Kommunales

Ein leerer Gerichtssaal: derzeit kein seltener Zustand in Deutschland. (Foto: dpa/Robert B. Fishman)

30.04.2020

Justitia hat wenig zu tun

Wegen Corona können derzeit auch viele Gerichtsverhandlungen nicht stattfinden

"Über einem bayerischen Richter", das sagte schon der bekannteste TV-Vertreter der Zunft, August Stierhammer alias Hans Baur in der Fernsehserie Königlich-Bayerisches Amtsgericht, „thront nur noch der Liebe Gott.“ Daran hat sich auch nach mehr als 100 Jahren und dem Wechsel von der Monarchie zur Demokratie nichts wesentlich geändert: Anders als etwa gegenüber Staatsanwälten ist die Exekutive gegenüber einem Richter nicht weisungsbefugt.

In der Corona-Krise wird das gerade wieder deutlich. „Wann Gerichtsverhandlungen stattfinden, entscheiden die Richter*innen im Rahmen ihrer richterlichen Unabhängigkeit. Auch die Entscheidung, ob ein Verhandlungstermin aufgehoben oder verlegt wird, trifft allein das zuständige Gericht. Das Justizministerium kann lediglich Empfehlungen aussprechen“, erklärt Andrea Leonhardt-Haellmigk, die Sprecherin des bayerischen Justizministeriums, auf Nachfrage.

"Konzentration auf die Kernbereiche"

Ihr Chef, Justizminister Georg Eisenreich (CSU), kann nur eine Empfehlung aussprechen: „Konzentration auf die Kernbereiche und Reduzierung der öffentlichen Verhandlungen auf das Nötigste, insbesondere auf eilbedürftige und dringende Fälle.“ Dazu gehören laut dem Ressortchef vor allem Haft- und Unterbringungssachen, Verfahren, in denen Verjährung droht oder Verfahren, die sich schon in einem fortgeschrittenen Stadium befinden und sonst von Neuem begonnen werden müssten. Man kann aus Justizsicht also nur froh darüber sein, dass etwa die Verfahren gegen Beate Zschäpe schon vor Corona abgeschlossen waren. Der Publikumsandrang dort war immens. Bis auf Weiteres sollten Verhandlungen nur noch in großen Sälen stattfinden, wo der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden kann, Sitze müssten gegebenenfalls gesperrt werden.

Immerhin: Die Staatsanwaltschaften wurden gebeten, „in geeigneten Verfahren anstelle einer Anklage einen Strafbefehl zu beantragen“, auch dadurch könnten unter bestimmten Umständen Hauptverhandlungen vermieden werden. Hauptverhandlungen unterliegen nämlich nach der Strafprozessordnung dem sogenannten Mündlichkeitsgrundsatz – sprich, es muss verhandelt werden. Einen Strafbefehl stellt dagegen die Staatsanwaltschaft aus, und wenn ihn der Delinquent annimmt, ist die Angelegenheit erledigt. Das wird unter anderem in Fällen interessant, in denen der Angeklagte an Covid-19 leidet.

Außer wenn besondere Umstände vorliegen – zum Beispiel der Angeklagte ist minderjährig – muss die Öffentlichkeit zu einem Verfahren zugelassen werden. Allerdings nicht „schrankenlos“, wie es dazu aus dem Justizministerium heißt. Beschränkungen seien mit dem Verweis auf Corona ausdrücklich erlaubt. Die notwendige Öffentlichkeit beziehungsweise deren Unterrichtung werde, so das Ministerium, „auch durch Journalisten sichergestellt“. Für den Bürger muss es auch erst mal reichen, wenn er Kontakt zu den Justizbehörden nur per Telefon aufnehmen kann. Wer trotzdem auf einem persönlichen Vorsprechen besteht, muss schriftlich belegen, dass er nicht an Covid-19 erkrankt ist. „Derzeit sind die meisten Zivilprozesse am Landgericht auf Eis gelegt“, berichtet Andreas Funk, der Vorsitzende des für das nördliche Oberbayern zuständigen Ingolstädter Anwaltvereins. Verhandlungen am Familiengericht finden allerdings statt. „Voraussichtlich in der nächsten Woche wird der Betrieb aber wieder langsam hochgefahren.“

Er und seine Kollegen, so Funk, spürten aber derzeit einen deutlichen Rückgang an neuen Mandanten. Das habe auch mit den Ausgangsbeschränkungen zu tun – die Bürger suchen zwangsläufig weniger Kanzleien auf. Er rechne aber damit, sagt der Vorsitzende, dass es nach der Aufhebung des Lockdown zu einer deutlichen Zunahme bei den Mandanten kommen werde – vor allem im Bereich des Arbeitsrechts. Bedingt sei dies sehr wahrscheinlich durch die zahlreichen Entlassungen in den durch die Krise gebeutelten Firmen der Region.

Drohen Freiheitsstrafen, muss verhandelt werden

Rechtsanwalt Funk behandelt ausschließlich Zivilverfahren, seine Kollegin Andrea Kremer dagegen ist im Strafrecht tätig. Hier schaut es ein wenig anders aus. „Wo Untersuchungshaft besteht, finden die Verhandlungen statt“, erläutert die Anwältin, beispielsweise in Fällen von versuchtem Totschlag. Das Landgericht stelle dafür seinen größten Sitzungssaal zur Verfügung.

Und wie hält man ein Plädoyer mit Mundschutz? Kremer lacht: „Sehr laut, langsam und deutlich sprechen.“ Dass es Corona-bedingt zu Verzögerungen kommt, sei aus Sicht ihrer Mandanten gar nicht so schlecht. „Das kann sich strafmildernd auswirken, wie man zum Beispiel beim Prozess um die Loveparade gesehen hat.“

Dass der Justizminister die Staatsanwaltschaften anhält, verstärkt auf Strafbefehle zu setzen, findet sie keine üble Idee. Wenn der Mandant geständig sei, wäre es ja auch in dessen Interesse, dass kein Prozess stattfindet. Diese Regelung funktioniere aber nur bei Geldstrafen und Bewährungsstrafen bis zu einem Jahr. Steht dagegen definitiv eine Freiheitsstrafe im Raum, dann müsse verhandelt werden, so Andrea Kremer.
(André Paul)

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