Wird ein Pflegeheim extern überprüft, sollte die zentrale Frage eigentlich lauten: Wie geht es den Menschen im Heim und fühlen sie sich wohl? Werden sie so gepflegt, dass sie trotz Gebrechen und Beschwerden Freude am Leben haben? Doch das ist eine irrige Annahme von Laien. Für die Behörden stehen andere Aspekte im Vordergrund – leider.
„Die Pflegequalität wird nicht wirklich geprüft“, bestätigt Raimund Binder, ÖDP-Stadtrat und Leiter des Pflegeheims Marie-Juchacz-Haus der AWO in Würzburg. Rückt die Heimaufsicht an, kommt es fast immer so, wie Raimund Binder es erwartet: „Vieles wird rein formal geprüft.“ Geht die Heimaufsicht wieder, weiß sie sehr viel über formale Aspekte: Die hygienischen Bedingungen wurden unter die Lupe genommen, das Qualitätsmanagement der Einrichtung kontrolliert, zahlreiche Dokumentationen gecheckt. Doch wie glücklich oder unglücklich die Bewohnenden des Hauses sind – das weiß die Heimaufsicht in aller Regel auch nach einem mehrstündigen Aufenthalt nicht.
Eigentlich sollte das in Bayern mal geändert werden – und zwar mittels des ziemlich genau vor 15 Jahren in Kraft getretenen Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (PfleWoqG). Das Gesetz, das seit 1. August 2008 gilt, strebte eine Verbesserung der Lebensbedingungen alter und behinderter Menschen in Heimen an.
Kleiner Pluspunkt: Mehr Leute haben Einzelzimmer
Hat sich auf den ersten Blick etwas getan? Antwort: ein wenig. Mehr alte Menschen als vor 15 Jahren dürfen inzwischen in einem Einzelzimmer wohnen. Noch vor wenigen Jahren musste sich ein Großteil der Pflegeheimbewohner*innen das Zimmer mit einer ihnen Person teilen, Körperhygiene vor. Das kommt mitunter noch vor, wenngleich seltener. Das PfleWoqG regelt daneben die sogenannte ordnungsrechtliche Überwachung und Qualitätsberatung vollstationärer Pflegeeinrichtungen, betreuter Wohngruppen und Hospize im Freistaat.
Dass in Bayern vor 15 Jahren ein Pflege- und Wohnqualitätsgesetz verabschiedet wurde, liegt an der Föderalismusreform von 2006. Die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern wurden damals neu geregelt. Das Heimrecht, das seit 1974 im Bundesheimgesetz verankert war, ging auf die Länder über. In Bayern entstanden im Zuge des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes kommunale Heimaufsichten, die seither unter der Bezeichnung FQA firmieren. Die Abkürzung steht für Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht.
Trotzdem berichten Angehörige immer wieder darüber, dass es ihrem Vater oder ihrer Mutter im Heim schlecht ergangen ist. Geklagt wird zum Beispiel, dass jemand tagelang im Bett liegen blieb – weil niemand Zeit für einen Spaziergang im Rollstuhl hatte. Oder dass jemand längere Zeit nicht gewaschen wurde. Weil es trotz Heimaufsicht immer wieder zu Missständen in Pflegeheimen kommt, legte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) Anfang 2022 einen Fünfpunkte-plan für einen besseren Schutz der Bewohnenden vor. Neu eingeführt wurde zum Beispiel eine Pflege-SOS-Anlaufstelle. Bis Ende Juli 2023 wurde sie fast 1100 Mal kontaktiert.
Pflegedienstleistungen beanstanden Oberflächlichkeit
Raimund Binder aus Würzburg ist also bei Weitem nicht der Einzige, der an der oberflächlichen Kontrolle der Heimaufsicht Kritik übt. Seit 15 Jahren wird in Fachkreisen immer wieder Unmut laut. Pflegeheime, so ein Informant, der jahrelang in der Heimaufsicht tätig war, setzten alles daran, Kontrolleure „über perfekte Dokumentationen zufriedenzustellen“. Wüssten sie doch genau, dass diese keine Möglichkeit haben,zu erfahren, „wie der Laden wirklich läuft“. Das liege auch daran, dass kaum jemand aus den FQA-Teams selbst schon in einem Heim gearbeitet hat.
Ein weiterer Kritikpunkt: Die bei den kreisfreien Städten und Landratsämtern angesiedelten Aufsichten kontrollieren auch die eigenen, kommunal getragenen Heime, also sich selbst – ein glasklarer Interessenkonflikt. Aber auch die personelle Ausstattung lässt zu wünschen übrig und verhindert effektivere Kontrollen.
