Kommunales

Dass die Suche nach alten Schulkarten eine so große Resonanz finden würde, hätten Christine Bayerle, Arbeitserzieher Wolfgang Nieschan (rechts) und Ergotherapeut Daniel Friedrich (links) von der Tagesstätte für seelische Gesundheit in Krumbach sich nicht zu träumen gewagt. (Foto: Schalk)

13.12.2023

Welle der Hilfsbereitschaft für Tagesstätte

Krumbacher Einrichtung „Im Café Zott“ rückt mit ihrer Aktion, Stehlampen aus alten Schulkarten herzustellen, bayernweit in die Öffentlichkeit

Mit einer solchen Welle hätten Christine Bayerle und ihr Team nicht gerechnet. Als die Leiterin der Tagesstätten für seelische Gesundheit Günzburg und Krumbach sich mit einer Bitte an den Bayerischen Rundfunk wandte und dieser dann einen kurzen Aufruf sendete – da traf man offensichtlich einen Nerv: Seitdem klingelt ständig das Telefon, laufen Dutzende E-Mails von Menschen aus ganz Bayern auf, kommen wildfremde Menschen in der Einrichtung „Im Café Zott“ in Krumbach sogar persönlich vorbei. Die Aktion, Stehlampen aus alten Schulkarten herzustellen, ist schon jetzt ein voller Erfolg.

Vor gut einem Jahr hatten Christine Bayerle und ihr Team die Idee, aus nicht mehr benutzten Anatomiekarten, die sich im Bezirkskrankenhaus (BKH) Günzburg befanden, gemeinsam mit ihren Besucher*innen Lampenschirme zu gestalten. Bereits die ersten Prototypen waren vielversprechend, so dass die Idee auf Schulkarten ausgeweitet wurde. Durch persönliches Nachfragen erhielten sie die erste Spende einer Schule im Landkreis Günzburg und die ersten Lampen aus alten Biologie- und Geografiekarten wurden gefertigt.

„Als die ersten Exemplare fertig waren, waren wir uns alle einig: Das sieht richtig gut aus“, erzählt die Leiterin. Das fanden auch die Gäste, die im Rahmen der Krumbacher Kunstnacht 2022 im ehemaligen Café Zott vorbeischauten und von den schicken Gegenständen begeistert waren. Die ersten Lampen waren schnell verkauft – auch ohne Werbung.

 

Erste Verkäufe auch ohne Werbung


Doch der Rohstoff war knapp und ging langsam zur Neige. Auf der Suche nach Kartennachschub an Schulen im Landkreis Günzburg bemerkten die Initiatoren schnell, dass die Zeit drängt. „Viele haben uns erzählt, dass wir zwei Jahre zu spät dran seien und sie während der Corona-Pandemie oder kurz danach im Rahmen von größeren Räumaktionen alles entsorgt hätten“, so Bayerle. „Dabei sind diese Karten zum Wegwerfen doch eigentlich viel zu schade“, findet sie.

Die Karten sind vor längerer Zeit für den Erdkunde-, Biologie- oder Geschichtsunterricht verwendet worden. Die Exemplare aus Leinen oder schwerem Papier, die irgendwo in Lagern vor sich hinstauben und von denen manche aus dem Jahr 1955 und teilweise davor stammen, zeigen beispielsweise Länder und Kontinente, Tiere wie Regenwürmer, Ringelnattern und Ohrenquallen oder Pflanzen wie Raps, Pilze und Blumen.

Aus alledem fertigen die Besucher*innen der Tagesstätte nun schicke Stehlampen. Jede Lampe ist ein Unikat. Das Wichtigste jedoch war zu sehen, wie viel positive Energie die Menschen, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben und in der Tagesstätte eine Gemeinschaft finden, aus der Aktion ziehen, betont die Leiterin. Dass die Lampen bei den Kund*innen so begehrt sind, sei eine schöne Rückmeldung für die Besucher*innen. „Mich berührt es, wenn Menschen ihre Fähigkeiten wieder zeigen können und das auch wertgeschätzt wird. Das haben viele lange nicht erlebt.“ So machte sich das Tagesstättenteam daran, mithilfe des BR überregional auf die Suche nach ausrangierten Schulkarten zu gehen.

