Kommunales

Joachim Wolbergs im Gerichtssaal in Regenburg. (Foto: dpa)

19.10.2018

„Nettigkeiten“ und Verstöße gegen das Parteiengesetz

Der Regensburger Korruptionsprozess – Eine erste Bilanz

Regensburg hatte schon immer Großstadtambitionen. Da wundert es nicht, dass lokale Medienvertreter sich im Korruptionsprozess um den suspendierten Oberbürgermeister Joachim Wolbergs zu schillernden Vergleichen mit anderen Affären versteigen. Die Causa Christian Wulff muss herhalten und zeigt doch nur eines: Im Fall Wolbergs scheint jedes Maß zu fehlen. Das zumindest glaubt die Verteidigung.

Tatsächlich ist der „Wolbergs-Prozess“ um einiges kleiner. Wenn auch keineswegs unbedeutend. Immerhin geht es um mögliche Verstöße gegen das Parteiengesetz und damit um einen möglichen, ernstzunehmenden Schaden für die Demokratie. Es geht um den Verdacht der Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme in gut einem Dutzend Fällen. Im Mittelpunkt der Verhandlung stehen dabei die Verflechtungen zwischen dem millionenschweren finanziellen Engagement des Regensburger Bauteams Volker Tretzel (BTT), beim damals chronisch klammen Fußballclub SSV Jahn, und die Vergabe lukrativer Baugrundstücke durch die Stadt.

Am Ende könnte es eine Verurteilung geben, nach der, so glaubt die Verteidigung, auch die Vorgaben des Parteiengesetzes zu hinterfragen wären. Am Ende könnte sich alles aber auch als parteipolitisch motivierter Schaukampf entpuppen, in dem es um Macht geht, um viel Geld und um den Aufstieg eines Provinzclubs in die Profiliga.

Seit vier Wochen auf der Anklagebank


Seit vier Wochen sitzt der suspendierte Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs auf der Anklagebank. Immer wieder hält er minutenlang die Augen geschlossen und legt seine Hand auf die Brust. Was in seinem Kopf vor sich geht, hat er in einer gut vierstündigen Eröffnungsrede erklärt. Und doch bleiben solche Momente sein Geheimnis. Der ehemalige SPD-Hoffnungsträger hatte stets vehement seine Unschuld beteuert.

Mit ihm müssen sich der Regensburger Bauunternehmer Volker Tretzel, dessen ehemaliger Geschäftsführer Franz W. und der einstige SPD-Stadtrat und Fraktionsvorsitzende Norbert Hartl vor der Wirtschaftskammer am Landgericht Regensburg verantworten. Ursprünglich lautete die Anklage auf Bestechlichkeit, also Korruption. Die Kammer um Richterin Elke Escher hatte die Anklageeröffnung jedoch nur in geänderter Form zugelassen. Die Anklagevorwürfe der Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung sowie der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen waren nach Ansicht der Kammer nicht haltbar. Die Bestechlichkeit setzt zudem eine „pflichtwidrige Diensthandlung voraus“. Auch die konnte das Gericht nicht erkennen. Im Falle einer Verurteilung drohen den Angeklagten deutlich geringere Strafen als bei Bestechung.

Verdacht hat sich nicht bestätigt


Es ist der achte Verhandlungstag. Das Verteidigerteam um den Bauunternehmer Volker Tretzel verliest gerade ihren gut 40-seitigen Antrag, einen sachverständigen Gutachter und Wirtschaftsprüfer zu bestellen, für den Fall, dass die Kammer immer noch vom Vorwurf der Vorteilsgewährung ausgehe.

„Dieser Verdacht hat sich in der laufenden Hauptverhandlung“, so Ufer, „nicht bestätigt.“ Dem Belastungszeugen Christian Schlegl, CSU-Stadtrat und unterlegener Kontrahent um das höchste Amt im Rathaus, werfen die Verteidiger erheblichen „Belastungseifer“ und Unglaubwürdigkeit vor.

Das Gericht geht im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen Tretzel und Wolbergs auch der Frage nach, warum der Bauunternehmer Millionen in den defizitären Club investiert hat? Ihn sogar zeitweilig vor der Insolvenz rettete, ohne sich für Fußball überhaupt zu interessieren? Tretzels Standardantwort darauf lautete stets: Er habe in Regensburg soviel Geld verdient, dass er der Stadt etwas habe zurückgeben wollen.