Laut Klaus Schulenburg, Leiter der Abteilung Soziales und Gesundheit beim Bayerischen Landkreistag, fehlen bayernweit vermutlich mehr als 170 Vollzeitstellen in den kommunalen Heimaufsichten. „Das wären im Schnitt 1,5 Stellen pro FQA“, rechnet er vor. Wobei die Größe der Heimaufsicht natürlich von der Größe der Kommune abhängt. FQAs in Städten wie München bräuchten vermutlich vier bis fünf zusätzliche Mitarbeitende.
Die Kommunen dürfen sich selbst kontrollieren
Hinzu kommen die zahlreichen Pflegeskandale der vergangenen 15 Jahre, auch in Bayern. So kam es Anfang 2011 zu schweren Vorwürfen gegen ein Pflegeheim in Gauting. Die Senior*innen, hieß es, seien zum Teil unnötig fixiert worden, außerdem hätten sie zu wenig zu essen und zu trinken bekommen. Kurz darauf wurde nach einer anonymen Beschwerde über ein oberbayerisches Heim ein Aufnahmestopp verhängt – unter anderem wegen unzureichender Dekubitus-Prophylaxe. 2016 kam es zu ungeklärten Todesfällen in der Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf in Unterfranken. 2022 mussten fast 100 Bewohnende aus einem Augsburger Pflegeheim in eine andere Einrichtung verlegt werden. Das Heim wurde geräumt, als unter anderem herauskam, dass die Wunden der Greise nicht ausreichend versorgt worden waren.
Regelmäßig nach solchen Skandalen wird der Ruf nach mehr und besserer Heimaufsicht laut. Aktuell wird auch über eine Novellierung des PfleWoqG debattiert. Laut bayerischem Gesundheitsministerium bewertet die Staatsregierung die geltenden Regelungen als „anpassungsbedürftig“. Beabsichtigt sei, dass FQAs in Zukunft – statt eines Prüfberichts – ein Ergebnisprotokoll erstellen. Ein Protokoll statt eines Berichts – wow, so geht Verbesserung.
Die Heimbetreiber sollen davon eine Kurzfassung veröffentlichen müssen. Personen, die „ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen“, soll ein Einsichtsrecht in die Langversion gewährt werden. „Doch es fragt sich, ob es überhaupt gelingen kann, Pflegequalität in Heime hineinzuprüfen“, meint der Landkreistagexperte Schulenburg. Unter den gegebenen Umständen jedenfalls erscheint dies unmöglich. Was zum Teil geprüft wird, ist irrelevant – während krasse Pflegemängel unentdeckt bleiben. „Wir haben Hinweise, dass Mitarbeiter von FQAs mit dem Zollstock in Einrichtungen gehen und die Türstöcke auf Barrierefreiheit überprüfen“, sagt Schulenburg. Und zwar jedes Mal wieder.
Angst vor haftungsrechtlichen Konsequenzen
Aus Angst, haftungsrechtlich belangt zu werden, scheinen sich Mitarbeitende der Heimaufsicht primär akribisch an Prüfschemata und ministerielle Vollzugshinweise zu halten. Dies verspricht exakte und objektive Ergebnisse. Die Empfindungen der Menschen sind dagegen sekundär. Ein Beispiel: Mängel in der Medikamentenprotokollierung sind eindeutig feststellbar. Ob man aber mit der an Demenz erkrankten 88-jährigen Erna Müller auch dann gut und geduldig umgeht, wenn sie quengelig ist und im stressigen Pflegealltag nervt, wird nicht gecheckt.
„Die personelle Situation in den Heimen war noch nie so schlecht“, klagt Michael Schwägerl, Sprecher des Arbeitskreises PfleWoqG beim Landkreistag. Die Engpässe seien inzwischen so gravierend, dass Heime Stationen stilllegen müssen. Schwägerl weiß von drei Heimen im Kreis Rosenheim, die in jüngster Zeit sogar freiwillig komplett schlossen.
Nach jedem Skandal kocht kurz eine Debatte auf
Während also von der Politik hinter den Kulissen darüber diskutiert wird, was die Heimaufsicht künftig wie zu Protokoll nehmen soll, verschlechtert sich die Pflegeversorgung weiter dramatisch. Auch die AWO in Unterfranken musste mangels Personal kürzlich in einem Heim einen Aufnahmestopp verhängen. Heimaufsichten, so AWO-Mann Raimund Binder, machten dieser Tage „großzügige Ausnahmeregelungen“ bei weniger sensiblen Prüfpunkten, um die Schließung weiterer Heime zu verhindern. (Pat Christ)
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