Kommunales

Mietshaus in Berlin: Dort ist eine Enteignung von Wohnungskonzernen leichter möglich als in Bayern. (Foto: dpa/Wolfram Steinert)

25.01.2019

"Stoppsignal für das spekulative Kapital"

In Berlin will eine Initiative per Volksbegehren Tausende Wohnungen verstaatlichen – ist dies auch für Bayern vorstellbar?

In München ist der Wohnungsmarkt bekanntlich extrem angespannt, die Mieten explodieren, bei jeder Besichtigung drängen sich bereits Hunderte Interessenten. Doch nicht nur die bayerischen Mieter ächzen unter diesen katastrophalen Zuständen, sondern auch in Berlin wird die Lage zunehmend kritischer. Jetzt wird in der Bundeshauptstadt ein Projekt mit einer möglicherweise dramatischen Lösung angeschoben: Eine Initiative will dazu im April ein Volksbegehren starten. Ziel ist ein Gesetz zur „Vergesellschaftung“, also Verstaatlichung großer Unternehmen, die in Berlin mehrere Tausend Wohnungen im Bestand haben.

„Wir wollen ein Stoppsignal für das spekulative Kapital setzen“, sagt Rouzbeh Taheri, der Initiator des Volksbegehrens der Staatszeitung. Radikale Zustände verlangten nach radikalen Lösungen, ist er überzeugt. „Es kann nicht sein, dass solche großen Konzerne immer mehr Einfluss gewinnen und die Mieten in die Höhe treiben.“ Der Staat habe die Pflicht, für angemessenen Wohnraum zu sorgen, Wohnraum sei ein Menschenrecht. So steht es übrigens in der bayerischen Verfassung.

Die Chancen stehen gut, dass das Projekt Erfolg hat. Laut einer Umfrage können sich 55 Prozent der Berliner vorstellen, mit „ja“ zu stimmen. Auch aus dem Senat, der Landesregierung, gibt es Unterstützung. Die Linke findet die Idee gut. Sympathien haben auch die Grünen bekundet.

Taheri kann sich deshalb auch vorstellen, mit dem Projekt in andere Bundesländer vorzustoßen, wo der Mietmarkt ebenfalls angespannt ist. „Ein Kollege hat bereits für März eine Informationsveranstaltung in München geplant“, verriet er der BSZ. Schließlich hätten die jüngsten Demonstrationen in der Landeshauptstadt gezeigt, dass man dort viele potenzielle Mitstreiter habe. Er sehe sehr gute Chancen, dass es im Freistaat Nachahmer geben werde. Die Initiative stützt sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes, der die Sozialisierung von Grund und Boden zugunsten der Allgemeinheit ermöglicht.

Gemäß Artikel 71 der bayerischen Verfassung ist die Zulassung eines Volksbegehrens beim bayerischen Innenministerium zu beantragen. Der Antrag muss von 25 000 stimmberechtigten Bürgern unterzeichnet sein und einen Gesetzentwurf mit Begründung umfassen, welcher Gegenstand das Volksbegehren sein soll. Das Innenministerium prüft dann das Volksbegehren auf seine Zulässigkeit. Erachtet es die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung für nicht gegeben, entscheidet über die Zulassung der Bayerische Verfassungsgerichtshof. Wurde das Volksbegehren zugelassen, müssen sich innerhalb einer Eintragungsfrist von 14 Tagen mindestens zehn Prozent der Stimmberechtigten in Listen eintragen, die in den Rathäusern ausliegen. Hat ein Begehren Erfolg, muss die Staatsregierung dieses dann dem Landtag unterbreiten. Dieser kann die Vorlage dann unverändert annehmen, dann wird sie Gesetz. Lehnt er das Volksbegehren dagegen ab, dann findet innerhalb von drei Monaten dazu ein Volksentscheid statt. Der Landtag kann dabei einen eigenen Entwurf als Alternative vorlegen. Zudem kann das Plenum die Rechtsgültigkeit eines Begehrens bestreiten. Dann entscheidet der Bayerische Verfassungsgerichtshof.

"Keine rechtliche Grundlage für Wohnungsenteignungen in Bayern"

Im bayerischen Bauministerium ist man zuversichtlich, einen solchen Plan abwenden zu können. Derzeit gebe es für Enteignungen von Wohnungsbaugesellschaften keine rechtliche Grundlage, so Sprecherin Corinna Korn zur BSZ. Eine Enteignung sei nach dem Grundgesetz nur möglich, wenn sie der Verhältnismäßigkeit standhalte. Sie komme nicht in Betracht, wenn dem Gesetzgeber andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um ausreichenden Wohnraum zu schaffen. Die bayerische Verfassung bietet mit Artikel 160 Absatz 2 derzeit keine größeren Spielräume für Vergesellschaftungen von Grund und Boden, denn davon werden nur lebenswichtige Produktionsmittel erfasst. Eine Sozialisierung von Grund und Boden durch Landesgesetz würde demnach wohl einen Verfassungsbruch darstellen.

Mit der Sozialisierung von Wohnungsgesellschaften würde zudem die Privatnützigkeit des Eigentums beseitigt. Dementsprechend müssten die Wohnungsunternehmen entschädigt werden. In Regionen wie München kämen da rasch Beträge in Milliardenhöhe zusammen – eine starke Belastung für den Staatshaushalt.

Wer mit Branchenvertretern spricht, stößt auf provokante Gegenfragen. Woran es denn liege, dass die Mietpreise explodieren und die Knappheit zunimmt? „Das Enteignen behebt das Problem nicht“, sagt die Vertreterin einer vor allem in Süddeutschland aktiven Vermieterfirma, die allein in München 3000 Wohnungen vermietet. Man erlebe derzeit eine „hoch emotionale, politisch aufgeladene Diskussion, aber keine fachliche Erörterung“. Da sei „die Linke sehr aktiv und wir können froh sein, dass die AfD das Thema noch nicht für sich entdeckt hat“.

Die großen Anbieter würden zu Unrecht an den Pranger gestellt. „Bei uns gibt es nämlich beispielsweise keine Kündigungen wegen Eigenbedarfs wie bei den vielen kleinen privaten Vermietern. Und wir haben auch keinen spekulativen Leerstand, unsere Wohnungen sind alle vermietet.“ Überhaupt würden alle großen Firmen zusammen nur rund zwei Prozent des Mietmarkts umfassen, der Rest befände sich in der Hand von Privatleuten. Wenn es Proteste gegen die dringend benötigten Neubauten gäbe, dann meist von Anwohnern, die um die Lebensqualität in ihrem Viertel bangen und eine weitere Verdichtung vermeiden wollen. Eine weitere Frage, die die Befürworter einer Enteignung nicht geklärt hätten sei, wer danach die Bewirtschaftung der Wohnungen übernähme? „Für uns arbeiten rund 10 000 Mitarbeiter, darunter sehr viele Handwerker. Woher sollen die Länder oder die Kommunen denn plötzlich die Fachkompetenz nehmen?“

Die Preise deutscher Wohnungen sind laut einer europaweiten Studie so stark gestiegen wie in keinem anderen Land der EU. Diese Investments wollen wieder hereingeholt werden – über die Miete. (André Paul)

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