Eine durch und durch emotionsfreie Strategie


Der Satz klingt gut und taugt doch nicht mehr, als zum allseits gängigen Werkzeug aus der Trickkiste von Marketingstrategen. Schließlich, darüber hatte Jahn-Geschäftsführer Christian Keller, das Gericht in seiner Aussage aufgeklärt, verkaufe man ja nicht Fußball. Nicht einmal Sport. Man verkaufe Emotionen.
Mit Blick auf die Finanzierung des Jahn vertreten dessen Spitzenmanager und das Verteidigerteam um Tretzel jedoch eine durch und durch emotionsfreie Strategie. Beide hatten Tretzels Engagement gegenüber dem Gericht ausnahmslos als „an wirtschaftlichen Interessen orientiert“ beschrieben. „Das sind völlig normale Vorgänge, auch im politischen Geschäft „, sagte Club-Chef Hans Rothammer. Dabei sei es um Profifußball gegangen, der auch ein gewinnbringender Standortfaktor für Regensburg sei.

Zahlreiche Mails von Tretzel an seinen Ex-Geschäftsführer nähren jedoch den Verdacht auf gezielte Scheckbuch-Diplomatie des Bauträgers. Noch unter CSU Oberbürgermeister Hans Scheidinger, gegen den ebenfalls ermittelt wird, schreibt er im Jahr 2009 an Franz W., ein nicht näher benanntes Grundstück erwerben zu wollen, um „die Früchte unseres Jahn-Engagements zu ernten“. Tretzel hatte dem klammen Club seit 2005 mit insgesamt 7,2 Millionen Euro finanziell immer wieder unter die Arme gegriffen. Zeitweise gehörte ihm der Fußballclub zu 90 Prozent.

Kein Vorteil an Dritte


Verteidigung und Jahn-Geschäftsführung dagegen argumentieren: Alleine aus diesem Grund kann Tretzel finanzielles Engagement nicht als Vorteil an Dritte gewertet werden. „Ich wundere mich, wie eine Kapitalerhöhung für den Jahn eine Vorteilsgewährung an Dritte gewesen sein kann“, hatte Jahn-Chef Hans Rotthammer vor Gericht gefragt. „Die Aktien hatten Tretzel doch weiterhin gehört.“ Ihm sei völlig unklar, wie ein Vermögen, das die Vermögenssphäre des Zeichners gar nicht verlässt, zu einem Vorteil für Dritte werden kann. „Das sind juristische Fragen, die von den Ermittlern bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung hätten geklärt werden müssen“, sagte der Steuerberater.

Diese und andere Fragen soll nun ein Sachverständiger und Wirtschaftsprüfer für das Gericht bewerten. Einen entsprechenden Antrag stellte Tretzel-Verteidiger Florian Ufer am vergangen Dienstag. Die Wirtschaftsanwälte um den Bauunternehmer machen unterdessen keine Gefangenen im Kampf um die Wahrheit. Ufer teilte dem Gericht auch mit, dass gegen den Kronzeugen der Anklage, Christian Schlegl, Strafanzeige wegen Falschaussage erstattet wurde. Schlegl hatte Wolbergs in seiner Aussage erneut schwer belastet, sich aber immer wieder in Ungereimtheiten verstrickt. Gegen Schlegl wird, wie auch gegen Alt-OB Hans Schaidinger (CSU) und den Landtagsabgeordneten Franz Rieger (CSU), im Zusammenhang mit Parteispenden und immaterielle Zuwendungen von Tretzel ermittelt.

"Das war ein Fehler"


Bleiben die Fragen nach den Vergünstigungen und Rabatten beim Kauf von Wohnungen für nahe Verwandte von Wolbergs oder die Renovierung eines Ferienhauses. „Das war ein Fehler“, räumt Wolbergs in seiner Eröffnungsrede ein. „Nettigkeiten“, die im Alltag untergegangen sind und die er so gar nicht wahrgenommen habe. Als Vorteilsannahme will er sie nicht verstehen. Erst recht nicht als Bestechung.