 

Hunderte Anrufe und Mails


Dass die Resonanz so gewaltig ausfallen würde, hätten Christine Bayerle, Arbeitserzieher Wolfgang Nieschan und Ergotherapeut Daniel Friedrich sich nicht zu träumen gewagt. Hunderte Anrufe und Mails, in denen Vertreter*innen von Schulen, psychiatrischen Einrichtungen sowie Privatleute aus ganz Bayern und darüber hinaus der Tagesstätte ihre Unterstützung anbieten. „So eine coole Idee!“ oder „Super!“, lautet der Inhalt der meisten Reaktionen. „Gestern rief eine Frau aus Frankfurt am Main an, um uns zu sagen, wie wertvoll sie das Projekt findet“, berichtet Bayerle, die bereits mehrere Rundfunk- und TV-Interviews gegeben hat. Die Hilfsbereitschaft sei „sagenhaft“. „Leute haben, als sie ein Ausstellungsstück gesehen hatten, an unser Schaufenster geklopft und gesagt: Die nehme ich gleich mit“, erzählt Daniel Friedrich.

Vor wenigen Tagen fuhr ein Ehepaar aus Augsburg spontan nach Krumbach, nachdem es einen Fernsehbeitrag in der BR-Abendschau gesehen hatte. „Die haben gleich drei Lampen gekauft und uns nur eine übriggelassen“, berichtet Wolfgang Nieschan. Ein Schulleiter aus der Nähe von Bamberg überlegt nun, wie er einen Transport der Karten ins Schwäbische organisieren kann. Eine Schule meldete sich und bot 250 kleine sowie 50 größere Karten an. Die Tagesstätte in Krumbach selbst plant Fahrten nach Altötting, Taufkirchen, Schweinfurt und Regensburg, um alte Karten zu holen.

Angebote kamen auch aus dem Raum Tirschenreuth und Cham und warten nun darauf, abgeholt zu werden. Reiner Zufall war, dass beispielsweise an der Hans-Maier-Realschule in Ichenhausen noch einige übrig waren. „Wir haben die eigentlich nie benutzt“, sagen Schüler*innen der unteren, aber auch aus höheren Jahrgangsstufen. Denn die Digitalisierung hat die Karten im Unterricht inzwischen mehr oder minder komplett ersetzt. Die Karten hängen deshalb verlassen in einem kleinen Raum in der Nähe des Sekretariats. „Wir hätten sie jetzt Stück für Stück durch den Hausmeister entsorgen lassen. Aber dann haben wir von dem Projekt erfahren – das kam gerade richtig“, sagt Rektor Christian Pfeifer.


Aktion soll über mehrere Jahre hinweg laufen
 

Sofern genügend alte Schulkarten kommen (und danach sieht es gerade aus), wollen Christine Bayerle und ihr Team die Aktion über Jahre hinaus anbieten und auf die Tagesstätte in Günzburg ausweiten. Auch ein Zuverdienstprojekt innerhalb der Tagesstätte soll beim Bezirk Schwaben angemeldet werden. Die Liste der Bestellung ist bereits lang. „Wir haben allerdings nicht vor, in Massenproduktion zu gehen. Das Ganze soll menschlich bleiben. Wir wollen unsere Besucher dabei nicht vergessen, ganz im Gegenteil“, betont die Leiterin.

Man akzeptiere, wenn ein Besucher aufgrund seiner psychischen Probleme an einem bestimmten Tag nicht oder nicht so lange an der Gestaltung einer Lampe arbeiten könne. Auch müsse nicht alles perfekt sein. „Der Charakter der Arbeit muss erhalten bleiben“, stellen die Mitarbeitenden der Einrichtung, die zum außerklinischen Bereich „Wohnen und Fördern“ der Bezirkskliniken Schwaben gehört, einhellig fest. Etwa 5 bis 6 Stunden dauert es, bis ein Exemplar fertig ist. Eines kostet circa 140 Euro. Der Erlös fließt zurück ins Projekt. Auch die Teilnehmenden bekommen eine Entschädigung für ihre Arbeit. Mindestens genauso freuen sie sich über die Anerkennung und Wertschätzung, die sie dadurch erfahren.
(Georg Schalk)


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