Kommunales

Geht noch bis Sonntag: Das Tollwood-Festival in München. (Foto: dpa)

19.07.2018

Vom Szenefest zum Massenevent

Das Münchner Tollwood-Festival und das Nürnberger Bardentreffen sind längst keine Szenefeste mehr. Mit vielfach kostenlosen Veranstaltungen ziehen sie jährlich Tausende Besucher an. Doch das gefällt nicht jedem - ein spezieller Vorwurf wird immer wieder laut

Als Julia Engelmann die ersten Worte des Textes anstimmt, der sie 2014 berühmt machte, jubelt die Menge. In den ersten Reihen junge Frauen, Mütter mit ihren Kindern, ältere Ehepaare. Es ist ein bunt gemischtes Publikum in der Musikarena des Münchner Tollwood-Fests. Vor vier Jahren landete Poetry-Slammerin Engelmann mit dem Gedicht "Eines Tages, Baby" einen viralen Hit, inzwischen singt sie auch. Auf der Bühne schmeißt sie im Minutentakt Konfetti durch die Luft. Die 26-Jährige ist eine Art menschliches Rundum-Sorglos-Paket, wirklich ernste Gedanken bleiben vor dem Zelt. Dem Publikum gefällt es.

Das Tollwood-Festival findet seit 30 Jahren jeden Juli statt, 1991 kam eine Winter-Version dazu. 26 Tage lang gibt es im Sommer am Olympiagelände Kulinarisches, Krimskrams, Kultur - alles unter einem Motto: Umweltfreundlich und multikulturell muss es sein. Gastro-Stände am Tollwood sollen bio-zertifizierte Lebensmittel verwenden, Kleidung soll unter fairen Bedingungen produziert sein. Ein Tuk Tuk, eine Art Rikscha, wurde zum thailändischen Imbisswagen umfunktioniert, gegenüber gibt es eine mexikanische Bar, das "Marrakesch-Zelt" sieht aus wie ein arabischer Basar.

Früher galt das Tollwood als Szenefest, als Treffpunkt für Alternative. Doch längst ist das Publikum gemischter geworden. Auftritte wie der von Julia Engelmann zeigen das. Sie soll vor allem junges Publikum anziehen, ist ein Klick-Garant auf der Videoplattform YouTube, hatte schon einen Gastauftritt in einer RTL-Soap. "Früher waren da schon sehr viele Latzhosen unterwegs", sagt Viktoria Raith, die seit 23 Jahren das Andechser-Zelt auf dem Festgelände betreibt. Fast alle Künstler seien anfangs aus der Region gekommen, das Budget sei knapp gewesen. Mittlerweile treten auch internationale Musiker wie Alanis Morissette, Jack Johnson oder die Hollywood Vampires auf - das Tollwood ist nun bekannt genug, um große Namen anzuziehen.

Tollwood-Standlbesitzer: Es geht nur noch um Kommerz und Konsum

Ein weiteres großes Festival im Freistaat findet seit 42 Jahren in Franken statt: das Nürnberger Bardentreffen. Rund 200 000 Besucher hat das dreitägige Fest in der Nürnberger Innenstadt jährlich, alle Konzerte sind kostenlos. "Das Bardentreffen steht unter dem Motto: Kultur für alle, egal wie groß oder klein der Geldbeutel", sagt Veranstalter Rainer Pirzkall. Ähnlich wie beim Münchner Tollwood geht es auch in Nürnberg um das Engagement für eine weltoffene Gesellschaft. So spielten dort schon Musiker aus Syrien deutsche Volkslieder. "Das Bardenfest ist nach wie vor politisch konnotiert und richtet sich an ein links-alternatives Publikum", meint Pirzkall.

Das Tollwood ist mit 800 000 Besuchern im Sommer und 600 000 im Winter nach Angaben der Veranstalter eines der größten Kulturfestivals Europas. Dass das Festival so gewachsen ist, gefällt jedoch nicht allen Standbesitzern. Teurere Mieten, höhere Auflagen - viele Standler hätten in den letzten Jahren aufhören müssen, sagt ein Händler, der anonym bleiben möchte. "Früher war es hier ein anderes Gefühl", findet er. "Man hat sich mit dem Festival identifizieren können, weil alle mit demselben Ziel hergekommen sind." Mittlerweile gehe es nur noch um Kommerz und Konsum. "Das ist am Ziel vorbei."

Auch Wahrsager Robert Alcazane, der mit seinem kleinen Zelt seit 20 Jahren aufs Tollwood kommt, hat den Wandel des Publikums miterlebt. Den Vorwurf der Kommerzialisierung kann er aber nicht verstehen. "Es ist eben für jeden etwas dabei." Das Tollwood habe ein riesiges Kulturangebot, das bis auf die großen Konzerte kostenlos sei. "Damit es sich trägt, hat man die Preise angepasst." Andechser-Wirtin Raith sagt: "Es geht dabei nicht um Kommerzialisierung, sondern um Professionalisierung. Das Festival ist so groß, wenn es nicht professionell aufgezogen wäre, würde Chaos herrschen."

Auch Pirzkall kennt den Vorwurf. "Das Bardentreffen ist nicht darauf aus, Gewinn zu machen. Das leistet sich die Stadt Nürnberg für ihre Bewohner", erklärt er. "Immer wieder höre ich, das Fest sei so kommerziell geworden. Das kann ich nicht verstehen." Immerhin könne man kostenlos zu Konzerten gehen, für die man normalerweise viel Geld zahle.
(Laura Krzikalla, dpa)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.