Kommunales

Die Münchner Friedenstraße ist eine sogenannte Anbahnungszone, wo Prostituierte ihre Freier ansprechen. (Foto: dpa)

17.06.2016

Klassik mit Kurtisanen

Der geplante neue Konzertsaal von München befindet sich direkt neben der sogenannten „Anbahnungszone“ in der Friedenstraße

Vielleicht wissen ja auch die eine oder andere Prostituierte und ihr Freier klassische Musik zu schätzen – die Besucher des neuen Konzertsaals der Landeshauptstadt freilich dürften vom nahen Rotlichtviertel wenig begeistert sein. Im Münchner Kreisverwaltungsreferat zeigt man sich überrascht. Die Münchner Friedenstraße ist eine der weniger bekannten Ecken der Landeshauptstadt, jedenfalls wenn man kein Nachtschwärmer und Clubbesucher ist. Sie verläuft parallel zu den Gleisen des Ostbahnhofs und wird im Süden von der Rosenheimer Straße und im Norden von der Berg-am-Laim-Straße begrenzt.
Früher – das heißt vor ein paar Jahrzehnten – war das Viertel Fabrikgegend. Bis 1984 baute hier Zündapp („Zünder- und Apparatebau-Gesellschaft mbH“) seine Motorräder. Dann kam das Aus und die Maschinen und Konstruktionspläne wurden nach China verschifft. Neben den Mofas und Mopeds wurden hinter der Friedenstraße auch Nahrhaftes produziert – Knödel. Bis 1996 stand dort das Pfanni-Werk mit seinen Fabrikhallen, von hier aus eroberten die Kartoffelprodukte des Unternehmers Werner Eckart die Bundesrepublik.

Heute ist in den Gebäuden und auf dem ehemaligen Produktionsgelände der wirtschaftliche und soziale Wandel zu besichtigen: Statt Arbeiter in Blaumännern sind heute die Mitarbeiter von Internet-Firmen und Start-Up-Unternehmen zu sehen und der Schweiß, der hier zu Boden tropft, stammt nicht mehr von der Mühsal des Brotverdienens, sondern vom Tanzvergnügen – die „Optimolwerke“ sind seit Jahren der nächtliche Anziehungspunkt für Clubgänger.

Von 20 bis 6 Uhr suchen die Damen nach ihren Kunden


So entfaltet die Friedenstraße, die tagsüber das normale Gesicht einer relativ wenig befahrenen, etwas abseits gelegenen Nebenstraße zeigt, nächtens ihre eigene, spezielle Aktivität. Dazu gehört – neben den Clubbesuchern – auch das Rotlichtmilieu. Denn die Friedenstraße ist eine sogenannte „Anbahnungszone“. Nach der Münchner Sperrbezirksverordnung ist hier die „Kontaktaufnahme (Anbahnung) mit Kunden“ in der „Öffentlichkeit (also zum Beispiel im Freien und an öffentlich einsehbaren Orten und Gebäuden)“ in der Zeit von 20 Uhr abends bis 6 Uhr morgens „100 Meter nach der Einmündung in die Rosenheimer Straße bis zur Grafinger Straße“ erlaubt. Das heißt, ab 20 Uhr ist in der Friedensstraße ein ähnliches Szenario zu erleben wie bei den anderen Anbahnungszonen in der Landeshaupstadt, etwa der Schäftlarnstraße, der Landsberger Straße oder der Lochhauser Straße: Eher leicht bekleidete Sexarbeiterinnen bieten ihre Dienstleistungen an.

Das ist soweit Stand der Dinge und wäre – so gesetzeskonform – angesichts der Liberalitas Bavarica auch nicht weiter bemerkenswert, würde sich in naher Zukunft an der Friedenstraße nicht ein erneuter Modernisierungsschub abspielen, der sich gegebenenfalls mit den Hormonschüben in der Anbahnungszone nicht wirklich verträgt. Denn statt den Beats aus den Optimolwerken sollen hier ab 2021 symphonische Klänge aus dem neuen Münchner Konzertsaal dringen, der den renovierungsbedürftigen Saal am Gasteig ersetzen soll.

Die Entscheidung ist gefallen und das bayerische Kabinett hat sich auf den Standort für den neuen Konzertsaal festgelegt: Der Bau wird auf dem Gelände der ehemaligen Pfanni-Werke errichtet. Das Kabinett folgte mit dieser Entscheidung für das Werksviertel am Ostbahnhof einem Vorschlag von Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU): „Wir werden bis 2018 im Werksviertel unumkehrbar die Weichen für den neuen Konzertsaal stellen“, so der Minister im vergangenen Jahr.

Baubeginn im Herbst 2019, Inbetriebnahme 2021


Der nächste Schritt waren Verhandlungen der bayerischen Staatsregierung mit dem Grundstückseigentümer Werner Eckart, hier habe man inzwischen „wichtige Ergebnisse“ erzielt, sich etwa auf einen Erbpachtzins von 4,9 Prozent geeinigt. Nun könne im Sommer der Architektenwettbewerb für den neuen Konzertsaal ausgelobt werden. Ein Pluspunkt des Geländes sei die zeitliche Verfügbarkeit: Ein Baubeginn im Herbst 2019 wird als realistisch betrachtet, dann wäre eine Inbetriebnahme des Saals etwa im Jahr 2021 möglich.

Auf rund 8500 Quadratmetern Grundfläche sollen ein Konzertsaal mit rund 1800 Plätzen, ein kleiner Saal mit etwa 300 Plätzen sowie Foyer, Backstage, Gastronomie und weitere Nebenräume entstehen. „In dem neuen Konzertsaal soll das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ein seinem Weltruf adäquates Residenz- und Erstbelegungsrecht erhalten“, so die Vision von Minister Spaenle.

So weit so gut, wäre da nicht die genannte Anbahnungszone. Würde das zusammenpassen: Damen in Abendgarderobe und Damen im Ledermini? „Darüber haben wir uns bisher noch keine Gedanken gemacht“, sagt dazu Alain Langefeld, der für die Sperrbezirksverordnung zuständige Sachbearbeiter im Münchner Kreisverwaltungsreferat. Aber im Zuge von Baumaßnahmen können bestehende Verordnungen zu Sperrbezirk und Anbahnungszonen überprüft werden und Langefeld geht davon aus, dass das bald geschehen werde. Federführend ist dabei die Münchner Lokalbaukommission, die dann einen entsprechenden Prüfungsantrag an das Kreisverwaltungsreferat richtet, welches wiederum dann die Polizei zur Situation vor Ort befragt.

Entscheidend ist der Jugendschutz


Eine zentrale Aufgabe der Sperrbezirkverordnung sei der Jugendschutz, so Langefeld. Und es geht um eine Überprüfung der begleitenden Kriminalität, die bei der Friedenstraße freilich gegen Null gehe. Ob die Anbahnungszone Bestand hat, sei eine Abwägung von moralischen und sachlichen Argumenten. „Wir haben die Möglichkeit, die Anbahnungszone aufzuheben, zeitlich zu verkürzen oder auch zu verlegen“, so Sachbearbeiter Langefeld. Letztlich aber liege die Hoheit über Sperrbezirke und Zonen bei der Regierung von Oberbayern, die Stadt sei nur ausführendes Organ. Auf Nachfrage heißt es dort, der Bezirksregierung liege noch „keine Anregung zur Änderung der Sperrbezirksverordnung speziell im Hinblick auf eine etwaige Konzerthalle vor. Für eine etwaige Änderung wäre man jedoch „auf die Informationen der Sicherheitsbehörde vor Ort angewiesen“. (Rudolf Stumberger)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.