung mit der Spielbegeisterung nimmt, dafür engagiert sich die ehrenamtliche Asylhelferin und Deutschlehrerin Christine Franke. Viel geschrieben und telefoniert hat sie in den vergangenen Wochen, unter anderem mit dem Landessportbund, mit den staatlichen Behörden, um Fördermittel anzuzapfen – und war schlussendlich erfolgreich. Gemeinsam mit Florian Weiß, dem Kreisvorsitzenden des Landessportverbands, und Peter Wittmann, dem 1. Vorstand des FSV Pfaffenhofen, werden die jungen Cricket-Spieler nun offiziell und mit Urkunde als neue Sektion in den Verein aufgenommen. „Vom Niveau her könnten sie in der nächsten Saison schon in der 2. Regionalliga spielen“, ist sich Adschi Keim. Nur ganz so viel verdient wie im Fußball wird hierzulande im Cricket noch nicht.
(André Paul)  

Kommentare (1)

  1. Siggi am 10.12.2016
    Nur für die Statistik:
    Wir haben schon im Mai 2016 eine Cricketabteilung gegründet und zur Zeit 100 Spieler.

    DJK Göggingen e.V., Augsburg
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