Kommunales

Aktuell stehen bundesweit rund 1,8 Millionen Wohnungen leer – unter anderem wegen des demografischen Wandels, aber auch wegen Sanierungsstau oder weil die Lage kaum jemanden anspricht. (Foto: dpa/Jens Büttner)

21.10.2022

Trotz Leerstand werden neue Einfamilienhäuser gebaut

Eine Tagung in Kolbernmoor geht der Frage nach, warum theoretischer Bedarf und praktische Umsetzung immer weiter auseinander fallen

Man mag mit dem spröden Terminus Leerstandskonferenz zunächst wenig anfangen können. Aber der Untertitel „jemand daheim?“ macht die Sache schon eher verständlich. Bei der mehrtägigen Veranstaltung in Kolbermoor im Landkreis Rosenheim ging man der Frage nach, wie aus halbleeren Häusern – zumeist Einfamilienhäusern – wieder mehr aktiver Wohnraum werden kann.

Der Tagungsort war nicht zufällig das luxussanierten Gebäude der ehemaligen Kolbermoorer Baumwollspinnerei, die einst das wirtschaftliche Zentrum und größter Arbeitgeber des Ortes bildete. Teilnehmende waren vor allem Fachleute aus den Bereichen Architektur und Stadtplanung, Vertretende der Bauwirtschaft und Kommunalpolitik sowie einige Hausbesitzende. Die Veranstaltung übernahm das Wirtschafts-Forum Mangfalltal e.V., finanziell gefördert von den beiden Leader Regionen Kreisentwicklung Miesbacher Land und Mangfalltal-Inntal sowie von den fünf regionalen Gemeinden Bad Wiessee, Kolbermoor, Otterfing, Rohrdorf und Tuntenhausen. Kuratiert wurde dies von Nonconform, einem Wiener Architekturbüro, das sich auch als Ideenwerkstatt versteht.



„Das Einheimischenmodell ist politisch gestorben“

 

Bei den zahlreichen Vorträge verdichtete sich bald der Eindruck, dass dieses Phänomen sehr komplex ist und Problemlösungen durchaus anspruchsvoll sind. Dem wachsenden Druck im Wohnungsmarkt beziehungsweise dem Mangel an Wohnraum mit gleichzeitig massiv gewachsenen Kosten steht vor allem das traditionelle Prestige des Einfamilienhauses gegenüber. Gerade in Deutschland ist für viele Familien ein begehrtes Statussymbol. Im Jahr 2020 waren drei Viertel der Wohnungsneubauten in Deutschland Einfamilienhäuser, konstatierte die Stadt- und Regionalplanerin Sophie Wolfrum von der TU München. Dem gegenüber stünden aber nur ein Anteil von 20 Prozent, die der klassischen Klientel für ein Einfamilienhaus entsprechen würde.

Für den Architekten Jörg Heiler aus Kempten sind weitere Siedlungs- und Verkehrsfläche nicht sinnvoll, diese müssten gestoppt werden. Die Alternativen wären für ihn innovative Modelle, eine neue Interpretation des urbanen Wohnens, das auch auf dem Land sinnvoll sei. Die „Gleichzeitigkeit von Unterschiedlichem an einem Ort“ nannte Heiler das.

Wie aus brachliegenden Gebäuden neuer Wohnraum geschaffen werden kann, demonstrierte die Architektin Tina Kammer. Sie präsentierte diverse Beispiele von verlassenen Objekten, die in zeitgemäßen Wohnraum umgewandelt wurden. Allerdings sei es schwierig, dafür auch Bauwillige zu finden, die den Aufwand und das Risiko nicht scheuen. Hohe Auflagen seitens der Behörden – vor allem beim Brandschutz –, und dazu die energietechnischen Vorgaben ließen solche Projekte teuer werden. Oft würden auch Handwerksbetriebe solchen Projekten kritisch gegenüber stehen.