Ungeklärt ist auch der Verdacht auf Verstöße gegen das Parteiengesetz. Bereits bei Anklageeröffnung hatte Wolbergs Anwalt Witting eingeräumt, dass eine Abgrenzung von straffreiem und strafbarem Verhalten mit Blick auf die Verstöße gegen das Parteiengesetz im Einzelfall „durchaus schwierig“ sein kann. Vor allem vor dem Hintergrund einer mangelnden staatlichen Parteienfinanzierung sei das Einwerben von Parteispenden vom Verfassungsrecht ausdrücklich erwünscht. Gleichzeitig nähre sie aber auf kommunaler Ebene „regelmäßig den Verdacht der ‚Spezlwirtschaft’“, so der Anwalt.

Verletzung des Dienstgeheimnisses


Mehr als 60 Verhandlungstage bleiben, um diese Fragen zu klären. An diesem letzten Prozesstag in der vierten Woche hat die Staatsanwaltschaft zunächst das Verfahren gegen Joachim Wolbergs in einem Teilbereich eingestellt. Man habe ihm die Verletzung des Dienstgeheimnisses und Bestechlichkeit nicht nachweisen können, hieß es in einer Stellungnahme an die Medien. Auch der in diesem Verfahren mitbeschuldigte Journalist eines Regensburger Anzeigenblattes wird vom Vorwurf der Bestechung entlastet. Er soll gegen die Freigabe von Unterlagen aus einer nicht öffentlichen Aufsichtsratssitzung der Stadtbau GmbH eine wohlwollende Berichterstattung versprochen haben.

Kein Schaden für die Öffentlichkeit


Nach gut einem Jahr Ermittlung kommt die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss: Der Journalist sei Wolbergs ohnehin gewogen gewesen und die herausgegeben Informationen hätten nicht den Wert gehabt, Schaden für die Öffentlichkeit anzurichten. Dass die Unterlagen auch dem Chefredakteur der größten Lokalzeitung vorlagen, verschweigt die Staatsanwaltschaft.

Für Wolbergs ist der Beschluss kaum Erleichterung. Gegenüber der Staatszeitung nennt er das Vorgehen der Ermittlungsbehörde einmal mehr „eine Unverschämtheit“. „Das Verfahren hätte längst eingestellt werden müssen“, sagt er. „Das haben die einfach so liegen lassen. Aber man sieht ja, welche Spielchen die treiben.“

Die Kritik an der Anklage seitens der Verteidiger reisst nicht ab. Die Anwälte aller Parteien sind verärgert über die „schludrige Arbeitsweise der Ermittlungsbehörden“. Laut Wolbergs Anwalt, Peter Witting, hat diese durchaus System. Ermittlungen und deren Ergebnisse würden der Öffentlichkeit in „therapeutischen Dosen“, künstlich aufgespalten und häppchenweise präsentiert. „Vorgänge, die ohne weiteres in einer einzigen Verhandlung geklärt werden könnten“, so Witting in einer Stellungnahme. „Ersichtlich folgt diese Vorgehensweise dem Ziel, die vorläufige Suspendierung des Oberbürgermeisters durch bloßen Zeitablauf in eine endgültige Entfernung aus dem Amt zu überführen.“

Ein seit Monaten ausermittelter Komplex


Die neuerliche Anklageerhebung gegen Wolbergs in Sachen Immobilienzentrum Regensburg hatte dieser Einschätzung neue Nahrung gegeben. „Das ist ein Komplex, der seit Monaten ausermittelt ist“, sagt Witting.

Bis heute kritisieren die Verteidiger unisono den in Teilen rechtswidrigen Lauschangriff der Anklage. An die 100 persönliche Gespräche und Verteidigergespräche und Textnachrichten sollen rechtswidrig abgehört und dokumentiert worden sein. Das Gericht hatte zwar die Maßnahme der Anklage wegen massiver Verletzung der Grundrechte der Angeklagten gerügt und angeordnet, dass die entsprechenden Telefonate und Nachrichten nachvollziehbar zu löschen sind. Die Abhörmaßnahme als solche sei aber rechtens gewesen, so die Richterin. Die Behörde kommt der richterlichen Anordnung nur zögernd nach.
(Flora Jädicke)

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