 

Umwandlung bestehender Strukturen

 


Die Umwandlung bestehender Strukturen ist für den Organisator der Veranstaltung, den Architekten Roland Gruber aus Wien, eine wichtige Option. Es würden in Deutschland 1,8 Millionen Wohnungen leer stehen – und gleichzeitig sehr viele neu gebaut werden. Den Notstand könne man anders lösen, indem man den oft unsichtbaren Leerstand anders nützen könnte.

Dafür sieht er unterschiedliche Lösungsansätze. Menschen könnten aus ihrem großen Haus in kleinere Wohnungen umziehen und den alten Wohnraum verfügbar machen. Oder das Haus würde in mehrere separate Einheiten aufgeteilt. Er räumte aber auch ein, dass hier wohl viel Überzeugungsarbeit bestehen würde. Fehlen würde hier auch vorhandene organisatorische Strukturen, vor allem um den leerstehenden Wohnraum ausfindig zu machen und die darin wohnenden Menschen zu überzeugen. Da wären, so Gruber, die Kommunen gefordert, den Architekten oder andere Vertreter der Baubranche wären da nicht die richtigen Ansprechpartner.

Ein Problem sieht hier auch der Anwalt und ehemalige Geschäftsführer des bayerischen Gemeindetags, Jürgen Busse. Gerade auf dem Land sei es üblich, dass die Kinder aus den Einfamilienhäusern ausziehen und die Eltern alleine zurück bleiben. Die Gemeinden müssten deshalb kontinuierlich die Voraussetzungen für weiteren Wohnraum für junge Familien schaffen. Große Herausforderungen erkennt da der Bürgermeister von Bad Wiessee, Robert Kühn (SPD). Die würden bislang überwiegend noch mit standardisierten Modellen angegangen – weshalb Kühn die Notwendigkeit von kreativen neuen Lösungen sieht.

 

"Teilbarkeit von Häusern sollte in Zukunft vorgeschrieben sein"


Zum Abschluss der Veranstaltung zeigte sich auch der Rohrdorfer Bürgermeister Simon Hausstetter (parteifrei) angetan von den Vorträgen: „Beeindruckt hat mich, dass man auch mit noch so herunter gekommenen Häusern noch etwas machen kann und dass Bauen mit Bestand die naheliegendste Maßnahme ist“. Bestätigt sieht Hausstetter auch seine Einschätzung, dass das Einfamilienhaus ein Auslaufmodell und das diesbezügliche Einheimischenmodell „politisch gestorben“ ist. Dem freilich dürften nicht alle Wahlberechtigten in Rohrdorf zustimmen.

Auch Marcus Menzl, Professor für Soziologie an der Technischen Hochschule Lübeck, sprach von einem Auslaufmodell. Demnach habe das Wohn- und Lebenskonzept der Nachkriegsjahrzehnte Risse bekommen; es sei nur noch eine von zahlreichen Optionen für das zeitgemäße Wohnen.
Wie auf kommunalpolitischer Ebene die Voraussetzungen für Veränderungen geschaffen werden könnten: das freilich blieb noch ziemlich vage. Immer wieder wurden Entscheidungen „der Politik“ angemahnt – ohne Ross und Reiter zu nennen. Das Baurecht ist Sache des Bunds, den Landesentwicklungsplan verantwortet der Freistaat und die Ausweisung von Bauland nehmen Kommunen vor.

„Die Teilbarkeit von Häusern sollte in Zukunft in den Bebauungsplänen vorgeschrieben sein,“ forderte Michael Pelzer, Vorsitzender der Leader Region Miesbacher Land. Einen konkreten Schritt sieht Tobias Hanig, Mitglied im Verein Landluft zur Förderung der Baukultur und Stadtrat in Pfarrkirchen, bei einem Geoinformationssystem. Mittels digitalem Flächenmanagement sollen Baulücken, Brachflächen und Leerstände erfasst werden. (Georg Weindl)

 

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